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Internationale Automobil-Ausstellung

Grüne Waschstraße

Internationale Automobil-Ausstellung: Grüne Waschstraße
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Am Rande der IAA in München gehen Sicherheitsbehörden mit erweiterten Befugnissen gegen ZivilistInnen und Presse vor. Während sich die Autoindustrie um eine klimapositive Selbstdarstellung bemüht: als Teil der Lösung nämlich und keineswegs als Teil des Klimaproblems. Eine Nachbetrachtung.

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Zum bestmöglichen Schutz vor Kriminalität gehört für den Bayerischen Innenminister auch, dass "der Polizei nicht die Hände gebunden" sind, "wenn sich ein islamistischer Terrorist mit seinem Komplizen über das Internet verschlüsselt zum geplanten Anschlag austauscht". So sprach Joachim Herrmann (CSU) im September 2018, als er das im Vorjahr verschärfte Polizeiaufgabengesetz (PAG) gegen Kritik und "irreführende Behauptungen" verteidigte. Mit der neuen Regelung ist es der bayerischen Polizei möglich, Personen, von denen eine "drohende Gefahr" ausgehen soll, auch ohne Gerichtsurteil für unbefristete Zeit in Gewahrsam zu nehmen, wobei nach 14 Tagen ein Richtervorbehalt gilt. "Drohende Gefahr" bedeute laut Herrmann nicht, "dass kein tatsachenbasierter Verdacht mehr vorliegen muss" – die Polizei sei zum Nachweis verpflichtet, "dass in absehbarer Zeit erhebliche Angriffe auf bedeutende Rechtsgüter zu erwarten sind". 

Wie das verschärfte PAG in der Praxis aussehen kann, zeigte sich beim größten Polizeieinsatz in der jüngeren Münchner Stadtgeschichte am Rande der Internationalen Automobil Ausstellung Mobility (IAA). So schildert die globalisierungskritische Organisation Attac, dass drei ihrer Aktiven "für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen" worden seien, "weil in dem Auto, in dem sie unterwegs waren, Sprühkreide und ein Banner gefunden wurde". Judith Amler empörte sich im Namen der Organisation: "Wir erleben grade, wie München für die Selbstdarstellungs-Show der Autoindustrie bei der IAA in eine rechtsstaatsfreie Zone verwandelt wird."

Mit dieser Klage ist Amler nicht allein. Während Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die High Society der Autoindustrie zum festlichen Staatsempfang in die Münchner Residenz lud, ging der Freistaat mit Härte gegen Protest vor – und gegen die Presse. Als "skandalöses Vorgehen" bewertete es die JournalistInnen-Gewerkschaft dju, dass die Polizei einen freien Mitarbeiter der taz über drei Stunden in Gewahrsam nahm, ihm anschließend eine Gefährderansprache und ein Betretungsverbot für alle Veranstaltungsflächen der IAA erteilte. Die Sicherheitsbehörden hatten dem Mann Hausfriedensbruch zur Last gelegt, weil er nach eigenen Worten "im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit die AktivistInnen begleitet habe", als diese ein Haus besetzten. Was die taz-Chefredaktion wie folgt kommentiert: "Das dient nicht nur dem Schutz der Protestierenden gegen mögliche polizeiliche Übergriffe. Sondern es muss im Interesse der Öffentlichkeit sein zu erfahren, was tatsächlich passiert." Vier Medienvertreter haben inzwischen Klage gegen Bayern angekündigt. 

Sehr verdächtig: kurze Hosen

Mit fragwürdiger Begründung an seiner Arbeit behindert wurde auch der freischaffende Fotojournalist Jannis Große, der auch schon für Kontext unterwegs war. Auch seine Schilderung des Vorfalls lässt Zweifel aufkommen, worin genau ein tatsachenbasierter Verdacht für drohende Gefahr bestanden haben soll. Er sei mit Presseweste, einigen Objektiven und der Akkreditierung für die IAA angereist, berichtet er gegenüber Kontext. "Dann habe ich gesehen, dass zwei Kollegen zusätzlich zur Security auch noch von der Polizei durchsucht werden", wenig später sei er an der Reihe gewesen. "Die anderen beiden haben gleich eine Gefährderansprache gekriegt und die Polizei sagte, man würde sie im Auge behalten. Zur 'Süddeutschen Zeitung' hat ein Polizeipressesprecher hinterher gesagt, sie hätten gedacht, wir wollen die Messe für eine Aktion ausspähen. Das wurde uns aber nicht gesagt."

Als sie dann eine Halle der IAA betraten, habe die Polizei ihnen das Fotografieren verboten. "Sie sagten, sie würden nur den Befehl ausführen, uns zur Gefangenensammelstelle zu bringen." Damit nicht genug: "Einen vierten Kollegen, der fragte, was denn da gerade passiert – den haben sie auch gleich mitgenommen." Eine anschließende Diskussion mit der Polizei und dem Sicherheitschef der Messe konnte die Bedenken dann offenbar aus der Welt räumen. Große kommentiert: "Tatsächlich sagte dann der Sicherheitschef, dass es eigentlich kein Problem gebe und wir ordentlich akkreditiert sind und arbeiten dürfen. Das Ganze hat so eine Stunde gedauert." Dann habe man ihnen noch mitgeteilt, dass sie "nicht wie Fachpublikum aussehen" würden – "ich hatte T-Shirt und kurze Hosen an", sagt Große –, und schließlich durften sie gehen, "ab da konnten wir dann den Rest der Zeit arbeiten".

Beinahe paranoid gingen die Sicherheitsbehörden gegen Protest aus der Zivilbevölkerung vor. So wurde sogar eine satirische Stadtführung, an der nur eine Handvoll Leute teilnahmen, von einer Hundertschaft der Polizei festgehalten und kontrolliert. Der freie Journalist Michael Trammer hat die Szene gefilmt und berichtet: "Ein Pressesprecher der Polizei München vor Ort sagt mir auf Nachfrage, es stünde die Straftat 'Schwarzfahren', sprich Erschleichen von Leistungen, im Raum." Später sagte die Polizei der "Süddeutschen Zeitung", sie habe eine Störaktion erwartet.

Was wollt ihr denn noch?

Warum überhaupt gegen die IAA protestiert wird, kann Hildegard Wortmann nur bedingt nachvollziehen. In einem Beitrag auf "Zeit Online", der die Überschrift "Kaum zu bremsen" trägt, bekräftigt die Vertriebschefin von Audi, dass sie offen für "ernsthaften und sachlichen Dialog" seien, aber "Gewalt als Meinungsäußerung" ablehnen. Ähnliches höre man laut "Zeit Online" häufiger: "Manager haben das Gefühl, es zunehmend mit Gruppierungen zu tun zu bekommen, die den Fortschritt der Industrie beim Klimaschutz ignorierten." So sieht es wohl auch VW-Chef Herbert Diess, der bereits 2019 in einem Streitgespräch mit einer Aktivistin, meinte, der Protest komme "zu spät". Denn die Industrie habe "die Zeichen der Zeit verstanden, sie ist im Wandel. Für uns ist Klimawandel das Hauptthema."

Neben erstmals auf der Automesse ausgestellten Fahrrädern stehen zwei Jahre später tatsächlich Elektroautos im Mittelpunkt der Präsentation. Und Diess betont nun, nicht nur die Autohersteller müssten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Kurios ist das, weil in der Bundesrepublik eigentlich alle einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – außer der Autoindustrie. Während in allen anderen Sektoren Einsparungen beim Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase gelungen sind, informierte das Umweltbundesamt (UBA) in diesem Juni, dass die "absoluten Kohlendioxid-Emissionen im Straßengüterverkehr heute um 21 Prozent höher als 1995" sind. Zwar würden Autos effizienter und im Schnitt schadstoffärmer als Vorgängermodelle. Doch weil immer mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind, urteilt das UBA: "Das Mehr an Pkw-Verkehr hebt den Fortschritt auf."

Doch was nicht ist, soll jetzt noch werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte in ihrer Rede auf der IAA nicht nur, dass sie auch bei klimaneutraler Mobilität "Arbeitsplätze erhalten" und "internationale Wettbewerbsfähigkeit" sichern wolle. Sie lobte auch die 150 Milliarden Euro schweren Investitionen, mit der die Industrie den Wandel stemmen will. Denn diese "gewaltigen Anstrengungen" würden zeigen, "dass die Autoindustrie nicht per se Teil des Klimaproblems ist, sondern eben vor allen Dingen auch ein zentraler Teil der Lösung".

Noch verursacht VW so viel CO2 wie Deutschland

Gemessen an der empirischen Gegenwart ist diese Einordnung gewagt. Denn sämtliche Lösungen, die eine Industrie finden kann, müssen die Form von vermarktbaren Waren haben. Indirekt räumte das sogar VW-Chef Diess ein, als er im Interview mit der taz gefragt wurde, warum der 3-Liter-Lupo vor 15 Jahren eingestellt wurde und warum das vor inzwischen über zehn Jahren vorgestellte 1-Liter-Auto XL1 nicht mehr als 200 Mal gebaut worden ist. Die Gefahr, dass es mit E-Auto-Modellen genauso laufe, bekennt Diess, stehe "mit Sicherheit auch diesmal im Raum, weil wir in der ganzen Betrachtung natürlich den Kunden sehen müssen. Wenn der ein Fahrzeug wie den 3-Liter-Lupo nicht haben will, haben wir in unserem System keine Chance."

Denn Chancen haben in unserem System nur Unternehmen, die einen Gewinn erwirtschaften. Und bislang ist ein klimaneutraler Gewinn in der Autoindustrie reine Zukunftsmusik – ganz ohne Garantie, ob er überhaupt realisierbar ist. Allein der VW-Konzern war 2019 noch für etwa zwei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, wie Chefstratege Michael Jost im Gespräch mit der "Wirtschaftswoche" einräumte. Das ist so viel wie die ganze Bundesrepublik ausstößt. Eine radikale Reduktion mag angekündigt sein, aber bislang ist sie nicht Realität.

"Die Mobilitätswende von Autokonzernen aus zu denken, ist zum Scheitern verurteilt. Denn die wollen logischerweise immer mehr Autos verkaufen", erklärte die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer jüngst. "Für sichere und klimagerechte Mobilität muss die Summe an Autos auf den Straßen aber mittelfristig etwa halbiert werden." Zu einem solchen Ergebnis gelangt auch die Studie "Mobiles Baden-Württemberg". Sie stellte bereits 2017 fest, dass der PKW-Bestand im Südwesten, wo der Verkehr ein gutes Drittel der Emissionen ausmacht, zum Erreichen der Klimaschutzziele schon "bis 2030 um bis zu 36% gegenüber 2014" reduziert werden müsste – und zwar unabhängig vom Antrieb. Stattdessen aber erreicht das Autoaufkommen auf den deutschen Straßen immer neue Rekordwerte. Nach Angaben des Bundes kamen zum ersten Januar dieses Jahres 710 Kraftfahrzeuge auf 1.000 EinwohnerInnen.

Solange also weiterhin eine beträchtliche Diskrepanz zwischen dem formulierten Anspruch und der messbaren Wirklichkeit einer ums grüner Werden bemühten Industrie besteht, kann man dem Protest gegen klimaschädliche Mobilität schlecht die Daseinsberechtigung absprechen. Innenminister Herrmann lobt denn auch die vielen friedlichen Demonstrierenden, "die ihr Anliegen bunt, kreativ und mit viel Engagement transportiert haben". In noch höheren Tönen lobt er hingegen trotz aller Kritik den Polizeieinsatz.


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