An alldem ist mehr dran, als selbst den entschiedensten Anhängerinnen und Anhängern des real existierenden Politikbetriebs lieb sein kann. Und trotzdem: An Wahlen wie jener am kommenden Sonntag führt kein Weg vorbei. "There is no alternative", hat einst Maggie Thatcher gesagt, als sie den Briten ihren neoliberalen Kurs schmackhaft machen wollte, und dann hat der Spruch weltweit Karriere gemacht, in Gestalt seiner Abkürzung: TINA.
Sind Wahlen wie diese zwischen Main und Bodensee ebenfalls TINA, anders als so manches andere, was als "alternativlos" bezeichnet wird, ohne es zu sein? Aber ja doch. Sofern die Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht revolutionär umgestürzt werden und sie zudem ein föderaler Staat bleibt, wird es in Baden-Württemberg auf (un)absehbare Zeit Landtagswahlen geben. Sie finden nun mal statt, und die These, sie seien in Wahrheit bedeutungslos, kollidiert mehr mit den Tatsachen, als nun wieder ihren Anhängern lieb sein kann.
Und zu ersetzen sind sie genauso wenig. Daran ändern selbst die Träume von der direkter Demokratie nichts. Die kann und muss mehr als bisher die parlamentarische Demokratie ergänzen, kann und muss beispielsweise öfter gesellschaftliche Großkonflikte friedlich lösen, kann und soll auf lokaler Ebene mehr als bisher die Bürgerschaft, deren Interessen und Ansichten im unmittelbaren Lebensumfeld einbeziehen. Gerade um jenen Systemkritikern das Wasser abzugraben, die behaupten, da oben höre ja niemand (mehr) auf sie. Entbehrlich werden dadurch Landtag und Landesregierung noch längst nicht.
Oft gehört: Durch eine Wahl ändert sich eh nix
Ernsthafter Betrachtung nicht stand hält auch die oft gehörte Behauptung, die Parteien wollten ja alle irgendwie dasselbe, und ändern werde sich durch so eine Wahl eh nix. Wäre die CDU beispielsweise geblieben, was sie hier immer war seit 1953, nämlich der (fast) unumschränkt dominierende Platzhirsch, gäbe es etwa noch immer in alter Macht und Herrlichkeit die schwarzen Beziehungs- und Gefälligkeitsgeflechte im Land. Da könnte und sollte sich etwas ändern, und andere Mehrheiten im Landtag mitsamt anderen Regierungskonstellationen sind ganz gewiss eine wesentliche Bedingung dafür. Oder: Mit der CDU zurück an der Macht bliebe zumindest noch eine ganze Weile das überkommene dreigliedrige Schulsystem, das Zehnjährige sauber separiert. Ihr Spitzenkandidat Guido Wolf hat als ersten Punkt seines am Dienstag präsentierten Sofortprogramms für den Fall seines Einzugs in die Villa Reitzenstein die Rückkehr genau dazu angekündigt, am liebsten schon mit dem kommenden Schuljahr.
Dabei haben Grüne und SPD die Weichen zu Recht endlich anders gestellt, hin zum längeren gemeinsamen Lernen in einer Gemeinschaftsschule, die den auf Schichtenbildung erpichten Konservativen in CDU und FDP schon kraft ihres Namens die Zornesadern schwellen lässt. Eine ganze Reihe weiterer Beispiele ließe sich anführen, die alle belegen, was ohnehin schon prima vista anzunehmen ist: Zwischen allen in den Landtag strebenden Parteien gibt es neben dem Programmatischen auch andere beträchtliche Differenzen, soziologische, mentale, kulturelle, ideologische, vom Formatunterschied der beiden Spitzenkandidaten mal ganz zu schweigen. Die Milieus, obwohl längst nicht mehr so scharf zu konturieren wie ehedem, sind so wenig identisch wie die hinter ihnen stehenden Interessen – bis hin zu denen, die in Parteien vorrangig Keilriemen für ihre partikularen Anliegen sehen. Nähere Auskunft gibt die Lektüre der (zäh zu lesenden) Parteiprogramme.
Ein Mangel an Pluralität ist nicht zu erkennen
Jede und jeder hat also eine Wahl bei dieser Wahl, die stattfindet, so oder so. Aus dem landeseigenen Parlament wird auf jeden Fall eine landeseigene Regierung hervorgehen, die beide die ureigenen Angelegenheiten des Südweststaats jedenfalls aus deutlich geringerer Distanz und mit mehr Kompetenz zu verhandeln und zu entscheiden vermögen, als Legislative und Exekutive eines deutschen Zentralstaats im fernen Berlin das könnten. Der berechtigte Ruf nach mehr Bürgernähe verträgt sich auch deshalb nur schlecht mit der Geringschätzung einem Landesparlament gegenüber. Wie die Baden-WürttembergerInnen parteipolitisch ticken, spiegelt sich in dessen Zusammensetzung wieder – diese Repräsentanz ist ein Wert an sich in der Demokratie. Und über einen Mangel an Pluralität werden die Wahlberechtigten sich ebenfalls kaum beklagen können: Zwischen der Partei Die Linke über Piraten und Tierschützer, über die etablierten Parteien von Grünen bis CDU bietet sich ein breites Spektrum von Optionen, das durch die AfD nach rechts hin sogar reichlich überdehnt ist.
10 Kommentare verfügbar
Gela
am 11.03.2016