"Paukenschlag in der letzten Gemeinderatssitzung dieses Jahres", so beginnt der Artikel der "Schwäbischen Zeitung" Ende 2020 über einen neuen Höhepunkt an Demokratieferne und Regelwidrigkeit im Gemeinderat der Stadt Trossingen (16.856 Einwohner, Landkreis Tuttlingen). Ein Paukenschlag in der Tat: Denn erst jetzt und nachdem alle relevanten Beschlüsse schon in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen worden waren, erfahren die Trossinger: Ihr Gemeinderat hat hinter verschlossenen Türen und in grober Verletzung des Öffentlichkeitsgebots der Gemeindeordnung Baden-Württemberg beschlossen, dass sich eines der asozialste Unternehmen der Welt, die Firma Amazon, in Trossingen ansiedeln darf. Alle Entscheidungen sind schon gefallen, die dazugehörigen Verträge geschlossen, bevor die Öffentlichkeit überhaupt nur von diesem Vorhaben erfährt.
"Als am Montagabend erstmals öffentlich über das Vorhaben gesprochen wurde", schreibt die "Schwäbische Zeitung", "war die Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung schon gefallen. Der Gemeinderat hatte die Amazon-Ansiedlung mehrheitlich abgenickt, die Stadt das rund fünf Hektar große Gelände im Gewerbegebiet Greut zwischen Hirschweiden und der Christian-Messner-Straße bereits verkauft. Erste Beratungen über das Projekt hatte es bereits vor der Sommerpause unter dem ehemaligen Bürgermeister Clemens Maier gegeben."
Wo kein Kläger, da eben Amazon
Ein vergiftetes Erbe, das der ehemalige Trossinger Schultes da hinterlassen hat und für das er nicht mehr geradestehen muss. Am 6. Dezember 2020 wurde Susanne Irion zur neuen Bürgermeisterin gewählt. Clemens Maier hat am 2. November 2020 sein neues Amt als Bürgermeister für Sicherheit, Ordnung und Sport in Stuttgart angetreten.
Es besitzt schon besonderen Unterhaltungswert, zu lesen, wie die "Schwäbische Zeitung" ("SchwäZ") ihren LeserInnen diese Riesensauerei beizubringen versucht. Dabei ist es natürlich hilfreich, wenn Hauptamtsleiter Ralf Sulzmann der Zeitung und LeserInnen folgenden Dummfug erzählt: "Beratungen über Grundstücksverkäufe, bei denen es auch um Konditionen geht, sind grundsätzlich nicht-öffentlich."
Das ist nur teilweise zutreffend. Ganz klar gehören Details zum Grundstücksverkauf und dessen Konditionen in den nichtöffentlichen Beratungsbereich; aber die grundsätzliche und weitreichende Entscheidung, einem umstrittenen Mega-Konzern fünf Hektar Gewerbefläche in Trossingen zur Verfügung zu stellen, hätte öffentlich beraten werden müssen. Aber: Wo kein Kläger, da eben Amazon.
Das Grundstück besäße "schwierige Hanglage" nebst 25 Metern Gefälle und habe deshalb bisher als unverkäuflich und "quasi wertlos" gegolten, rechtfertigt CDU-Fraktionssprecher Clemens Henn den Verkauf. Zum anderen, zitiert ihn die Lokalzeitung, ließe sich der Trend zum Online-Handel ohnehin nicht umkehren, "ob sich Amazon nun in Trossingen ansiedelt oder nicht". Hätte man das Gelände nicht an den Online-Riesen verkauft, so die Sorge, hätte der sich womöglich in Aldingen angesiedelt und die Trossinger hätten den Lieferverkehr abgekriegt. Was ist also näherliegend als die Überlassung von Gemeindegrund an ein Unternehmen, dessen soziales, fiskalisches, ökonomisches und ökologisches Zerstörungspotential man kennt?
Bloß nicht "die Wirtschaft" verschrecken
Clemens Maier, zur Causa Amazon per Interview befragt, sagt denn auch einige durchaus bemerkenswerte Sätze: Er könne natürlich – weil nicht mehr im Amt – jetzt nur noch durch seine "persönliche Einschätzung" helfen, "die Diskussion etwas zu versachlichen." Beispielsweise: "In der Diskussion sollte grundsätzliche Kritik am Geschäftsmodell von Amazon nicht mit der konkreten Ansiedlung vor Ort vermischt werden." Ah ja. Außerdem kaufe ja eh jeder bei Amazon ein.
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Zaun Gast
am 17.01.2021