KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

"Kommunalpolitisch dumm"

"Kommunalpolitisch dumm"
|

Datum:

Nur zwei Wochen nach dem Start des Gerber am westlichen Rand der Innenstadt eröffnet mit dem Milaneo schon der nächste große Einkaufstempel in der Landeshauptstadt. Der Soziologe Jan Wehrheim warnt vor der Vermischung von privatem und öffentlichem Raum in Shoppingmalls – und deren Menschen-Gleichmacherei.

Herr Wehrheim, wo gehen Sie am liebsten einkaufen – im Shoppingcenter oder in kleinen Ladengeschäften?

Ich versuche generell, nicht einkaufen gehen zu müssen. Aber ich gehe eher in kleine Ladengeschäfte.

Warum?

Weil ich es schlicht und einfach angenehmer finde, und weil ich lieber kleine Händler unterstütze als die Großkonzerne. 

Wenn alle Menschen das so sehen würden wie Sie, dann gäbe es wohl gar keine Einkaufszentren. Stattdessen werden gerade in der Region Stuttgart zahlreiche Shoppingmalls eröffnet.

Die Malls entstehen nicht, weil sich alle diese Shoppingcenter wünschen, sondern wegen Investitionsstrategien auf dem Immobilienmarkt und im Einzelhandel. Es gibt Betreiber, wie die ECE (Betreiber des Milaneo, Anm. d. Red.), die planen, bauen, gestalten und setzen Mietverträge auf mit dem Ziel der Profitmaximierung. Das Angebot wird geschaffen, es wird nicht auf eine spezifische Nachfrage reagiert.

Trotzdem gehen dort viele Menschen einkaufen.

Große Einkaufszentren haben auch Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind. Sie sind überdacht, was gerade im Winter, in der schlechten Jahreszeit attraktiv ist. Sie sind beheizt. Es gibt nichts, worauf man achten muss – deswegen sind sie gerade bei alten Menschen beliebt. Es gibt keine Bordsteinkante, auf die sie mit ihrem Rollator aufpassen müssen. Und die Menschen bekommen alles auf einem Fleck, insbesondere in den größeren Zentren.

Gibt es einen bestimmten Typ Mensch, der grundsätzlich gern in Shoppingmalls einkaufen geht?

Es ist einfach und bequem, in diesen Malls einzukaufen. Das "einfach" muss man dabei weit verstehen. Man weiß, was einen erwartet. In der Stadt einzukaufen ist dagegen ein Auseinandersetzen mit Vielfalt, Heterogenität, Fremdheit im weitesten Sinne. Das macht Städte interessant und aufregend. Daraus ziehen wir die Freiheit, die wir mit "Stadt" verbinden. Diese Dinge schaffen aber auch grundsätzlich Unsicherheit.

Und die Shoppingmall schafft einen gesicherten Raum?

In der Shoppingmall ist genau das aufgelöst. Wir wissen, welche Geschäfte es da gibt. Im Food-Court gibt es erwartbar für jede Geschmacksrichtung etwas: mindestens einen Hamburgerladen, einen Pizzaladen, einen Asia-Imbiss und ein Eiscafé. Es gibt aber nichts, was wirklich ausgefallen ist. Das hat eine Entlastungsfunktion für die Konsumbedürfnisse.

Was sagt das über die Gesellschaft aus, wenn diese Malls beliebt sind?

Das ist schwierig zu sagen. Nicht alle Gruppen sind aus denselben Motiven in Einkaufszentren. Grundsätzlich gilt: Die Mittelschicht und die Frauen sind überrepräsentiert. Nicht, weil die Frauen besonders gern shoppen gehen. Sondern weil sie nach wie vor mit der Reproduktionsarbeit beschäftigt sind: Einkaufen bedeutet Familie versorgen. Jugendliche aus bildungsfernen Schichten beschreiben Einkaufszentren wiederum besonders positiv und als interessant, als etwas Einmaliges. Frauen aus dem alternativen Bildungsbürgertum sagen dagegen, die sind langweilig und die sind alle gleich. Die wollen da nicht hin.

Wie verändert sich eine Stadt durch solche Malls?

Die räumliche Struktur der Städte verändert sich. Das variiert von Stadt zu Stadt. Aber häufiger ist es so, dass keine Synergieeffekte erzielt werden, dass der innerstädtische Standort nicht von einer Shoppingmall profitiert. In Oberhausen beispielsweise hat die örtliche Shoppingmall das Ende der Innenstadt besiegelt. Die Leute sind in den Malls und nicht mehr in den Fußgängerzonen. Das verändert die Qualität des öffentlichen Raums in Städten.

Was meinen Sie damit?

Wenn Einkaufszentren so attraktiv sind und die Leute hingehen, dann müssen dort auch die Funktionen stattfinden können, die öffentliche Räume übernehmen. Bis auf die klassischen Randgruppen, wie Obdachlose und Drogenkonsumenten, treffen sich alle sozialen Schichten in den Einkaufszentren. Somit wäre es ein öffentlicher Raum.

Die Malls müssen dann aber auch als Treffpunkte dienen, sie müssen auch für die politische Auseinandersetzung zur Verfügung stehen. Demonstrationen müssen zulässig sein, das Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt werden können. Doch das ist höchst umstritten, weil es sich um privates Eigentum handelt. Der Grund und Boden in Einkaufszentren gehört den Eigentümern. Die verbieten mit Hausordnungen ganz viele Sachen, wie laut rufen, manchmal bestimmte Kleidung tragen, den unnötigen Aufenthalt, Musik hören und das Verteilen von Flugblättern.

Verändert dies letztlich auch die Gesellschaft?

Erst einmal nicht grundsätzlich. Es hat nur Auswirkungen auf die politische Nutzung, auf die politische Artikulation. Doch wenn man das auf die Spitze treibt und nur noch in Einkaufszentren geht, dann verschwindet die Möglichkeit, sich mit der Verschiedenheit auseinanderzusetzen: In ein Einkaufszentrum gehen zwar unterschiedliche Menschen, aber sie treten dort nur in der Rolle des Käufers auf. Sie definieren sich auch wechselseitig so. Wenn die Menschen Armut nicht mehr sehen, dann verschwindet sie auch als Thema.

Die Städte fahren allerdings insgesamt die Politik, soziale Randgruppen aus den Einkaufsstraßen, den Visitenkarten der Städte, herauszuhalten. So unterscheiden sich die Malls und die Städte in dem Punkt zwar in der Art und Weise des Zustandekommens der Regeln – Hausordnung und kommunales Ordnungsrecht – aber weniger in dem, was tatsächlich dort passiert. Wenn Platzverweise ausgesprochen werden, sind sie in der Innenstadt zumindest demokratisch legitimiert.

Wenn sich die Einkaufswelt in Malls verlagert, dann findet auch eine Trennung von Einkaufen und Leben statt – das Leben mit Ämtern und beispielsweise sozialen oder kulturellen Einrichtungen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

In den USA, wo es kaum innerstädtische Bereiche – wie wir sie in deutschen Städten kennen – gibt, werden Malls mit Arztzentren und Ämtern verbunden. Je mehr andere Sachen integriert werden, desto weniger können Einkaufszentren diese Gleichmachfunktion erfüllen. Wenn allerdings alles auf privatem Grund und Boden stattfindet, wird es auch rechtlich deutlich komplizierter. Es ist brisant, wenn der Zugang zur Stadtteilbibliothek auf privatem Grund und Boden liegt.

Es wird eine Frage sein, wie die Kommunen damit umgehen. In Düsseldorf gibt es ein Schwimmbad, eine Bibliothek und das Bürgerhaus in einer Shoppingmall. Es ist allerdings nicht derselbe Eingang, nur dasselbe Gebäude. Das deutet darauf hin, dass es solche Tendenzen geben könnte. Ich sehe das auch kommunalpolitisch problematisch, weil es dann auf Public-Private-Partnership hinausläuft. Das bedeutet eine Machtverschiebung vom Primat der Politik zum Primat der Ökonomie.

Sie lehnen Malls grundsätzlich ab?

Die Kommunen tun sich zumindest größtenteils keinen Gefallen damit. In Bremen wurden in den letzten Jahren diverse Einkaufszentren in der Stadt eröffnet und deren Infrastruktur subventioniert. Jetzt wird darüber geklagt, dass die Innenstadt leerer wird. Das ist kommunalpolitisch dumm. Es ist auch schon so, dass die Städte versuchen, im öffentlichen Raum die Malls zu imitieren – beispielsweise durch Business-Improvement-Districts (BID): Die Zusammensetzung der Geschäfte soll beeinflusst, die Straßenreinigung verbessert, Sicherheitsdienste auf öffentlichem Grund und Boden eingerichtet werden. Das jüngste Beispiel für so einen BID ist die Hamburger Reeperbahn in St. Pauli.

Wie der Soziologe Walter Siebel geschrieben hat: Die Shoppingmall ist nach dem so genannten Gottvater-Modell konzipiert – ein Subjekt, das alles Wissen hat, alles Geld und alle Kompetenzen, um die Mall so zu gestalten, dass sie optimal für die Maximierung des Profits ist. Im öffentlichen Raum gibt es dagegen Einzelhändler, den Denkmalschutz, die Fahrradfahrer-Lobby, die politischen Parteien. Da sind viel zu viele Akteure dabei, ganz viele Konkurrenten. Doch diese Konkurrenz und diese Vielfalt machen letztlich die Stadt auch interessant. "Stadt" ist nun mal nicht bequem. Das ist eine Ambivalenz, die nicht aufgelöst werden kann. Man kann nicht die ordentliche Stadt haben und trotzdem eine aufregende Stadt. Das funktioniert nicht.

 

Jan Wehrheim ist Professor für Soziologie am Institut für soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen. Er studierte ursprünglich Sozialwissenschaften in Göttingen und Entwicklungspolitik in Bremen. Wehrheim hat unter anderem das Buch "Shopping Malls – Interdisziplinäre Betrachtungen eines neuen Raumtyps" herausgegeben sowie zahlreiche Texte über die Kontrolle durch den Staat, innere Sicherheit und öffentliche Räume. Der 47-Jährige lebt in Essen und Bremen.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


15 Kommentare verfügbar

  • Knights in white satin, never reaching the end...
    am 10.10.2014
    Antworten
    Als ich früher immer zum Zoll in der Wolframstraße fuhr, traf ich dort immer Menschen, die die Dokumente kontrollierten und bearbeiteten, die ich vorlegte. Die hatten sicherlich dort Arbeitsplätze... Ich lasse die Jugend immer gerne vor. Ob sie es besser machen? Mir egal. Die Ersten werden ganz…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!