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Schlachthof-Skandale

Guten Appetit!

Schlachthof-Skandale: Guten Appetit!
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Nach jedem Schlachthof-Skandal das gleiche Ritual. Einige Tage hält die Aufregung an, PolitikerInnen und Behörden stehen in der Kritik, Maßnahmen werden ergriffen, versprochen oder angedroht. Und das Kaufverhalten ändert sich wieder nicht.

Alle sind mitverantwortlich in der Kette von Stall und Feld bis auf Tisch und Teller, wirklich alle. Und jenen, die sich ernsthaft mit den widerwärtigen Zuständen befassen, kann schon mal die Lust auf den Braten gründlich vergehen. Nicht nur an Festtagen. Bei Jonas Weber jedenfalls gibt es zu Weihnachten Fleisch in der Form von Reh, geschossen von Verwandten. "Ich hab' schon früher nicht unüberlegt in die Theke gegriffen", sagt der Sozialdemokrat aus Rastatt, "aber inzwischen kaufen wir überhaupt nur noch lokal." Der 2018 in den Landtag nachgerückte Abgeordnete hat sich reingefuchst in ein Thema, das nicht unbedingt zum roten Markenkern gehört. Es laufe aber so viel falsch, "dass es einen nicht mehr loslässt".

Seit den jüngsten Skandalen in Gärtringen und Biberach und dem Bildmaterial, das die privaten AufdeckerInnen von "Soko Tierschutz" über misshandelte Schweine und mangels funktionierender Bolzenschüsse qualvoll verreckende Rinder publik gemacht haben, ist der zuständige Landtagsausschuss am Zug. Im Mittelpunkt seiner vielstündigen Sitzungen stehen nicht zuletzt die Chancen, die in der Vergangenheit vertan wurden.

Agrarminister Peter Hauk (CDU) war von 2005 bis 2010 schon einmal im Amt, hätte allein deshalb jede Möglichkeit gehabt, die Weichen anders zu stellen. Und der Skandal im Schlachthof von Tauberbischofsheim, der im Februar 2018 wegen gravierender Mängel geschlossen werden und nur einen Tag nach der Wiedereröffnung im April desselben Jahres erneut zumachen musste, bot erneut die große Chance, zumindest Versäumtes nachzuholen. Mit einem vielversprechend angekündigten Monitoring sollte Entscheidendes besser werden. Seit damals also stehen alle 44 Schlachthöfe im Südwesten unter besonderer Beobachtung. Und der Minister ebenso. Das reichte aber wieder nicht aus, um Missstände tatsächlich abzustellen.

Hauk spricht von hundertprozentiger Kontrolle – falsch

Denn der Teufelskreis ist geschlossen: Es gibt zu wenig festangestelltes Personal, es gibt zu wenige VeterinärInnen, es gibt zu wenige Kontrollen. Nach der Veröffentlichung der Biberacher Bilder wehrte sich die Landestierärztekammer sogar hochoffiziell. Der Minister hatte erklärt, es gebe bei der Betäubung eine hundertprozentige Kontrolle durch Amtstierärzte. "Diese Darstellung ist falsch", heißt es in einer Stellungnahme, denn eine solche Personalabdeckung gebe es für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz, nicht aber für den Tierschutz. Und: "Einem zuständigen Fachminister müssten die wesentlichen Zusammenhänge der Überwachung an einer Schlachtstätte eigentlich geläufig sein." Für eine "hundertprozentige" Kontrolle vor Ort reiche die vorhandene Personaldecke eben nicht aus, und deshalb werde lediglich "regelmäßig und risikoorientiert nach vorliegenden Erkenntnissen" hingeschaut.

Das war gewollt. Hauk sitzt seit 1992 als Abgeordneter im Landtag und kennt deshalb ganz genau die Auswirkungen der Verwaltungsreform, die damals als "groß" bezeichnet wurde. Die Reform sollte den Landeshaushalt entlasten unter anderem durch die Übertragung von Aufgaben an die Landkreise und die Reduzierung von Beschäftigten. Jetzt verspricht der gelernte Förster Hauk mehr Personal, mehr Auflagen, mehr Überprüfungen und den freiwilligen Einsatz von Videokameras. Letztere stehen zu Recht im Verdacht, dass schon wieder abgelenkt werden soll. Denn erstens ist diese Form der Überwachung nur möglich, wenn alle Beteiligten einverstanden sind, und zweitens ungeklärt, wer sich die stundenlangen Aufzeichnungen der Abläufe in Schlachthöfen ansehen kann und muss. Nach vier Wochen sollen sie gelöscht werden – so dass allfällige Defizite möglicherweise deshalb nicht bekannt und abgestellt werden, weil niemand die Zeit zur Auswertung von Aufnahmen hatte.

Erzübel: Schmale Gewinnmargen

Unbestritten und schon lange als ein Erzübel ausgemacht sind die schmalen Gewinnmargen der Branche und der riesige Aufwand für alle, die seriös und ernsthaft an Tierwohl und Qualität orientiert vorgehen (Link zu den Erzeugerrichtlinien). Hauk denkt deshalb laut über einen Mindestpreis nach, weil Fleisch nicht als Ramschware über die Ladentheke gehen dürfe. Allerdings erst "neuerdings", schränkt Weber ein und erinnert sich, wie ihn der Minister einen "grünangehauchten Fundamentalsozialdemokraten" hieß, als er diesen Vorschlag als einen von mehreren in die Debatte warf. Denn Mindestpreise allein geben KonsumentInnen noch nicht die entscheidenden Hinweise.

Wer Milch für 39 Cent kauft, nicht weil er muss, sondern weil er knausert, darf sicher sein, sich an den Produzenten zu versündigen. Gerade bei Fleisch, vor allem Rind, ist aber der Umkehrschluss falsch: Wer teurer kauft, muss noch nicht tierwohlgerecht kaufen. Zugleich ist niemand gehindert, sich durch den Angebotsdschungel zu wühlen. Beim Autokauf wird schließlich auch keine Mühe gescheut, sich kundig zu machen über Preise, PS und Ausstattung. Die einschlägigen EU-Vergleiche sind jedenfalls seit Jahren dieselben: In Griechenland, Spanien, Portugal, Italien oder Frankreich wird viel weniger Geld für Autos ausgegeben, dafür aber mehr für Lebensmittel. Und der Bio-Pro-Kopf-Umsatz ist in der Schweiz, in Dänemark, Schweden oder Österreich höher bis sogar doppelt so hoch wie in Deutschland.

Solche Statistiken belegen, wie gerade die regionale Struktur unter Druck ist, mit der sich Baden-Württemberg gegen die Fleischindustrie und die Fabriken à la Tönnies stemmen will. In jenen wird rund um die Uhr gearbeitet, Schweine sterben massenhaft mit ekelhafter CO2-Betäubung im Stress den Erstickungstod. Aber auch die weniger industrielle Produktion kennt jede Menge Fehler mit Methode. Allein die Checklisten zur Betäubungskontrolle sind ellenlang, und viele Fragen erfordern Antworten, die die Vorfreude aufs Steak erheblich dämpfen. Das beginnt schon bei vergleichsweise unproblematischen Vorgängen wie der Entladung der Tiere. Ist festgelegt, so eine der verräterischen Fragen, dass sie nur in Anwesenheit des zuständigen Betriebspersonals stattfinden darf? Wie sonst?, denken da ahnungslose LaiInnen, ehe ihnen die Frage im Halse stecken bleibt, weil ihnen dämmert, dass das oft genug eben nicht so ist.

Grauzonen bei den Vorgaben

Verräterisch ist zudem die Vorgabe, dass sich die Tiere im Wartestall vom Transport ausruhen und erholen können sollen. Die Realität kollidiert mit den Monitoring-Ergebnissen, zusammengefasst ebenfalls in langen Listen. Denn wieder werden Grauzonen offenbar, die die Akteure bewusst in Kauf nehmen. Nach einer Statistik aus Hauks Haus sind in allen Schlachthöfen im Land 435 Mängel festgestellt worden – nur betreffen sie ausschließlich Probleme in den Arbeitsabläufen oder bauliche Mängel. Verletzungen des Tierwohls kommen nicht vor. Ums Tierwohl geht es aber, wenn der Warteraum viel zu klein ist oder die nächste Tränke unerreichbar.

Das ganze System müsste umgestellt werden vom Kopf auf die Beine. Nur dann könnten LandwirtInnen mehr Geld für ihr Fleisch erlösen und die kleineren Schlachthöfe konkurrenzfähig werden oder bleiben. Für Fließband-Arbeit wird ein Nutzungsentgelt von 17 Euro pro Rind fällig, der Mittelstand muss 70 Euro verlangen. Zudem sollten Güte- und Qualitätssiegel nicht verschleiern, sondern für Transparenz sorgen.

Der SPD-Abgeordnete Weber sieht gerade eine neue Landesregierung in der Pflicht, auf der für viele Einzelheiten zuständigen Bundesebene "engagierter und härter" aufzutreten. Und bei den Grünen, wenn sie schon mal vorsichtig in die nächste Legislaturperiode schielen, steht die Rückeroberung des Ministeriums für den ländlichen Raum ganz oben auf der To-Do-Liste. Anders als anderswo in der Republik ist im Südwesten der Zuspruch der ländlichen Wählerschaft ein Eckpfeiler in der 40-jährigen Geschichte der Grünen. Mit Dora Flinner, gestählt im Kampf um die Verhinderung der Daimler-Teststrecke in Boxberg, schickten sie 1987 sogar die erste Bäuerin überhaupt in den Deutschen Bundestag. Die AgrarpolitikerInnen, allen voran der langjährige Biobauer vom Bodensee Martin Hahn, hätten sogar aufs Finanzressort verzichtet, wenn dafür das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz zu den Grünen gewandert wäre. Noch einmal und gerade mit Blick auf eine grün-rote Landesregierung soll dieser Fehler nicht passieren.


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1 Kommentar verfügbar

  • Manfred Lieb
    am 29.12.2020
    Antworten
    Wie wäre es mal mit einem Artikel über die Schwäbisch-Hällische-Erzeugergemeinschaft. Sinnvolle Landwirtschaft, sinnvolle Vermarktung, ein gutes alternatives Konzept für die Möglichkeiten der Erzeugung von Lebensmitteln, auch tierische Lebensmittel. Rudolf Bühler, der Geschäftsführer und einer der…
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