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Kanzler:in im Portrait

Kohls Mädchen

Kanzler:in im Portrait: Kohls Mädchen
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Die Fotografin Herlinde Koelbl hat über dreißig Jahre hinweg Angela Merkel porträtiert. Die Serie ist nun im Stadthaus Ulm zu sehen. Ganz anders ging Volker Hinz vor, der für das Magazin "Stern" mehrere Bundeskanzler fotografiert hat.

Der Zeitpunkt hätte kaum passender gewählt sein können. Dabei konnte das Stadthaus Ulm unmöglich vorher wissen, dass sich Angela Merkel drei Tage vor der Eröffnung der Ausstellung ihrer Porträts zum ersten Mal, seit sie nicht mehr Kanzlerin ist, wieder medienwirksam zu Wort melden würde. Karla Nieraad, die Leiterin des Stadthauses, drängte zur Eile, weil sich draußen auf dem Münsterplatz aus demselben Grund die Menschen zu sammeln begannen: zu einer Demo gegen das Paktieren von Friedrich Merz mit der AfD. Zehntausend kamen.

Für manche ist Herlinde Koelbl einfach die Merkel-Fotografin. Obwohl die 23 Porträtsitzungen, die sie mit der Ministerin und späteren Kanzlerin in 30 Jahren abgehalten hat, gewiss nicht das Einzige sind, was sie in ihrem Leben zuwege gebracht hat. Die Merkel-Porträts sind nun im Stadthaus ausgestellt. Sie bieten Anlass zu einer Reflexion über das Verhältnis von Macht und Bild, zwischen der Kanzlerin und ihrer Fotografin, im Vergleich auch mit anderen Kanzler-Bildern in der Galerie der Verleger Markus und Angelika Hartmann in Stuttgart.

Im Gespräch mit dem Kurator Raimund Kast erzählt Koelbl, wie es zu der Serie kam. "Ich hatte immer wieder mal Menschen getroffen, die aufgestiegen sind. Sie haben sich meistens sehr verändert. Nicht immer zum Vorteil." Koelbl wollte wissen, "wie Menschen sich durch die Macht verändern". Im Projekt "Spuren der Macht" konzentrierte sie sich auf Politiker:innen, die erst kürzlich in ein hohes Amt gekommen waren und den Eindruck erweckten, ihr Weg nach oben sei noch nicht zu Ende.

Das war 1991. Nicht alle brachten es so weit wie Gerhard Schröder, der acht Jahre später, als ihr Buch erschien, Bundeskanzler war. Oder sein Vize Joschka Fischer. Merkel war 1991, kaum mehr als ein Jahr nach der Wende, Ministerin für Frauen und Jugend. Ein Drittel des früheren Gesundheits- und Familienministeriums: Das war noch nicht viel. "Kohls Mädchen", wurde sie genannt. Drei Jahre später war die promovierte Physikerin schon Umweltministerin. Mit dem Ende der Regierung Kohl und der Publikation von Koelbls Buch setzt die Porträtserie zunächst einmal aus.

Keine Regieanweisungen

Zentral ist für Koelbl die Körpersprache. Sie verrät viel über den Menschen, ohne dass er dies ganz kontrollieren kann. Schon in ihrem ersten Fotoband, "Das deutsche Wohnzimmer", ließ sie die Bewohner:innen selbst entscheiden, wie sie sich in ihrer guten Stube positionieren wollten. Sie wollte ihnen keine Regieanweisungen geben, sondern sehen, wie sie sich selbst geben. Bei den "Spuren der Macht" – und auch später bei Merkel – hielt sie es genauso.

Nur kamen hier ein paar formale Entscheidungen hinzu. Der Hintergrund ist neutral weiß: Da die Herren der Schöpfung fast immer dunkle Anzüge tragen, wären ihre Konturen – und damit ihre Körpersprache – sonst verschwommen. Koelbl fotografierte ihr Gegenüber immer in zwei Ausschnitten: Büste und Hüftbild. Nur auf den ersten Aufnahmen sitzt Merkel. Später bevorzugt sie zu stehen. Das ergibt eine etwas monotone Ausstellung. Nur einmal, 2018, stemmt die Kanzlerin die Fäuste in die Hüften und lacht. Koelbl hatte ihr gesagt, es sei gleich vorbei. Und schon 1998 macht sie zum ersten Mal die Raute. Wenn man die Daumen aneinanderdrückt, erklärt die Fotografin, richtet man sich auf. So hat das Gegenüber immer den Eindruck, man höre aufmerksam zu. So viel zur Körpersprache.

Die Aufnahmen, die Volker Hinz von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl angefertigt hat, sprechen eine völlig andere Sprache. Das liegt zunächst an der Auftragssituation. Hinz war 38 Jahre lang fest angestellter Fotograf des Magazins "Stern", davon acht Jahre Auslandskorrespondent in New York. Er hatte ein gutes Verhältnis zu Helmut Schmidt, was man den Bildern ansieht, wenn dieser etwa mit seinem Vater im Altenheim zu sehen ist, beide mit Prinz-Heinrich-Mützen auf dem Kopf und recht vergnügt.

Wie einst bei den Kommunisten in China

Das waren noch andere Zeiten. Nicht wie heute, wo akkreditierte Pressefotografen selbst bei einer Wahlkampfveranstaltung nicht nah ran dürfen, weil die Partei, wie einst die Kommunisten in China, nur ihre eigenen, weichgezeichneten Pressebilder verbreiten will. Bei Hinz sieht man Willy Brandt die Enttäuschung deutlich an, als er zurücktreten muss. Deng Xiao Ping schaut Helmut Schmidt genau auf die Finger, als dieser versucht, mit Stäbchen zu essen. Die Sympathien des Fotografen sind klar verteilt: Helmut Kohl zeigt er zwischen zwei Pferdehintern und im Legoland – als Spielzeugkanzler.

War das damals, in den 1970er-Jahren, noch eine bessere Welt? Aber wo sind denn die Frauen? Politik war weit mehr noch als heute, so scheint es, eine reine Männerdomäne. Nur wer genau hinsieht, entdeckt einmal eine Rut Brandt, die nicht viel in der Öffentlichkeit stand. Loki Schmidt lässt sich beim Wäscheaufhängen fotografieren. Damit gewährt sie zwar Einblick in das Privatleben des Kanzlers, aber die Rollen sind doch sehr herkömmlich verteilt. "Wollen wir da wirklich wieder hin?", fragt Angelika Hartmann, in deren Galerie Hinz‘ Fotos vom kommenden Samstag an ausgestellt sind.

Markus und Angelika Hartmann, früher einmal beim renommierten Verlag Hatje Cantz, verlegen seit neun Jahren Fotobücher. 2019 zogen sie ins damalige Galerienhaus in der Breitscheidstraße im Stuttgarter Westen, im vergangenen Jahr in die Liststraße im Stadtteil Süd, die Büroräume dienen auch als Galerie. Die Ausstellung haben sie von der Bayrischen Staatsbibliothek übernommen, die mit dem Archiv des "Stern" auch Hinz‘ Nachlass verwaltet. Bei Hartmann Projects erscheint nun schon der dritte Band mit Aufnahmen von Volker Hinz. Seine Witwe Henriette Väth-Hinz, langjährige Leiterin der Hamburger Triennale für Photographie, war auf sie zugekommen. Mit ziemlich klaren Vorstellungen, wie Angelika Hartmann berichtet.

Ja, Politik war in den 1970er- und 80er-Jahren noch weitgehend Männersache. Vielleicht ließen die Politiker Fotografen deshalb dicht an sich heran, weil sie sich sicher fühlten. Andererseits: "Alle Politiker suchen die Kameras", bemerkt Herlinde Koelbl. Nur Merkel habe sich nie gern fotografieren lassen. Wie hat sie es geschafft, als bisher einzige Frau in Deutschland in eine so hohe Position zu gelangen?

Merkel hatte ihr Ego im Griff

Es hing wohl mit ihrer Vergangenheit zusammen. In der DDR waren Frauen in der Berufswelt weit eher gleichberechtigt. Merkel habe sich anfangs überhaupt nicht geschminkt, erzählt Koelbl. Sie trug immer einen Blazer in verschiedenen Farben und schwarze Hosen: eine Art Uniform, nennt das die Fotografin. "Ich habe festgestellt, sobald die Frauen zu attraktiv oder zu weiblich waren, wurden sie nicht mehr ernst genommen." Merkel habe ihr Ego im Griff gehabt, so Koelbl, sich nie in Intrigen eingemischt. "Sonst hätten die Männer sie einen Kopf kürzer gemacht."

"Macht bedeutet, mehr zu sein als die anderen", analysiert sie. "Wenn Politiker die Macht verlieren, sind sie niemand. Wie auf Entzug." Männer arbeiten immer mit Ellenbogen, hat sie festgestellt. Nun hat sie eben Gerhard Schröder vor der Kamera gehabt, nicht Willy Brandt. Gleichwohl: Merkel war nicht nur die einzige Frau in diesem Amt, sondern auch die einzige,  die von sich aus – drei Jahre vor der Wahl – angekündigt hat, nicht noch einmal antreten zu wollen. Alle ihre Vorgänger wurden abgewählt: entweder von der eigenen Partei oder in den Parlamentswahlen.

Koelbl hat Merkel beim Fotografieren auch interviewt. In der Ausstellung ist dies in einem Video zu sehen, Einhandhörer hängen von der Decke, über die man die Gespräche abhören kann. Aber auch die Fotos selbst begleiten Zitate. "Eine wichtige Erfahrung war, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann", stellt Merkel 1994 fest. "Auf mich und meinen Instinkt." Zwei Jahre später erklärt sie: "Natürlich macht man sich bestimmte Schablonen zu eigen. Damit nicht jeder einem alle Gefühle an der Nasenspitze ansieht." Und im folgenden Jahr: "Ich werde auch besser im Pokern. Erfahrung macht klug."

Mit der Zeit wirkt die Kanzlerin distanzierter

Ein Pokerface aufsetzen, eine Maske tragen: Auch auf Koelbls Fotos kann man der Bundeskanzlerin die Gefühle nicht an der Nasenspitze ablesen. Dennoch sind es keine Pressefotos: Sie sieht die Fotografin aufmerksam an. Ein leicht ironisches Lächeln umspielt oft die Lippen. Mit der Zeit wirkt die Kanzlerin allerdings müder, distanzierter. Die Zitate unter den Bildern stammen nicht mehr aus dem direkten Gespräch, sondern sind Pressekonferenzen und anderen öffentlichen Auftritten entnommen. "Ich lasse mich nicht in unnötige Kämpfe verwickeln", meint sie 1998. Sie verteidigt den Kompromiss.

Mag sein, dass Herlinde Koelbl die Kanzlerin, der sie über eine so lange Zeit so nahegekommen ist,  ein wenig idealisiert. Wie ihr einstiger Ziehvater Helmut Kohl hat Angela Merkel manche Dinge auch einfach ausgesessen. Dennoch, ein paar bemerkenswerte Zitate: "Es gibt den tiefen Wunsch der Menschen, dass wir Konflikte friedlich lösen", sagt sie 2014. Das war das Jahr, in dem der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskalierte. "Wir müssen Menschen helfen, wenn sie vor Krieg und Verfolgung fliehen", fordert Merkel 2016, im Jahr nach der sogenannten Flüchtlingskrise.

"Es kann nicht sein, dass Frauen unsere Gesellschaften maßgeblich tragen und gleichzeitig nicht gleichberechtigt an wichtigen Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt sind", moniert die Kanzlerin in ihrem letzten Amtsjahr – auf dem Weltfrauentag. "Deshalb brauchen wir Parität in allen Bereichen der Gesellschaft." Dazu gehöre auch, dass Frauen endlich so viel verdienen wie Männer. Das Ziel ist noch nicht erreicht.

Info: Die Ausstellung im Stadthaus Ulm läuft bis 4. Mai und ist montags bis samstags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr und sonntags ab 11 Uhr geöffnet; parallel läuft eine sehenswerte Ausstellung mit Künstler:innenporträts von Angelika Platen – die auch Koelbl porträtiert hat; die Ausstellung bei Hartmann Projects in der Liststraße 28/1 läuft bis 28. März und ist dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

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2 Kommentare verfügbar

  • Werner
    am 16.02.2025
    Antworten
    Wie cool, 'Helmut Kohl umrahmt vom Pferdehintern'. So viel Aussage in nur einem Bild. Beim Betrachten spielt die Fantasie Rodeo, und nein wirkliche physische Ähnlichkeiten gibt es bei den drei nicht, da muss man fair bleiben. Dafür andere. Was alle drei absondern, dem wurde vorher, z.B. in einem…
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