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Ausstellung in der Stiftung Ruoff

Schönheit und Verfall

Ausstellung in der Stiftung Ruoff: Schönheit und Verfall
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Günther Wirth, Kunstkritiker, Kurator und Lyriker, wäre am Ostersonntag 100 geworden. Im Südwesten hat er nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutende Sammlungen aufgebaut. Seine Begeisterung für die Kunst hatte auch eine politische Komponente, wie eine aktuelle Ausstellung in Nürtingen zeigt.

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     Ein General treibt seine hohen Orden
     Gewaltig vor, dass sie der Dümmste sieht.
     Als Leutnant grüß' ich höflich. Er tut's müd.
     Das macht wohl die Verantwortung beim
Morden.

Die Strophe aus Günther Wirths Gedicht "Krieg am Kurfürstendamm", das in die Ausstellung der Stiftung Ruoff in Nürtingen einführt, zeugt von einer für einen etwa 20-Jährigen in der NS-Zeit ungewöhnlichen Illusionslosigkeit. 1923 geboren, wurde Wirth nach dem Abitur 18-jährig zum Kriegsdienst eingezogen. Als Einäugiger kehrte er vier Jahre später aus der Gefangenschaft zurück. "Es kommt keiner davon", lautet der Titel eines zweiten, nicht datierten Gedichts, das die Nürtinger Ausstellung dem anderen gegenüberstellt.

"Mehr als sechs Jahrzehnte meines Lebens spiegeln diese Gedichte", schreibt Wirth im Nachwort des Bändchens "Die Anderen Gedichte", dem diese beiden Texte entnommen sind. "Krieg am Kurfürstendamm" ist das älteste, sagt Nikolai Forstbauer, Wirths Sohn, lange Zeit leitender Kulturredakteur der "Stuttgarter Nachrichten", heute "Titelautor" des Zeitungsverlags. Seit dem Tod Hildegard Ruoffs, die vor drei Jahren im Alter von 100 Jahren starb, kuratiert er zudem die Ausstellungen der Stiftung – nun die über seinen Vater Günther Wirth, der – vor acht Jahren verstorben – am 9. April 100 Jahre alt geworden wäre.

Günther Wirth war jahrzehntelang der führende Kunstkritiker der Region Stuttgart, nein des deutschen Südwestens. Zudem hat er bedeutende Kunstsammlungen aufgebaut, angefangen mit der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, aber auch die des Landkreises Esslingen und des Enzkreises, der Sparkasse Pforzheim-Calw, der Landesbausparkasse und der Allianz. Wirth verkörpert exemplarisch eine der fundamentalen Ambivalenzen der Nachkriegs-Kunstgeschichte: Während später Geborene moderne Kunst vielleicht nur als Dekoration von Bankfilialen kennenlernten, war sie für diejenigen, die die NS-Zeit erlebt hatten, viel mehr.

Endlich moderne Kunst ausstellen können

Für ihre Anhänger – es waren nicht viele – stand die moderne Kunst nach 1945 für einen Neuanfang. Sie waren ausgehungert nach allem, was ihnen zwölf Jahre lang vorenthalten worden war. Eben um die Kunst auszustellen, die nicht gezeigt worden war, gründete sich 1955 die Documenta. Moderne Kunst schien die Freiheit zu verkörpern, die es zuvor nicht gegeben hatte. Dass dies von den Amerikanern im Kalten Krieg auch propagandistisch genutzt wurde, wurde Wirth erst später bewusst.

Er studierte Pädagogik, wurde Lehrer und lernte in den frühen 1950er-Jahren die bekanntesten Stuttgarter Künstler kennen: Willi Baumeister, Reinhold Nägele, HAP Grieshaber. Nägele kündigte Wirth allerdings die Freundschaft, als dieser ihn in der Saulgauer Galerie "Die Fähre" mit abstrakten Künstlern wie Baumeister zusammen ausstellen wollte.

Abstrakt versus figürlich: So verliefen damals die Gräben. Die Abstrakten um Baumeister setzten sich durch. Doch das war nicht Wirths Thema. Zwar tendierte auch er zur Moderne, doch er war nicht auf eine Richtung festgelegt. Ihn interessierte etwas anderes.

Dies wird erkennbar, wenn man sich ansieht, mit welchen Künstlern er sich zuerst und am meisten beschäftigt hat: Künstler wie Max Ackermann, Fritz Ruoff, Anton Stankowski, Leonhard Schmidt oder Manfred Henninger. Sie vertraten völlig verschiedene Richtungen. Ackermann, gebürtiger Berliner, war nach Stuttgart gekommen, um bei Adolf Hölzel zu studieren. Von sozial-realistischen Themen wechselte er später zu Abstraktion, Willi Baumeister zeitweise sehr nahe.

Nach 1945: eine Bühne für verfolgte Künstler

Leonhard Schmidt steht dagegen für eine reduziert-flächige, gegenständliche Kunst. Hennninger wiederum malte impressionistisch. Ruoff, ursprünglich Bildhauer, kam von einer expressiven Malerei zu einer meditativ-abstrakten Kunst. Stankowski hat dagegen gleich mit der konkreten, also geometrisch-abstrakten Kunst begonnen, die er dann in die Werbegrafik übertrug. Sehr bekannt sind seine Logos von IBM bis zur Deutschen Bank.

Was diese Künstler verband, war eher ihre Haltung, die sich insbesondere in der NS-Zeit bewähren musste. Ackermann hatte bis 1936 an der Volkshochschule "absolute", das heißt nicht abbildende Malerei unterrichtet und zog dann, als ihm dies untersagt wurde, an den Bodensee und malte dort und in seinem Gartenhaus am Frauenkopf heimlich weiter. Er war einer der herausragenden Künstler in Stuttgart. Trotzdem berief ihn Theodor Heuss als erster Kultusminister von Württemberg-Baden 1946 nicht an die Kunstakademie. Der Grund: Er war Kommunist. Oder zumindest Sympathisant, so hatte er 1929 am Vagabundenkongress teilgenommen.

Manfred Henninger wurde dagegen Akademieprofessor, obwohl auch er als Pazifist und Antifaschist auf KPD-Veranstaltungen aufgetreten war. Mitten auf der Königstraße gerade noch rechtzeitig gewarnt, floh er im März 1933 Hals über Kopf in die Schweiz und blieb im Exil. Leonhard Schmidt war zwar unpolitisch, doch vom "Neuen Tagblatt" befragt, bekannte er 1943, er könne keine marschierenden Soldaten malen, dann würde er seiner Kunst untreu. "Diese unmissverständliche Absage", so Wirth, "zeigt den Charakter dieses Malers".

Nachzulesen ist dies alles in Wirths Buch "Verbotene Kunst. Verfolgte Künstler im deutschen Südwesten 1933–1945". Das voluminöse, 1987 zum 50. Jahrestag der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst" erschienene Werk bleibt bis heute das mit Abstand wichtigste, fast das einzige Buch, das sich mit diesem Thema beschäftigt – auch wenn es manches zu ergänzen gäbe. Dadurch, dass Wirth sehr viele Künstler persönlich kannte, konnte er ihre Erlebnisse festhalten: ein unersetzlicher Fundus von Geschichten aus jener Zeit.

So berichtet Wirth, dass 1937 Werke von Ackermann, Henninger und Schmidt beschlagnahmt wurden. Fritz Ruoff war damals noch zu jung. Er hatte an der Kunstgewerbeschule studiert, die er aber 1933 verlassen musste, weil er wie Ackermann im Ruf stand, Kommunist zu sein. Mit zwei Freunden bildete er eine Künstlergruppe, die sich nach ihren Anfangsbuchstaben "RGK" nannte, was von den Kommilitonen prompt in "Rotes Grafiker-Kollektiv" umgedeutet wurde. Mit Werbegrafik schlug er sich durch, ähnlich wie der gleichaltrige Stankowski.

Keinen anderen Künstler hat Günther Wirth mit Reden, Katalogtexten und Büchern so gefördert wie Ruoff. Weshalb die Ausstellung in der Stiftung Ruoff, die nun in ihr zwanzigstes Jahr geht, nur angebracht erscheint – ganz unabhängig davon, dass der Sohn der Kurator ist. Wie aber stellt man einen Kritiker, Kunstberater und Ausstellungsmacher aus? Natürlich indem man Werke von Künstler:innen zeigt, denen er besonders verbunden war – nicht Ackermann und Henninger in diesem Fall, sondern eher gleich alte und jüngere.

Ein Blick in die Arbeit des Kurators und Kritikers

Neben den obligatorischen Fritz und Hildegard Ruoff sowie Stankowski treten der zu Wirths Zeit omnipräsente Otto Herbert Hajek, HAP Grieshaber und dessen Schüler Emil Kiess, Walter Stöhrer und Josua Reichert. Renate Bienzle darf nicht fehlen, lange Zeit Wirths Lebensgefährtin. Zu ihrer Serie "Temperaturen des Todes", aus der eine Arbeit zu sehen ist, hat Wirth ein Buch geschrieben.

Aber die Kunstwerke allein machen noch nicht den Kurator und Kritiker sichtbar, der die Künstler:innen in Eröffnungsreden und Texten vorgestellt hat. Ein wichtiges Element sind daher vier Kunstmappen der Galerie im Möbelhaus Behr – einem der wichtigen Orte der modernen Kunst in Stuttgart. Ausgestellt sind jeweils vier Siebdrucke und in der Mitte, im selben Format, Wirths Text.

Den abstrakten Werken von Stankowski, Günther C. Kirchberger und Horst Kunert steht in der Ausstellung eine Mappe von Klaus Heider gegenüber, die, wie in der Pop Art, mit Illustriertenbildern arbeitet. Überrascht zeigt sich Wirth angesichts der "schönen Oberfläche, bei deren Betrachtung sich die Illusionen irgendeiner darunterliegenden 'Tiefe' gar nicht einstellen"; "fasziniert von der süßen Haut, dem Glamour der Film- und Fernsehwelt", schreibt Wirth, käme Heider "fast zu Gleichnissen dieser Zeit von Schönheit und Verfall, von Glanz und Elend, von Glück und Verzweiflung, von publiker Lust und Einsamkeit".

Den Verfall musste Wirth am eigenen Leib erfahren, als das eine Auge, das ihm geblieben war, beinahe blind wurde. Nach den vier Bänden mit seinen Eröffnungsreden in der Esslinger Kreissparkasse veröffentlichte er daraufhin noch sieben Gedichtbände. Vier davon in Haikus, der siebzehnsilbigen japanischen Gedichtform, die im Deutschen mit seinen langen Worten gar nicht so leicht umzusetzen ist.

In einem Gedicht beschreibt Wirth seine Überraschung, aber auch seine Offenheit angesichts neuer Richtungen der Kunst:

     Man erwartet, dass die Kunst sich so und
     so entwickeln wird, tuschelt mit den
     Experten und starrt in die erhoffte Richtung.
     Und dann geschieht das Wunder
     hinter unserem Rücken.


Info:

Die Ausstellung in der Fritz und Hildegard Ruoff Stiftung (Schellingstr. 12, 72622 Nürtingen), geöffnet samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr, läuft bis 30. April. Danach wird dort ab 7. Mai die erste Einzelausstellung überhaupt von Margarete Oehm zu sehen sein, ab 1926 die Frau von Willi Baumeister. Zu ihrem 80. hat Günther Wirth über sie geschrieben.


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