Und der schlägt sich jetzt, zusammen mit dem Kreistag, mit Wolfs Erbe herum. Ohne dies namentlich zu machen, denn sonst müssten sie alle eingestehen, sich als Mitläufer haben blenden zu lassen. Die Fakten: Einer der wirtschaftlich stärksten Landkreise im Land ist hoch verschuldet, die Anpassung des Klinikums entpuppt sich als größte Belastung, Sozialprobleme, Versäumnisse in der Jugendpolitik werden entdeckt, wo bisher heile Welt proklamiert worden war. Wolfs Steckenpferd namens Hochschule in Tuttlingen, als dritter Teil im Bunde mit Furtwangen und Villingen-Schwenningen, ist am Zersplittern. Die Gäubahn hofft immer noch auf die seit Jahren von Wolf verkündeten Zweigleisigkeit. Statt schneller werden Züge immer langsamer.
Da verwundert es doch sehr, wenn Wolf im Wettstreit mit Thomas Strobl seine kommunalpolitische Erfahrung preist und damit punktet. In Wirklichkeit ist er ein Unvollendeter, der plötzlich mit über 50 die Chance zur politischen Karriere sieht. Oberbürgermeister in Weingarten ist er nicht geworden, Erster Hauptamtlicher Bürgermeister war er in Nürtingen, also nicht vom Volk gewählt. Zwei Jahre vor Ablauf der Amtszeit wurde er Landrat in Tuttlingen, nach der Wiederwahl war er ein Jahr später wieder weg.
Aber da ist ja noch sein zweites Gesicht: "Nahe bei den Menschen." Das hat er, mantramäßig vorgetragen, von seinem Vorgänger Franz Schuhmacher, dessen Beliebtheit er nie erreicht hat, was womöglich auch daran liegt, dass er zwar gut reimen kann, aber viele "kleine Leute" nicht wirklich überzeugt. Wenn er "zuhören, kämpfen und ihre Probleme ernst nehmen" will, dann lohnt ein Blick auf das kreiseigene Freilichtmuseum, wo für den Landrat ein eigener Parkplatz reserviert wurde.
Dann muss man ihn als Abgeordneten sehen, dem der "Landtagspräsident" wie eine Monstranz vorausgetragen wird. Volksnähe demonstriert er auch gerne durch Klöppeln auf dem Xylofon inmitten einer Stadtkapelle oder mit einer Dichterlesung mit seinem Büchlein "Politikergeschwätz", das auch eine Persiflage auf eigene Gastspiele als Lobsager auf zahlreichen Vereinsbühnen sein könnte.
Die Nähe zum Volk – wer's glaubt, wird selig
Wolf genießt es, zu erleben, wie sich die lokale Prominenz eines Landrats plötzlich auf das ganze Land ausdehnen lässt. Und das auch noch mit dem Nimbus eines bisher nie sonderlich beachteten Landtagspräsidenten. Als einziger verbliebener Amtsträger der in die Opposition verbannten CDU ist er auf einmal die Verkörperung der Partei. Und so macht er überall den Landeslandrat.
Es gibt nicht wenige Leute, die ihn für so etwas wie einen Oberministerpräsidenten halten und Bitten und Vorschläge an den vermeintlich regierenden Landtagspräsidenten richten, der den Kümmerer gibt. Er lässt den "kleinen Leuten" ihren Glauben. Er, der bisher nicht nur dem Alphabet nach Hinterbänkler im Plenum war. Auf einmal ist überall vorne, wo Guido Wolf ist. Andere haben zurück in die Reihe zu treten. Was der bisherige Fraktionsvorsitzende Peter Hauk erst lernen musste, wird Wolf anderen sicher schneller beibringen, wenn sie in seinem neuen, größeren Revier geduldet werden wollen. Denn das von ihm als besondere Tugend genannte Zuhören hat enge Grenzen.
Jetzt, da er sich in der Partei Leitern schafft, um Ministerpräsident Kretschmann "auf Augenhöhe entzaubern" zu können, hat Wolf wahr gemacht, was er seinerzeit als Verlegenheitslösung der CDU auf dem Posten des Landtagspräsidenten angekündigt hatte: Ein "politischer Landtagspräsident" wolle er sein. Bis jetzt sieht noch alles nach Tuttlinger Landratsamt aus.
Jochen Kastilan war 20 Jahre bis ins Jahr 2000 Redaktionsleiter der "Schwäbischen Zeitung" in Spaichingen.
12 Kommentare verfügbar
Matthias Wonde
am 16.01.2015man muss Herr Wolf nicht mögen - bei aller berechtigter Kritik am neuen Spitzenkandidaten der CDU : manchmal aber lohnt es sich auch hinzuschaun, wer kritisiert und aus welchem Interesse heraus.
Herr Kastelan ist hier in meiner "Arbeits"stadt Spaichingen recht bekannt, als ein…