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OB-Wahl in Konstanz

Wahlkampf im Paradies

OB-Wahl in Konstanz: Wahlkampf im Paradies
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Der Stuttgarter Stadtrat Luigi Pantisano möchte Oberbürgermeister von Konstanz werden. Seit Monaten macht er Wahlkampf, seit einem auch nicht-digital. Etwa mit Gartengesprächen, zu denen man den Kandidaten buchen kann.

Es ist herrlich in diesem Garten mit den Rosenbüschen und dem alten, knarzigen Apfelbaum. Wie passend, dass dieses Fleckchen Erde mitten im Konstanzer Stadtteil Paradies gelegen ist. Etwa 15 Gäste sind an diesem Freitagnachmittag gekommen zum Gartengespräch bei Blechkuchen auf rotkarierter Tischdecke. Eingeladen hat Luigi Pantisano, SÖS-Stadtrat aus Stuttgart, der in Konstanz zur OB-Wahl kandidiert und gerade vorstellt, was er mit der Stadt so vorhat: Bürger einbinden in Entscheidungen, klimaneutrale Stadt bis 2030, autofreie Innenstadt, Anwohner-Parken in bestehenden Parkhäusern, abschließbare Fahrradboxen, damit Lastenräder oder teure E-Bikes nicht auf dem Gehweg rumstehen, sondern sicher verstaut werden können. Er lächelt und breitet die Arme aus. Die Paradiesler mögen ihn.

Seit Monaten macht Pantisano Wahlkampf in der Stadt am See. Erst digital, weil die Wahl eigentlich Anfang Juli stattfinden sollte, dann aber coronabedingt auf den 27. September verschoben. Seit einem Monat läuft seine offizielle Wahlkampagne. Anfangs war er als der bunte Hund im Rennen, eine sozial-ökologische Ausrichtung war bisher eher kein Garant, um Bürgermeisterwahlen zu gewinnen. Mittlerweile könnte er tatsächlich Chancen haben, obwohl seine Konkurrenz (alles Männer) durch die Bank weg ebenfalls mit Klimaschutz und Weltoffenheit zu punkten versucht. So richtig wahlkämpfend präsent allerdings ist bisher keiner von ihnen.

Der amtierende OB Ulrich Burchardt (CDU), Pantisanos wohl stärkster Gegner, hat zwar als erster bundesweit einen Klimanotstand für seine Stadt ausgerufen, der aber eher zahn- und ziellos daherkommt. Andreas Matt, bisher Landesgeschäftsführer beim CDU-Wirtschaftsrat in Sachsen-Anhalt, tritt parteilos an und "mit Leidenschaft für ein ökologisch vorbildliches, ökonomisch erfolgreiches und lebenswertes Konstanz". Dazu kommt der Architekt Felix Müller ("Aus Hamburg gekommen, wegen Konstanz geblieben"), Mitbegründer der Fridays-for-Future-Bewegung in der Stadt. Aktuell hat sich noch Andreas Hennemann ins Rennen geworfen, Rechtanwalt, SPDler, Wahlkampfslogan: "Die ganze Stadt im Blick".

"Eigentlich müsste ich es werden"

"Ich habe schon mit so vielen Leuten gesprochen, ich lerne so viel über die Stadt. Eigentlich müsste ich es werden", sagt Pantisano immerhin mit verschmitztem Lächeln, mittags beim Rundgang durch den Stadtteil Öhmdwiesen, in dem er mal gearbeitet hat. "Was man als OB für einen riesigen Apparat hat!" Er ist ganz verzückt, wenn er darüber nachdenkt, was man mit dem alles umsetzen könnte. "Ein OB ist Chef der Stadtverwaltung. Und das bin dann ich!" Bei soviel Pathos muss er selber seufzen.

Pantisano ist bekannt in Konstanz. Bis 2012 war er Quartiersmanager im Öhmdwiesen-Gebiet. An eine Garagenwand hat vor Jahren einmal einer den Schriftzug "Streetdogx" gesprayt. Damals eine der rivalisierenden Jungs-Gangs, die immer an der Bushaltestelle rumhingen und Wettrennerles mit der Polizei veranstalteten, erzählt Pantisano und zeigt auf die unschuldig aussehende Bushaltestelle zwischen Sechzigerjahre-Wohnblocks, auf deren Balkonen sich bunte Windräder drehen und Tomaten in den Himmel wachsen. Es ist leise, weil verkehrsberuhigt, hinter einer Reihe Garagen beginnt das Naturschutzgebiet. So sieht ein Problemviertel aus in einer reichen Stadt, die eigentlich keines hat.

Als das Gebiet noch als Brennpunkt verschrien war, hieß es, wenn man die Riedstraße entlangfährt, wird man erschossen. Heute lauern die Gefahren im Straßenverkehr und auf der "Hüpfinsel", einer Verkehrsinsel zwischen den Fahrspuren, auf die hüpfen kann, wer schnell ist und kein Rad, womöglich noch mit Anhänger, dabei hat. Das passt nicht drauf. "Sowas kommt raus, wenn man Planung nur aus der Windschutzscheibe betreibt", sagt der studierte Architekt und Stadtplaner. Ein Satz, den er an diesem Tag noch drei Mal wiederholen wird.

Unterstützung von der Clown-Akademie

Morgens war er auf dem Markt unterwegs, danach beim Handelsverband. Um kurz nach zwei läuft Pantisano zum nächstem Termin durchs Industriegebiet – viel Pharma sei da früher gewesen, heute siedeln sich dort kleine Digital-Unternehmen an. "Ah, kuck mal", ruft er und zeigt auf ein Gebäude am Straßenrand, in der die Clown-Akademie residiert. "Die unterstützen mich auch." Ebenfalls die Konstanzer Linken und Grünen. Letztere vertreten die Mehrheit im Konstanzer Gemeinderat.

An der Uni war er auch schon zu Gesprächen. Rausgekommen sei, sagt Pantisano, dass sich die Studenten nicht so recht zur Stadt gehörig fühlen. "Obwohl auf dem Ortsschild Universitätsstadt Konstanz steht". Dabei sei da so viel Potenzial! Digitalfirmen könnte man mit der Uni entwickeln, die grünes Bauen ermöglichen! Pantisano ist ganz angetan. In seinem Leitbild 2030 hat er den Studierenden und Uni-Leuten gleichmal ein Denkmal gesetzt und möchte einen "Beratenden Ausschuss mit Studierenden und Vertreter*innen der Hochschulen" einrichten. Und wo man schon bei den Jungen ist: Konstanz brauche dringend, also dringend, einen Jugendgemeinderat mit Antrags- und Rederecht im Gemeinderat.

Zwei Stunden Stau bis Konstanz

Es ist dreiviertel drei, Cyber Lago, eine Firma mit dem Untertitel "digital competence network" steht auf dem Plan. Das Gebäude liegt so direkt am See, dass, wer Mut und einen beherzten Hüpfer aufbringt, theoretisch aus dem Fenster ins Wasser springen könnte. Macht aber keiner, weil Wasserstand nur knöcheltief. Die Wand ist gepflastert mit Zertifikaten und Urkunden, auf dem Fenstersims steht ein Preis in Pyramiden-Form mit gefährlich spitzer Spitze. Man duzt sich. Er kucke grade immer mal nach Eigentum, erzählt der Geschäftsführer, allerdings vergeblich in Konstanz. Viel zu teuer. "Da haste dann was in Stockach gefunden, aber dann biste halt in Stockach", sagt er. "Und stehst zwei Stunden im Stau bis Konstanz", sagt Pantisano. Der Geschäftsführer: "Aber es geht nicht, die Mieten in der Stadt zu senken." Pantisano: "Oh. Doch, das geht schon. In Berlin geht es auch."

Dann kommt der Vorstandsvorsitzende der Firma. Er habe schon Suchmaschinen-Marketing gemacht, da gab es Google noch nicht, sagt er und dass es "Clusterinitiativen gibt, die eine immense Taktzahl bieten, was Events betrifft". "Mehr Speed" in Sachen Digitalisierung wünscht er sich von der Politik. Draußen vor dem Fenster paddelt einer auf einem Surfbrett vorbei. "Klimaschutz und Digitalisierungsprozesse passen sehr gut zusammen. Da entsteht gerade etwas, was wir hervorheben müssen", sagt Pantisano. ­"Absolut", sagt der Chef.

Für den Termin ist ein Kreisvorstand der Grünen dabei, ein drahtiger Kerl, sympathisch, guter Laune. Die Sache mit "mehr Speed" könne er voll und ganz unterschreiben, wird er später sagen. Unter dem amtierenden OB gehe zu wenig voran und mittlerweile sei der Bedarf nach etwas neuem, nach Mut und Veränderung, spürbar. Konstanz, sagt der Grüne, verleite zu politischer Bequemlichkeit – und zu Poesie: "Der See ist da und geht nicht weg, die Stadt ist schön, die Leute kommen", sagt er.

Mitten durch die Fahrradstraße

Draußen, es ist kurz nach vier, meldet sich Pantisanos Handy: "Dein Gartengespräch wartet auf dich." Plötzlich wird's hektisch, weil der digitale Kalender behauptet, das Gespräch warte schon seit halb vier, statt erst um halb fünf anzufangen. Also schnell im Taxi ins Paradies zum Garten. Verdammt, so ein Ärgernis. Zuspätkommen, und dann auch noch selber, kann Pantisano überhaupt nicht leiden. Das Taxi fährt falschrum durch die Fahrradstraße. "Na toll", grummelt Pantisano.

Zu seinem Wahlkampfauftakt, eigentlich geplant für den 5. Juli, wollten so viele Menschen kommen, dass der Termin abgesagt werden musste: aus Platzgründen. Dafür gibt es jetzt die Gartengespräche, zu denen man Pantisano buchen kann. An diesem Nachmittag gibt es gleich zwei interessierte Gruppen. Die erste hat schon was vorbereitet und unter dem Stichwort "Pünktlichkeit" Wünsche und Forderungen auf ein großes Blatt Papier geschrieben und mit Wäscheklammern an eine Wäschespinne geklemmt. "Nicht zu viel zubauen" steht da. Oder: "Im Sinne von Umwelt (Klima) tatkräftig die Verkehrsprobleme lösen".

Pantisano setzt sich geknickt, schämt sich kurz, dann erzählt er von der Planung durch die Windschutzscheibe, was alles zu erreichen wäre, wenn BürgerInnen, Politik und Verwaltung zusammen arbeiten würden, von all dem Platz, den es gebe, wenn in Konstanz' Innenstadt nur noch Anwohner Autofahren würden. "Und wenn Radolfzell den Bus für einen Euro anbietet", sagt Pantisano, "dann können wir das doch auch." – "Na klar!", ruft einer. Und Pantisano lächelt wieder.


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2 Kommentare verfügbar

  • romi Konstanz
    am 23.09.2020
    Antworten
    Also setze ich mich für eine autofreie Innenstadt ein und dränge das Auto weiter zurück.
    Aber wenn ich mich in meinem Wahlkampf verspäte, rufe ich schnell ein Auto (Taxi) innerhalb der engeren Stadt und lasse mich ins Paradies zum Gartenwahlkampfgespräch fahren.
    Sehr schwach! Mit dem Fahrrad hätte…
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