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Der Stoff der Avantgarde

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Bis vor wenigen Jahren war kaum bekannt, dass die Mössinger Stoffdruckfirma Pausa enge Verbindungen zum Bauhaus pflegte. Ein großes Festival zum Jubiläum feiert nun besonders diesen Aspekt – und erinnert an die Pausa-Gründer Artur und Felix Löwenstein, die von den Nazis in die Emigration getrieben wurden.

Bei Bauhaus denken die meisten an Gebäude, an Architektur, manche vielleicht noch an Möbeldesign. Eher selten wohl an Tischdecken oder Vorhänge. Dabei gehörten Stoffdesigns ebenso dazu. Ein Unternehmen, das hier Vorreiter war, war die Firma Pausa in Mössingen, einige Kilometer südlich von Tübingen.

1919 gründeten die jüdischen Brüder Artur und Felix Löwenstein die "Mechanische Weberei Pausa AG", im selben Jahr, in dem in Weimar von Walter Gropius die Kunstschule Bauhaus gegründet wurde, und es sollte nicht lange dauern, bis sich die Wege beider kreuzten. In Mössingen wird das ab dem 3. Mai über ein halbes Jahr lang, bis Ende November, gefeiert: Unter dem Titel "100 Jahre Pausa – 100 Jahre Bauhaus" vereint das Jubiläumsfestival eine Ausstellung, Theateraufführungen, Konzerte, Vorträge, Diskussionsforen und einen Familientag.

Die Verknüpfung zwischen Weimar und Mössingen ist noch gar nicht so lange bekannt. "Pausa war in der Stadt lange Zeit nur die Nachkriegs-Pausa", sagt Welf Schröter vom "Löwenstein-Forschungsverein". Und die Jahre nach 1945 waren auch durchaus glorreich; die Firma setzte weiter auf für die jeweilige Zeit avantgardistische, oft von Künstlern gestaltete Textildesigns. Es gab Stoffe mit Mustern etwa von HAP Grieshaber, Willi Baumeister, Anton Stankowski, Andreas Felger oder Verner Panton. Die Nähe zur Avantgarde zeigte sich auch architektonisch: Die Erweiterungen des heute unter Denkmalschutz stehenden Fabrikensembles wurden in den 1950er Jahren von dem Architekten Manfred Lehmbruck im Stile des "Neuen Bauens" erbaut. Doch diejenigen, die diese Tradition angestoßen hatten, die Gebrüder Löwenstein, seien komplett verschwiegen worden, sagt Schröter.

Was wohl daran lag, dass man sich an ihr Schicksal nur ungern erinnerte: Als Juden bekamen sie nach 1933 bald die Diskriminierung durch das NS-Regime zu spüren, 1936 wurde die Pausa "arisiert", die Löwensteins mussten ihr Unternehmen weit unter Wert verkaufen und emigrierten mit ihren Familien nach Großbritannien. Ein Dorn im Auge dürfte die Pausa schon davor den Nazis gewesen sein: Am 31. Januar 1933, dem Tag von Hitlers Machtübernahme, begannen Pausa-ArbeiterInnen den <link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand die-trommler-des-widerstands-345.html _blank internal-link-new-window>Mössinger Generalstreik, der der einzige im ganzen Reich gegen den neuen Reichskanzler war. Auch dies war lange kaum bekannt.

Erstes Licht ins historische Dunkel brachte 2006 – fünf Jahre nach dem Ende der Firma und ein Jahr, nachdem der Abriss der Fabrikbauten abgewendet worden war – das Buch "Das Bauhaus kam nach Mössingen", mit angeschoben von Welf Schröter und Irene Scherer. Für beide nur ein Anfang: 2007 gründeten sie den "Löwenstein-Forschungsverein" und konnten durch Recherchen zum einen immer besser nachweisen, auf wie vielfältige Weise das Wirken der Kunstschaffenden in Dessau und Weimar seinen Weg nach Mössingen gefunden hatte, zum anderen konnten sie viele Nachkommen der Löwensteins ausfindig machen und nach Mössingen einladen. 

Mehrere Bauhaus-Absolventinnen arbeiteten bei der Pausa

Erste Verbindungen zwischen Pausa und Bauhaus gab es schon 1921, ein Briefwechsel zwischen den Löwensteins und Walter Gropius ist belegt. Ende der 1920er wurden immer mehr Stoffe mit Bauhaus-Designs gedruckt und verkauft, der Kontakt nach Weimar wurden enger. Mit Lisbeth Oestreicher, Ljuba Monastirskaja und Friedl Dicker kamen Bauhaus-Absolventinnen nach Mössingen, die in verschiedenen Bereichen für das Unternehmen arbeiteten, zeitweise ebenso dem Bauhaus-Gedanken nahe stehende Künstlerinnen wie Lily Hildebrandt, Anneliese May oder die Finnin Armi Ratia, die spätere Marimekko-Gründerin. Gleich drei Veranstaltungen widmen sich den "aufmüpfigen und klugen Bauhaus-Frauen in der Löwenstein'schen Pausa", am 5. Juni, 3. Juli und 18. September. Für Schröter ein besonders wichtiger Teil des Programms: "Dass es kluge, hochkompetente Frauen waren, die das mit aufgebaut haben, ist etwas anders als das, was man bei den meisten anderen Bauhaus-Veranstaltungen in diesem Jahr hört, in denen vor allem Männer im Mittelpunkt stehen".

Da ein wichtiges Ziel des Forschungsvereins von Anfang an auch die Suche nach Angehörigen und Nachkommen der Löwensteins war, sollen auch diese am Festival teilhaben. Viele wurden eingeladen, etwa 14 bis 18 werden kommen. Gewidmet ist ihnen eine Matinee am 28. Juli, mit Redebeiträgen unter anderem von Anita Poulman, der Enkelin von Flora und Artur Löwenstein, und Ann Angel, Enkelin von Helene und Felix Löwenstein. Bei dieser Veranstaltung soll auch die offizielle Gründung einer "Forschungs- und Archivstelle Artur und Felix Löwenstein" erfolgen, die weitere wissenschaftliche Untersuchungen und die Vermittlung der Ergebnisse erleichtern soll.

Mit insgesamt zwölf Veranstaltungen ist der Forschungsverein bei dem Festival dabei, einen Überblick über die Geschichte gibt es gleich am 5. Mai mit Irene Scherers und Welf Schröters Vortrag "1919 gegründet – Die Geschichte der Löwenstein'schen Pausa" (17 Uhr, Bogenhalle). Die Ergebnisse der Forschungen des Vereins flossen zudem in die große Pausa-Ausstellung "Jede Menge Stoff drin" ein, mit deren Vernissage am Freitag, den 3. Mai, die Jubiläumsfeierlichkeiten eröffnet werden. Das Museum Mössingen will darin die Firmen- und Designgeschichte nachzeichnen, die Verbindungen zum Bauhaus sowie die Rolle und das Schicksal der Familie Löwenstein werden dabei eine zentrale Rolle spielen.

Identitätsstiftung durch Pausa

Als Co-Veranstalter mit von der Partie ist auch das Theater Lindenhof aus Melchingen, das schon seit einigen Jahren die alte Bogenhalle als zusätzliche Spielstätte nutzt – unter anderem 2013 mit einem Stück zum Mössinger Generalstreik. Dank der Melchinger gibt es ein umfangreiches Bühnenprogramm: Den Anfang macht Wolfgang Schnitzers "Pausa-Maschinensymphonie" am 4. Mai, in der Klangbilder, die die mechanische Produktion der Textilfabrik skizzieren, zusammen mit Tonaufnahmen alter Maschinen, Zeitzeugen-Texten, Computerklängen und Bildprojektionen eine multimediale audiovisuelle Collage ergeben sollen. Ebenfalls Bild-Ton-Collagen, nun aber über das Bauhaus, präsentieren drei Wochen später Schnitzer und Lindenhof-Intendant Stefan Hallmayer mit ihrem Stück "Das Prinzip Coop" (am 24. und 25. Mai). Das Opus Magnum zum Jubiläum folgt im Juli: In "Aufstieg und Fall einer Firma", geschrieben von Franz Xaver Ott, lässt das Lindenhof-Ensemble unter der Regie von Philipp Becker die Geschichte der Pausa wieder auferstehen (Premiere am 11. Juli).

Es hat sich viel getan, seit 2005 das Pausa-Werksensemble vor dem Abriss gerettet wurde. "Vor 13 Jahren mussten wir die Untersuchungen zu den Bauhaus-Verknüpfungen noch mühsam voranboxen", erinnert sich Welf Schröter. Besonders wichtig waren ihm und Irene Scherer "die Würdigung und Wertschätzung der jüdischen Gründer, die dies mit angestoßen hatten, und die nach dem Krieg zu No-Names geworden waren". Ihr Bemühen hat Früchte getragen, "heute sind viele Mössinger froh darüber", sagt Schröter. Und auch die Stadt Mössingen, anfangs eher zurückhaltend, sei mittlerweile so weit, "dass sie die Pausa-Bauhaus-Verknüpfung als identitätsstiftend betrachtet."


Info:

Den Start des Festivals "100 Jahre Pausa – 100 Jahre Bauhaus" bildet die Vernissage der Ausstellung "Pausa. Jede Menge Stoff drin", am 3. Mai um 19 Uhr in der Tonnenhalle (Löwensteinplatz, Mössingen). Weitere Veranstaltungen in den ersten Festivaltagen sind die Maschinensymphonie (4. Mai), ein Familientag mit Kreativ-Werkstätten (5. Mai, 11–17 Uhr) und der Vortrag "1919 gegründet – die Löwenstein'sche Pausa" (5. Mai, 17 Uhr, Tonnenhalle). Weitere Veranstaltungen gibt es <link https: www.moessingen.de de freizeit-tourismus sehen-erleben _blank external-link>unter diesem Link.


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