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Zurück in Ouagadougou

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Für Studierende aus dem Ausland wird es ab nächstem Semester teuer in Baden-Württemberg. Mahamadou Famanta, Germanistikstudent aus Burkina Faso, war fünf Monate an der Uni Stuttgart. Für Kontext beschreibt er seine Eindrücke.

Bei Temperaturen über 20 Grad kam ich Ende Februar um zehn Uhr abends in Ouagadougou an, nach elf Stunden Flug mit vier Stunden Zwischenstopp in Istanbul. Morgens war ich bei angenehmen 15 Grad vom Flughafen Echterdingen gestartet – bei uns wird es überhaupt nicht kälter, doch in Stuttgart hatte ich schon Schlimmeres erlebt. Obwohl ich weiß, wie warm es in meinem Land Anfang März ist – tagsüber bis zu 40 Grad – musste ich mich an den Staub und die Hitze erst wieder gewöhnen.

Fünf Monate: So lange war ich noch nie von zu Hause weg. Ich habe zuerst meine Familie besucht, die in Boudieri, ganz im Osten des Landes lebt, ungefähr 400 Kilometer von Ouagadougou entfernt. Wegen des schlechten Straßenzustands dauert die Fahrt mit dem Bus fast zehn Stunden. Als ich 2015 zum ersten Mal in Deutschland war, zu einem vierwöchigen Sommerkurs in Frankfurt, sind mir sofort die vielen Verkehrsmittel aufgefallen, die einem die Fortbewegung sehr leicht machen.

Meinen Aufenthalt in Stuttgart – wie auch schon in Frankfurt – verdanke ich einem Forschungsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD). Es gibt eine Partnerschaft der Germanistikabteilungen an den Universitäten von Ouagadougou und Stuttgart, die vom DAAD im Rahmen des Programms Germanistische Institutspartnerschaften (GIP) finanziert wird. Viele Studenten wie ich sehen in einer Förderung durch den DAAD eine große Chance.

Seit 1982 kann man in Burkina Faso Germanistik studieren. Die Universität, 1974 gegründet, benennt sich seit Ende 2015 nach Professor Joseph Ki-Zerbo, dem renommierten Historiker, der durch seine 1978 veröffentlichte "Geschichte Schwarz-Afrikas" hohes Ansehen erlangt hat. Deutsch wird in Burkina Faso am Gymnasium unterrichtet, als zweite Fremdsprache nach Englisch. 

Ich bin in Pama aufs Gymnasium gegangen, einer Kleinstadt ebenfalls ganz im Osten des Landes. Aufgewachsen bin ich im nahe gelegenen Dorf Tounga. Die Grundschule habe ich in Kompienbiga besucht, vier Kilometer entfernt, wo es auch ein kleines Krankenhaus gibt. Tounga hat erst seit 2006 eine Grundschule. Unsere Familie lebt vom Fischfang und Fischhandel. In dem kleinen Dorf leben viele Fischer, denn es liegt an einem der wichtigsten Staudämme Burkinas, der auch einen Teil des Landes mit Strom versorgt.

Boudieri, wo meine Eltern jetzt leben, ist ebenfalls ein kleines Fischerdorf. Sie sind 2011 dorthin gezogen, denn es gibt auch dort einen kleinen Stausee. Die Naturreservate und Nationalparks in den Grenzgebieten zu den Nachbarländern Niger und Benin gehören zu den größten und artenreichsten in ganz Westafrika. Viele Ausländer kommen zum Jagen, manche machen auch Ausflüge. Burkina achtet darauf, dass die Artenvielfalt erhalten bleibt. Manchmal kommt es zu Problemen, weil Elefanten die Felder der Bauern zerstören. Neuerdings hat man Techniken entwickelt, um solche Fälle zu minimieren.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Germanistikstudenten ständig gestiegen, wohingegen es nur wenige Dozenten gibt und die Räume viel zu klein geworden sind. Als ich im Wintersemester 2012/13 angefangen habe, waren wir im ersten Semester noch kaum mehr als 200. Drei Jahre später, im akademischen Jahr 2015/16, gab es über 600 Studienanfänger. Dass so viele Studenten ein Seminar eines einzigen Dozenten besuchen, ist in Deutschland undenkbar. Das führt zu Verzögerungen. Für ein Bachelorstudium, das normalerweise drei Jahre dauern sollte, braucht man inzwischen mindestens vier Jahre.

Das Studium ist bei uns etwas anders strukturiert als in Stuttgart. Dort gibt es Institute unter anderem für Neue Deutsche Literatur I und II oder Linguistik. Wir haben dagegen nur eine einzige Germanistikabteilung mit den Hauptfächern Literatur, Linguistik und Landeskunde. Im zweiten Jahr müssen die Studenten zwei Hauptfächer wählen. Ich habe mich für Literatur und Linguistik entschieden und meine Bachelorarbeit in Literatur über die deutschsprachige Afrika-Literatur und ihre afrikanische Rezeption aus postkolonialer Perspektive geschrieben. Im Moment unterrichte ich an einem Gymnasium in Ouagadoudou und mache zugleich den Master. Weiter kann man Germanistik in Ouagadougou derzeit nicht studieren.

Sehr unterschiedlich sind auch die Bibliotheken. Allein die Institutsbibliothek für Literatur und Linguistik in Stuttgart ist schon größer als die gesamte Universitätsbibliothek in Ouagadougou. Auch ist der Zugang viel einfacher. Wenn wir eine wissenschaftliche Arbeit schreiben wollen, ist das für uns in Ouagadougou ein großes Problem: Die Bibliothek unserer Abteilung ist viel zu klein, und in der Uni-Bibliothek sind deutschsprachige Bücher kaum zu finden.

Während man in Stuttgart schon von zu Hause aus online recherchieren und Bücher bestellen kann, oder per Fernleihe, wenn ein Buch nicht verfügbar ist, funktionieren unsere Bibliotheken immer noch ganz traditionell: Wer ein Buch ausleihen will, muss sich in ein großes Heft eintragen, das in der Bibliothek ausliegt. Was mir nach meiner Rückkehr auch aufgefallen ist: In Stuttgart hatte ich sowohl an der Uni als auch in meinem Zimmer einen schnellen Zugang zum Internet. In Ouagadougou ist das problematisch. Selbst wenn der Zugang an der Uni funktioniert, geht es sehr langsam, das ist manchmal frustrierend.

Die Stimmung unter den Studenten bei uns ist, wie ich finde, sehr gut. Sie machen verschiedene Veranstaltungen, um ihre Beziehungen zu stärken. Da wir in einem Land sind, in dem Deutsch fast nur in der Schule oder an der Uni gesprochen wird, schaffen wir uns selbst einen Rahmen, in dem wir uns in der deutschen Sprache üben. Wir machen Debatten, Theater und Radiosendungen, alles in deutscher Sprache, was dazu beiträgt, unsere Sprachkenntnisse zu verbessern. Denn wenn man Deutsch studiert, muss man die deutsche Sprache beherrschen, anders geht es nicht.

Burkina Faso ist wie viele afrikanische Länder gesellschaftlich-kulturell vielfältig. Es gibt mehr als 60 Ethnien, also mehr als 60 Sprachen. Meine Ethnie (Bozo) gehört nicht zu den burkinischen Gruppen, weil meine Eltern aus Mali kommen. Sie sind 1990 nach Burkina gekommen. Die Mehrheit der Bevölkerung, etwa 80 Prozent, lebt von der Landwirtschaft. Burkina ist der größte Baumwollproduzent Afrikas und verfügt auch über Bodenschätze, vor allem Gold. Aber die Landwirtschaft ist mit Problemen konfrontiert wegen des Klimawandels, in manchen Regionen sind die Niederschläge sehr niedrig. Politisch ist das Land nach dem Volksaufstand gegen den ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré Ende Oktober 2014 stabiler.

Auf dem Land leben die Leute in Großfamilien: Großvater, Vater, Onkel väterlicherseits, alle zusammen auf einem Hof. Das sind ganz andere Realitäten als in Deutschland. Aber in den Städten gibt es immer mehr Kleinfamilien. Andere Formen des Zusammenlebens wie homosexuelle Paare, alleinerziehende Mütter, oder LebensgefährtInnen wie in Deutschland finden sich in Burkina dagegen nur sehr selten und werden von vielen schlecht angesehen.

Während meines Aufenthalts in Deutschland konnte ich feststellen, dass die Deutschen sehr pünktlich sind, das fand ich sehr gut. Auch die Mülltrennung in Deutschland und Mülleimer, die man überall finden kann, finde ich sehr wichtig. Was ich aber schade fand, ist, dass die Leute wenig offen zueinander sind. Jeder geht seinen Weg und man spricht nicht miteinander. Bevor ich nach Deutschland kam, dachte ich, mein Aufenthalt würde mir Gelegenheit bieten, mein Deutsch mündlich perfekt zu üben. Da habe ich festgestellt, dass man nur im Seminar Deutsch sprechen konnte, wenn man keine deutschen Freunde hat. Ansonsten kann man den ganzen Tag stumm bleiben.

Ich weiß zwar, dass Deutschland zur "Ersten Welt" und auch zu den einstigen Kolonialmächten gehört. Aber ich meine, wir brauchen jetzt eine echte Kooperation zwischen den Ländern der Welt, die auf Vertrauen und Ehrlichkeit basiert.

Man muss zwar die Vergangenheit im Gedächtnis behalten, damit sich schlechte Ereignisse nicht wiederholen. Das ist genau die Gedächtnisarbeit, die in den letzten Jahrzehnten im wissenschaftlichen Bereich Konjunktur hat. Dazu kommt die postkoloniale Perspektive, die ich sehr wichtig finde.

Wir leben heute in einer globalisierten Welt, die von verschiedenen kulturellen Mischformen und Verflechtungen geprägt ist. So sollten wir uns vielmehr für Gleichheit, Anerkennung und Respekt aller Kulturen einsetzen. Dabei sollten wir auch dafür sorgen, dass Rassismus, klischeehafte Vorstellungen über den Anderen, neue koloniale Formen und Imperialismus verschwinden. Nur auf diese Weise kann man von einer gelungenen Zusammenarbeit und Globalisierung sprechen. Man sollte nicht sehr universalistisch sein und erwarten, dass in allen Ländern dieselben Normen, Gesetze, Werte gelten, sondern eher die Welt als vielfältig annehmen und wissen, dass es in jedem Land verschiedene kulturell bedingte Realitäten gibt. Jedes Land sollte in der Lage sein, ohne Druck zu bestimmen, was besser zu ihm passt.


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