Selbst das Innenministerium hält eine Abschiebung für verboten, wenn unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht. Und eigentlich müssten sich alle nur selber beim Wort nehmen: die Staaten Zentral- und Südosteuropas, die sich schon 2005 auf eine Dekade zur Inklusion der Roma verpflichtet hatten; die regionalen Parlamente auf dem Westbalkan, die Entscheidendes voranbringen wollten im Kampf gegen Armut, Ausgrenzung und Ächtung; die EU, die 200 Millionen Euro Integrationshilfe versprochen hat, jetzt aber mehr als ein Drittel davon zur Hilfe nach der Jahrhundertflut im Frühsommer umdeklariert; oder die grün-rote Landesregierung mit ihrem "im Bewusstsein der besonderen geschichtlichen Verantwortung" geschlossenen Staatsvertrag mit Sinti und Roma. "Der Antiziganismus ist noch immer existent und nicht überwunden", heißt es in der Präambel. "Wir bringen unser Land nach unseren ethisch-moralischen Vorstellungen einen großen Schritt voran", lobte sogar Landtagspräsident Guido Wolf (CDU) bei der Unterzeichnung vor einem Jahr. Mehr als hundert Roma sind seither auf den Westbalkan abgeschoben worden, zuletzt 14 Ende September aus Freiburg.
Deutlich mehr Flüchtlinge verlassen das Land freiwillig, in der Hoffnung auf Prämien und auf den Drehtüreffekt. "Es gilt das Primat der Rückführung", erläutert Andreas Linder, der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Denn wer sich nicht abschieben lässt, darf wieder einreisen. Mit dem Direktbus aus Belgrad in gut 20 Stunden nach Ulm, Stuttgart oder Mannheim beispielsweise, um vor einer Entbindung nicht um einen Platz in einem serbischen Krankenhaus kämpfen zu müssen. Für den Westbalkan besteht kein Visumzwang mehr bei der Einreise in die EU, mit der Republik Kosovo wird noch verhandelt. "Dann werden weitere Roma die Gelegenheit zur Ausreise nutzen", ist die Tübinger SPD-Abgeordnete und europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Rita Haller-Haid, überzeugt. Und niemand dürfe es gerade Eltern übel nehmen, wenn sie ihren Kindern ein besseres Leben bieten wollten.
Rot-Grün auf den Spuren der hartherzigen CDU-Politik
Wer in der Hoffnung darauf nach Baden-Württemberg kommt, durchläuft sein Asylverfahren und genießt Flüchtlingsschutz. Bei Abschiebungsverboten, etwa Krankheit, "erteilt die Ausländerbehörde in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen oder eine Duldung", erläutert das Innenministerium. In der Theorie sind die über das Asylrecht hinausgehenden Bleibegründe klar geregelt. Ausländer werden als Flüchtlinge anerkannt, wenn sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung nicht nur wegen Rasse, Religion, Nationalität oder politischer Überzeugung in Deutschland befinden, sondern auch wegen "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe".
In der Praxis hat Baden-Württemberg der CDU seit Jahrzehnten einen Spitzenplatz im Ranking der Hartherzigen zu verdanken. "Ich kann Ihnen ein Geheimnis verraten", brüstete sich Lothar Späth schon 1980 im Bundesrat, "es gibt nur ein Land, in dem die Zahl der Asylbewerber gesunken ist, und das ist Baden-Württemberg." Der Grund: Als bundesweiter Vorreiter hatte das Land Arbeitserlaubnisse versagt. "Was Wunder gewirkt hat", wie der Landesvater stolz verkündete. Zur gleichen Zeit wurde die Unterbringung im Land neu geregelt. Damals ging es vor allem um Türken: "Die blieben jetzt weg, weil sie keine Arbeitserlaubnis erhalten und nicht mehr ihre Kontaktadressen anlaufen können, sondern sich in eines der sieben neuen Sammellager begeben müssen."
Eine Tradition, an der bis heute festgehalten wurde, selbst von Grün-Rot. Flüchtlingsorganisationen und Unterstützerkreise kritisieren scharf, aber vergeblich das dreistufige Unterbringungssystem. Der Südwesten sei ein "Lagerland", heißt es in einschlägigen Informationen, weil auf die komplett aus dem Landesetat finanziert Erstaufnahme eine von den Stadt- und Landkreisen getragene weitere Unterbringungsphase in vergleichsweise großen Einheiten folgt und Flüchtlinge erst danach –in den allermeisten Fällen von der Sozialhilfe unterstützt – in kleine Einheiten und Wohnungen ziehen dürfen. "Dieses System führt zu einer massiven Ausgrenzung der BewohnerInnen", urteilt Pro Asyl in einem aktuellen Vergleich der Lebenssituation von Flüchtlingen innerhalb der Bundesrepublik. Zwei Zahlen unterstreichen die Auswirkungen: Im benachbarten Rheinland-Pfalz leben rund 90 Prozent der Asylbewerber in Wohnungen; Baden-Württemberg nimmt mit 33,5 Prozent den letzten Platz unter allen Bundesländern ein. Immerhin wird positiv hervorgehoben, dass die Landesregierung die Fläche von den in vielen anderen Ländern üblichen 4,5 auf sieben Quadratmeter pro Bewohner erhöht hat. "Diese Fläche ist kein Luxus", so Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). Wieder ein Satz, der ihr jede Menge Ärger einbrachte mit der Opposition.
Deutschland bleibt für Roma das Ziel der Träume
Trotz solcher Abschreckungsstrategien bleibt Deutschland für Zehntausende Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien das Ziel der Träume, erst recht seit vor zwei Jahren – nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts – das Taschengeld von 40 auf 130 Euro erhöht wurde. "Bei uns verdient ein Lehrer nur das Dreifache", weiß der Stadtführer in Belgrad, der baden-württembergische Abgeordnete durchs postkommunistische Leben in der serbischen Hauptstadt führt. Ende September, als sich der Europaausschuss des Landtags einen Eindruck der Lage verschaffte, rühmte die serbische EU-Beitrittsunterhändlerin nicht nur die Schwulenparade, die geschützt von einem riesigen Polizeiaufgebot in der völlig abgesperrten Innenstadt stattfand, sondern hob auch hervor, dass es keine Prügeleien von Ultras gegeben habe oder wie "nationale Ausflüge inzwischen ohne Exzesse stattfinden". Als "Pointe der Geschichte" vergisst sie nicht zu erwähnen, dass Serbien seine Minderheiten besser behandle als das EU-Mitglied Ungarn. Letzterem fühlte sich Baden-Württemberg entlang der Donau trotz der rechten Tendenzen, der Einschränkung von Justiz oder Pressefreiheit, der Jagd auf Minderheiten weiterhin eng verbunden. Eben erst "erörterte", wie es in der Schlusserklärung heißt, eine Stuttgarter Parlamentsdelegation in Budapest Fragen der "Integration der Roma-Bevölkerung", um Konkretes aufs nächste Jahr zu verschieben – dann werde man sich "dieses Themas intensiv annehmen".
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Don't worry - be disdusted
am 13.10.2014Long live Edward Snowden.