Und plötzlich steht er vor uns, der neue Mitbewohner. Er hat sich schick gemacht, gebügelte Hose, weißes Hemd, gestriegeltes tiefschwarzes Haar. Seine dunkelbraunen Augen wandern unsicher zwischen meinen Eltern und mir hin und her. Einen "typisch deutschen" Empfang wollte man ihm bereiten. Rote Wurst und Bier. Schwäbische Willkommensliebe. Da sitzen also drei Schwaben und ein Syrer zusammen an einem lauen Sommerabend und tasten sich Schritt für Schritt vor. Darf es noch etwas sein? Nein, nein – vielen Dank. Schwäbisch unsichere Überschwänglichkeit trifft arabisch höfliche Zurückhaltung. Die Unterhaltung wird wild gestikulierend untermalt, um den kryptischen Worten dieser neuen, fremden Sprache Klarheit zu verleihen. Fotos werden getauscht, eine Führung durch Haus und den Garten, schau mal da, unsere zwei Katzen! Der neue Mitbewohner nickt eifrig. Verstehen tut er damals wenig. Frühjahr 2016. Der 25-jährige Syrer Alaa Aljarmakany wird von nun an im selben Haus mit uns wohnen. Ein Jahr zuvor hätte er nie daran geglaubt, jemals nach Deutschland zu kommen.
Alaa, in Deutschland träumen viele Kinder davon, eines Tages Lokführer zu werden. War das auch dein Kindheitstraum?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin in Syrien nie Zug gefahren. Da gibt es keine Eisenbahnen wie hier. Nur ein, zwei alte Strecken, ein paar wenige Bahnhöfe in den größeren Städten. Lokführer kommt deshalb gar nicht in Frage. Ich wollte Jurist werden.
Und doch bist du jetzt Lokführer. Was haben deine Eltern dazu gesagt?
Sie waren überrascht. Mein Vater hat gefragt, ob das nicht unangenehm für mich ist. In Syrien ist Lokführer kein angesehener Beruf. Er hat sich gewünscht, dass ich Jurist werde. Aber als ich ihnen erzählt habe, dass Lokführer hier ein guter Beruf ist, da haben sie gesagt: Mach das.
Wenn in Syrien kein Krieg ausgebrochen wäre, wie sähe dein Leben gerade aus?
Vielleicht wäre ich ein guter, berühmter Rechtsanwalt geworden. Das war mein Traum. Aber… (zögert) das hat leider nicht geklappt.
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