Die Linke, sagen Sie, muss in zwei Sätzen erklärbar sein. Die wären?
Das Land ist reich genug. Es kommt darauf an, wie dieser Reichtum für alle eingesetzt wird.
Gilt das auch für Baden-Württemberg?
Das gilt für alle. Es gibt auch in Baden-Württemberg erkennbare Armut. Wir müssen über Armut reden. Aber Arme waren noch nie die Träger für gesellschaftliche Veränderungen. Ich erinnere mich an mühselige Aktionen der DKP, die immer versucht hat, soziale Bewegungen über die Ärmsten der Armen entstehen zu lassen. Das ist alles Quatsch.
Aber in Baden-Württemberg gibt es doch auch sehr viele sehr reiche Leute.
Ja. Aber wie gehe ich mit ihnen um? Greife ich die reichen Leute an und brandmarke sie? Oder lade ich sie besser ein zum Diskurs? Da bin ich wieder bei meiner Kirche: Dort wird übers Teilen geredet. Und bei uns in der Partei? Über Verteilung im Sinne von "der Reiche ist schuld". Besser ist, wenn ich ihm begreiflich mache, dass sein Reichtum Sinn macht, wenn er auch über die Armen nachdenkt. Dann hab ich die Chance, etwas zu verändern.
Also muss die Tonlage verändert werden?
Die Tonalität, der Gestus. Wir wollen, dass dieses Land für alle aushaltbar ist. Ich will auch, dass der Reiche ausgehalten wird. Aber den Reichen können wir nur aushalten, wenn er auch die Armen im Blick hat. Und da muss es eine Politik geben, die dafür die Balance schafft.
Das klingt nicht gerade antikapitalistisch.
Ja, ja, wenn ich so etwas sage, wird es gerne kleingeredet. Man würde damit den Kapitalismus stabilisieren und so weiter. Da ist bei mir immer das Ende der Diskussion erreicht. Dann kommt es wohl doch irgendwann darauf an, dass sich die Armen und die unterdrückten Massen erheben aus ihren Produktionsbetrieben mit den Werkzeugen in der Hand ... Da denke ich dann immer: Leute, welchen Film habt ihr gerade gesehen?
Kapitalismus braucht's also?
Für mich sind Kapitalismus und Marktwirtschaft miteinander verwoben. Es gibt doch auch den Kapitalismus, der in der Lage ist, sozialen Wohnraum zu schaffen. Und wenn der Bürger einen Ruhepunkt findet und weiß, meine Wohnung ist kein Spekulationsobjekt, dann sind wir wieder bei sozialen Grundgewissheiten. Also muss ich doch sagen: Lasst uns darüber nachdenken, wie keiner aus der Bahn fliegt.
Ich könnte mir vorstellen, die Baden-Württemberger sind zu satt, zu voll für solche sozialen Ideen.
Ich glaube, kein Teil Deutschlands ist zu satt für linke Ideen. Aber wenn die Ideen schlecht verpackt sind, muss sich auch keiner mit ihnen auseinandersetzen.
Was halten Sie von Grün-Schwarz? Wo Sie so viel von Umverteilung sprechen, müsste das doch der Super-GAU für Sie sein.
Mit denen würde ich gerne mal über Umverteilung reden. Es gab mal eine starke Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), die das Wort Umverteilung gar nicht verkehrt fand. Und es gab eine starke katholische Arbeiterbewegung, mit der Umverteilung richtig massiv thematisierbar war. Deren Forderungen, was gesetzlichen Mindestlohn angeht, sind viel revolutionärer als unsere.
Grün-schwarz ist kein Problem?
Es ist nur dann ein Problem, wenn es ein rein mathematisches, starres Festhalten an Positionen ist, ohne gesellschaftliche Veränderungsprozesse.
Wie sehr müssen Sie sich als Linker in Ihrer Dreierkoalition Rot-Rot-Grün verbiegen?
Ich bin in erster Linie Ministerpräsident von Thüringen, nicht Parteipolitiker. Das klappt sehr gut, weil ich die beiden anderen Partner stets mitdenke.
Winfried Kretschmann sagte kürzlich: "Wir müssen in unseren Grundüberlegungen flexibel und elastisch sein." Was denken Sie?
Wenn Beliebigkeit die Übersetzung für diesen Satz wäre, ist das falsch. Wenn aber ideologische Hemmschwellen dazu führen, dass am Ende die AfD dominiert, würde ich mir sogar mehr Flexibilität wünschen. Ich könnte mich zurücklehnen und sagen: igitt, CDU. Oder ich gucke mir die Bedingungen an. Und dann bleibt die Frage: Ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung vielleicht doch besser als gar kein Schritt?
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Gela
am 25.04.2016