Mit verstärkter Polizeipräsenz, hartem Durchgreifen und noch mehr Kontrollen wollen nun fast alle die Probleme bekämpfen, die in der "Stuttgarter Krawallnacht" vom 20. zum 21. Juni ans Tageslicht gekommen sind. Gefragt wird längst nicht mehr nach dem Anteil der Polizei an der Explosion der Gewalt, gefragt wird jetzt, wie viele der Festgenommenen einen Migrationshintergrund haben. Das will die CDU-Fraktion im Gemeinderat wissen.
Und wenn es die Hälfte wäre, wie anfangs zu hören, dann entspräche das genau der Zusammensetzung der Stadtgesellschaft, vor allem in der jüngeren Generation. Was wäre mit der Auskunft gewonnen? Menschen wissen zu lassen, dass sie nicht dazugehören, wird gewiss nicht helfen, sie zu integrieren, vielmehr die Stadtgesellschaft spalten in zwei gleiche Hälften: "wir" und "die anderen" – die aber alle in Stuttgart zu Hause sind.
Christoph Ozasek hat da eine andere Idee. Der studierte Sozialwissenschaftler und linke Gemeinderat, Jahrgang 1986, bewirbt sich um die Nachfolge von Martin Schairer, des Bürgermeisters für Sicherheit, Ordnung und Sport, der nach den Regularien, zu denen er angetreten ist, Ende Oktober nach Erreichen des 68. Lebensjahrs in den Ruhestand geht. Der CDU-Politiker Schairer ist gewiss kein Law-and-Order-Mann, der mit einer Nulltoleranzpolitik auf sich aufmerksam gemacht hätte. Er ist Jurist, war Richter, Staatsanwalt und, bevor er 2006 Bürgermeister wurde, sieben Jahre lang Polizeipräsident.
Aber vielleicht liegt genau da das Problem: dass sich mit polizeilichen Maßnahmen zwar Ruhe herstellen lässt, die eigentlichen Probleme damit aber nicht gelöst werden. Ozasek setzt auf Ursachenforschung. Er möchte wissen, wie es kommt, dass offenbar mehr junge Männer, als bisher irgendjemand für möglich gehalten hätte, so viel Hass angesammelt haben, dass sie zu Marodeuren werden oder den Randalierern Beifall spenden. Stuttgart hatte mal ein erfolgreiches Streetworking-Programm, das vor vier Jahren gestrichen wurde. Das möchte er wieder einführen.
"Was bewegt die jungen Menschen", will Ozasek wissen, "wie hat sich die Situation so entwickeln können, dass sie sich abgehängt fühlen?" Kein Mensch soll sich als Bürger zweiter Klasse fühlen, meint er. Er erinnert an die Black-Lives-Matter-Bewegung: ein Aufschrei, wie er sagt, dass in unserer Gesellschaft etwas nicht stimmt. "Es ist inakzeptabel", schreibt er in seinem Zehn-Punkte-Programm, mit dem er sich nun für das Amt bewirbt, "dass Menschen anderen Glaubens oder anderer Hautfarbe sich in unserer Stadt nicht sicher fühlen."
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Nina Picasso
am 22.07.2020