Gökay Akbulut ist auf Demos aufgewachsen, an der Hand der Mutter mitgelaufen, wenn die ganze Familie für die Rechte der Kurden demonstriert hat, der Vater, die zwei Brüder. Sie kennt Polizeikessel aus ihrer Kindheit, Polizeigewalt aus ihrer Jugend, sie liebt die Solidarität der linken Community, sagt sie, eine Hand am Kaffeebecher, die andere in der Manteltasche, eine kleine Frau mit offenem Gesicht, glänzendem schwarzem Haar bis über die Schultern im Gewühl des Mannheimer Hauptbahnhofs an einem Freitag. Kurdische Frauen sind stark. Und sie sind kämpferisch. Aber manchmal auch ein bisschen fertig. "Ich hab gewusst, dass es anstrengend wird. Aber nicht, wie anstrengend", sagt Akbulut. Es ist ihr erster Landtagswahlkampf, Endspurt.
Sie ist mit Bernd Riexinger Spitzenkandidatin für die Linke, Wahlkreis Mannheim I, Norden. Manche sagen, sie sei die Alibikandidatin, weil sie hinter Hannes Rockenbauch aus Stuttgart verschwindet, obwohl der nicht mal ein Parteibuch hat. Eine Frau, in Baden, mit Migrationshintergrund. "Ach was", sagt sie, winkt ab und drückt ihren beiden Wahlkampfhelferinnen zur Begrüßung Küsschen auf die Backen.
Gül, 50 Jahre alt, dunkle, wilde Locken, die Handtasche voller Flyer auf Deutsch, Türkisch und Kurdisch – "Ji bo Baden-Würtembergeke civakî", "Oylar Die Linke ye" –, und Gülsen, dunkelblonde Lockenpracht bis zur Hüfte, 37, Verkäuferin in einem Brautladen, insgesamt: drei Engel für die Linke – Deutschlands attraktivstes Wahlkampfteam. Seit Wochen plakatieren sie, verteilen Zettel, klappern Veranstaltungen, Geschäfte und Vereine ab.
Kurz vor fünf sitzen die drei in der Straßenbahn zum ersten Termin in der Alevitischen Gemeinde. "Keks?", fragt Gül, kruschtelt eine "Die Linke"-Packung Taschentücher zur Seite und zaubert ein Stück Gebäck aus der Handtasche. Für den Abend hat jetzt auch noch der Neckarstädter Wahlcheck zugesagt. Die Veranstalter hatten Akbulut erst ausgeladen, weil sie fürchteten, dann auch die AfD einladen zu müssen. Nun darf sie doch. Ohne AfD. "Wird alles eng", sagt Akbulut, kaut den Keks, checkt ihre Mails am Handy.
Gökay Akbulut ist stolze Kurdin. 1990 floh ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland. Damals war sie zehn, die Familie zog nach Uelzen in Norddeutschland, später nach Hamburg. "Ich war immer fremd", sagt Akbulut. "In der Türkei gehörten wir zu den Menschen zweiter Klasse, hier war ich die mit dem Migrationshintergrund." Heute nutzt sie das: Sie sei zuständig für die "Migranten-Community", sagt sie, Animateurin im Wahlbezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung im ganzen Land. 52,6 Prozent gaben bei der Landtagswahl 2011 ihre Stimme ab, 5,8 Prozent für Die Linke, der beste Wert in Baden-Württemberg.
Die Alevitische Gemeinde ruft auf, gegen rechts zu wählen
Die Alevitische Gemeinde hat ihre Räume in einem flachen Fabrikgebäude. Eine Wand ist mit Bäumen bemalt, drum rum karges Land, Berge bis zum Horizont. In der Mitte hängt eine Uhr: 17 Uhr 25. Akbuluts Taxi kommt um zehn vor sechs, "bitte pünktlich", sagt sie am Telefon.
Im ersten Stock sitzt der Gemeindevorstand mit Gefolge. Er sagt: "Momentan ist es ja kritisch, wo die rechten Parteien so stark sind und die Wahlbeteiligung so gering. Wir als Verein müssen da was tun. Gerade wir Migranten." Deshalb laden sie sich nacheinander alle demokratischen Parteien zum Gespräch ein und raten ihren Schäfchen zum Kreuzchen. "Die Linke setzt sich gegen Rassismus und Faschismus ein und für eine humane Flüchtlingspolitik", sagt Akbulut, der Vorstand nickt.
Sie kennt die Probleme im Viertel, sagt sie, Zeitarbeitsjobs, teure Mieten, schlechte Bezahlung, 30 Prozent der Jugendlichen haben keine Ausbildung, keinen Abschluss. "Wir stehen für gleichberechtigte Teilhabe von Migranten. Wir sind gegen Waffenexporte, denen ja übrigens die SPD zugestimmt hat", sagt sie. Dann entschuldigt sie sich, das Taxi ist da. Im Untergeschoss wartet schon Gerhard Fontagnier von den Grünen, "Menschenfreund und Kulturliebhaber", steht auf seinen Flyern, die es schon vor ihm an den Tisch geschafft haben.
"Lindenhof, Lanz-Kapelle", sagt Akbulut im Taxi. "Was ist da?", fragt der Fahrer. "Bodo Ramelow." "Oh! Ramelow! Wo ist rechts, wo ist links, wo ist Mitte?", ruft er und lacht sich über seinem Lenkrad scheckig. Er kommt aus Polen und wählt grundsätzlich nicht, sagt er. Das Taxi düst an einem Plakat der Linken vorbei. Die Mädels hinten jauchzen, Gökay in Überlebensgroß. Kürzlich habe sie eine Frau angesprochen, sagt die: "Huch, sie sehen ja aus wie die auf dem Plakat!" Akbulut packt einen quietschgrünen Schminkspiegel aus, zieht schwungvoll die Lippen nach.
"Alles wird gut", sagt Bodo Ramelow
An der Tür der Lanz-Kapelle steht schon eine Frau und drängelt, "zack, zack, die warten fürs Foto auf dich!" Die Kandidatin von Mannheim II ist schon da, Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, schüttelt Hände. "Alles wird gut", sagt Ramelow leise, als sich die drei an den Tisch vors Publikum setzen. Die Kapelle strahlt weiß über braune Säulen, in der Ecke steht die Büste des Stifters Heinrich Lanz. Der hat den Lanz Bulldog erfunden.
1 Kommentar verfügbar
Schwabe
am 09.03.2016Das siegessichere Grinsen des Moderators deutet auf bürgerlich konsevative Scheuklappen hin, welche das Fach "Wirtschaft" an Schulen wahrscheinlich gleichsetzt mit der Lehre kapitalistisch neoliberaler…