KONTEXT:Wochenzeitung
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Versteckt und vergessen

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Während in München mit lautem Getöse ein verlorener Kunstschatz gehoben wird, schlummern in und um Stuttgart außergewöhnliche Bilder aus der Nazizeit. Sie wurden damals versteckt, sie auszustellen wäre lebensgefährlich gewesen. Weil sie vorausschauend zeigten, wohin Hitlers Gewaltherrschaft letztlich führte. Bis heute sind die Arbeiten nie einer größeren Öffentlichkeit präsentiert worden. Kontext zeigt eine Auswahl.

Auf einer dunkelgrauen Wolke schwebt die Büste Adolf Hitlers, die rechte Hand emporgereckt und zur Faust geballt. Lichtstrahlen gehen von ihr aus wie von einem Blitze schleudernden Thor. An drei Tischen verdrehen alle die Hälse, um mit offenen, geifernden Mündern dem Führer zuzujubeln.

Ernst Kunkels Ölskizze entstand bereits in den ersten Jahren der NSDAP, womöglich noch vor dem Putschversuch im November 1923. Kunkel, Sohn eines Schriftsetzers, Gewerkschafters und zeitweiligen SPD-Landesvorstands, der das erste Haus im heutigen Stuttgarter Nobelviertel am Frauenkopf errichtete, war ein scharfer Beobachter des Zeitgeschehens. Zeichnungen und Aquarelle zeigen Stammtischler, Tänzer, seinen Vater als Redner im Stuttgarter Clara-Zetkin-Haus, eine Demonstration gegen Preiserhöhungen, einen Knaben im Sonntagsanzug oder seinen Bruder Eugen, der dem "Bund der religiösen Sozialisten" angehörte, als grünen "Kräuter-Eku". Als dieser im April 1933 einen Aufruf unterzeichnete, der den Nationalsozialismus als "antichristliche Anbetung der Gewalt" anprangerte und in der Aufforderung gipfelte: "Lehnt Hitler ab!", stürmten SA-Truppen das Haus am Frauenkopf und verschleppten ihn in das neu eingerichtete Konzentrationslager "Heuberg" auf der Schwäbischen Alb – eine Begebenheit, die sein Bruder Ernst sogleich in einem Aquarell festhielt.

Selbstverständlich hat der Künstler diese Arbeit damals nicht ausstellen können – ebenso wenig wie die kleinen "Arschlecker" (1936), die um eine dumpfe Figur mit Revolver und Patronengurt herumschleichen. Nach dem Krieg wollte Kunkel Mitglied im Künstlerbund werden, wurde aber nicht aufgenommen. Er zog sich ins Private zurück und verarbeitete ganz am Ende seines Lebens seine Erlebnisse in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Zu Lebzeiten hatte er eine einzige Ausstellung, 1981 im Stuttgarter Gewerkschaftshaus. Eine weitere fand aus Anlass seines 100. Geburtstags auf Schloss Waldenbuch statt, der Abteilung für "Alltagskultur" des Landesmuseums Württemberg, wo sein Werk in den volkskundlichen Sammlungen verwahrt wird. Dabei ist Kunkel alles andere als ein naiver Volkskünstler. Nach Kursen an der Kunstgewerbeschule hat er auf Anraten des "schwäbischen Impressionisten" Christian Landenberger drei Jahre an der Stuttgarter Kunstakademie studiert, die er "aus Mangel an Geldmitteln" verließ, wie dieser in seinem Abschlusszeugnis festhält. Weiterhin bescheinigt ihm Landenberger, er sei "außerordentlich begabt und besitzt ein ausgezeichnetes künstlerisches Talent. In Beziehung auf Fleiß ist Herr Kunkel als vorbildlich zu bezeichnen."

Hermann Sohn ist verglichen mit Kunkel ein bekannter Maler. Annähernd gleich alt, wie Kunkel Lithograf, hatte er etwas früher bei Landenberger zu studieren begonnen, aber auch bei Adolf Hölzel, in dessen Klasse er Willi Baumeister und Oskar Schlemmer kennenlernte, und schließlich bei Heinrich Altherr. "Unter denen, die durch Altherrs Schule gegangen sind oder doch angeregt wurden, ist der stärkste wohl Hermann Sohn", meint der Galerist Bert Schlichtenmaier. Sohn wurde gefördert von Hugo Borst, dem Kunstsammler und ehemaligen Vorstand der Robert Bosch GmbH, dessen Sammlung sich heute in der Staatsgalerie befindet. Nach dem Krieg wurde er in den Planungsausschuss zur Wiedereröffnung der Stuttgarter Akademie berufen, wo er bis 1962 eine Malklasse leitete.

Als Marion Ackermann, bis 2009 Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart und heute Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, "Die schwarzen Männer" im Depot des Kunstmuseums entdeckte, reservierte sie Sohns Gemälde einen Platz in der Dauerausstellung – die freilich immer wieder einmal umgehängt wird. Auch im Esslinger Landratsamt war das Bild einmal ausgestellt. Zu sehen sind vier Gestalten in Schwarz, den Hut auf dem Totenschädel, die Hakenkreuzbinde am Oberarm, mit verschiedenen Attributen: Ein Blumenstrauß bezeichnet den Schöngeist, ein Koffer den Arzt, die Tasche eines Zeitungs-Austrägers die Presse. Das 1934 entstandene Bild trägt den Untertitel: "Die Ratten verlassen das Schiff": eine scharfe Kritik an den Mitläufern, die ihre Überzeugungen in den Wind schreiben und zu willfährigen Dienern des Systems werden.

"Hier in Esslingen da gab's ein israelitisches Waisenhaus", gibt Hermann Sohn 1968 an seinem 75. Geburtstag zu Protokoll – es handelt sich um das heutige Theodor-Rothschild-Haus, heute Sitz der Esslinger Stiftung Jugendhilfe aktiv. "Und ich bin geholt worden, von einem Malermeister, wegen Farbbestimmungen, in dieser Kaserne oben, in der Becelaere-Kaserne. Und wir fahren da die Mühlbergerstraße 'nauf, die Panoramastraße, und kommen an dieses Waisenhaus hin. Da ist vorne ein großer Hof gewesen. Man ist da die Staffeln raufgegangen. Und da seh' ich, wie da die Kinder rausspringen und schreien: 'mordio!' und rennen und tun und machen. Und dann spring' ich rein in den Hof, ein großer Schulhof, spring' ich rein, und jetzt schmeißen sie oben durch die Fenster Fahnen, israelitische Fahnen, und alles mögliche zum Fenster raus, und Bücher und was weiß ich. Also da ging's drunter und drüber." "Das war die SA!", lässt sich auf der Tonbandaufzeichnung eine andere Stimme vernehmen. Sohn weiter: "Und ich steh' in dem Hof, und ich schrei', was ich aus dem Hals rausbring': 'Polizei! Polizei! Wo ist denn die Polizei! Polizei!' Und dann rennt einer von den Kerle auf mich zu und sagt: 'Kerle, wenn du jetzt net deine Gosch hältst, und gleich verschwindest, dann schlag' ich dir den Schädel ein!' Jetzt ist das die Zeit gewesen der Kristallnacht. Auf dies hin ist die Kristallnacht gekommen. Und die Kinder sind alle dem Wald zugerannt, dem Schurwald zugerannt, und auch der Leiter von diesem israelitischen Waisenhaus. Das habe ich natürlich nicht gewusst. Und ich bin heim und nehme meine Leinwand und habe dieses Bild gemalt. Das ist die 'Krystallnacht': fünfarmiger Leuchter hinten und dann der Judenstern. Das hätt' ich dürfen niemand zeigen. Das hab' ich versteckt gehabt."

Das Bild bleibt bis heute versteckt. Wie die Erben <link http: www.sohnde.de titelseite.html _blank>auf einer dem Künstler gewidmeten Internet-Seite schreiben, habe "die Stadt Esslingen nie Interesse am Erwerb eines solchen Zeitdokuments gezeigt".

Oskar Zügel ist ebenfalls nahezu gleich alt wie Kunkel und Sohn, hat bei Christian Landenberger, Adolf Hölzel und Heinrich Altherr studiert und war mit Willi Baumeister befreundet. Gegen Ende der 1920er-Jahre entstand eine Reihe kubistischer Bilder, darunter ab 1930 die Serie "Genotzüchtigte Kunst" mit Untertiteln wie "Diktator" und "Joseph Goebbels". Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nazis bekam Oskar Zügel Besuch von der SA. Bilder wurden beschlagnahmt. Sie sollten verbrannt werden, überlebten jedoch den Krieg. Eine Ausstellung im Essener Museum Folkwang, in der Zügel vertreten war, wurde 1933 geschlossen. Oskar Zügel wurde kurz danach zum Polizeipräsidium vorgeladen, um, wie seine Tochter berichtet, einen "fast bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschlagenen jüdischen Freund" zu identifizieren.

Zügel begann dann an einem Gemälde zu arbeiten, das er später sein "Schicksalsbild" nennen wird und dem er drei Titel gibt: "Sieg der Gerechtigkeit", "Untergang des Unsterns Hitler" und "Zerstörung Stuttgarts". Eine rote Kanonenkugel mit Hakenkreuz löst einen Höllensturz in eine braune, zerstörte Stadtlandschaft aus. 1934 verließ Zügel Deutschland; das unfertige Werk nahm er zusammengerollt mit ins Exil nach Spanien. Drei Jahre später flüchtete er weiter nach Argentinien und ließ das inzwischen fertige Gemälde zurück, das, wie sich bei seiner Rückkehr 1950 herausstellte, die Zeit unbeschadet überstanden hatte.

Als Zügel 1981 zum bisher einzigen Mal in Stuttgart mit einer Einzelausstellung gewürdigt wird, ist das Bild nicht vertreten. Nur in einer kleinen Ausstellung zur Erinnerung an den jüdischen Anwalt Manfred Uhlmann in der zweiten Etage des Wilhelmspalais war es 1992 zu sehen. Wie Esslingen im Fall Sohns, so hat auch Stuttgart bisher keinerlei Interesse gezeigt, dieses für die Geschichte der Stadt so bedeutsame Gemälde zu erwerben.

Kunkel, Sohn und Zügel gehören zu den Künstlern der "verschollenen Generation", wie sie der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann genannt hat: Zur falschen Zeit geboren, fanden sie auch nach dem Krieg nur wenig Beachtung. Abstrakte Kunst war gefragt, das war einfacher, als sich mit unbequemen Dingen konfrontieren zu müssen. Künstler, die ins Exil gegangen waren, hatten es schwer, wieder Fuß zu fassen, wie auch der Schriftsteller Alfred Döblin feststellen musste: Die Daheimgebliebenen, von Angst und schlechtem Gewissen geplagt, wollten von ihnen nichts wissen. Heute hat sich diese Situation noch immer nicht grundlegend geändert. Die meisten Werke von Sohn und Zügel befinden sich weiterhin im Besitz der Erben, die Museen zeigen wenig Interesse. An der künstlerischen Qualität liegt es nicht: Beide gehören zu den herausragenden Malern, die in den 1920er-Jahren in Stuttgart zu arbeiten begannen.

Ähnliches gilt für eine ganze Anzahl weiterer Künstler, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden, wie etwa Heinrich Altherr, Bernhard Pankok oder Rudolf Rochga. Doch auch Fritz von Graevenitz, 1938 bis 1946 Direktor der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, der anfangs große Hoffnungen auf Hitler setzte, übte später Kritik an der Kunstauffassung der Nationalsozialisten. Er nahm Wilhelm Lehmbruck in Schutz, als dieser in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München gezeigt wurde, und sprach den Ministerpräsidenten Christian Mergenthaler auf die Morde an Behinderten auf Schloss Grafeneck an, wie <link http: www.steiner-verlag.de programm fachbuch geschichte universitaets-und-wissenschaftsgeschichte einzeltitel-universitaets-und-wissenschaftsgeschichte view titel _blank>Julia Müller in ihrer kenntnisreichen Dissertation herausgearbeitet hat. Die Geschichte vieler anderer Künstler ist siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch nicht aufgearbeitet. In Depots der Museen und in Privatsammlungen dürften noch einige Werke lagern, die zeigen, wie Künstler das "Dritte Reich" erlebt haben: keineswegs alle Anhänger der Nazis, unabhängig von der Kunstrichtung.


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6 Kommentare verfügbar

  • maguscarolus
    am 22.11.2013
    Antworten
    @Kornelia

    Das ist exakt das deutsche Problem: "Schaffe, net schwätze!" – und alles ist recht, was den wirtschaftlichen Erfolg der Schafferei sichert.

    Unter den Nazis wurden Idealismus und Opferbereitschaft insbesondere der jungen Deutschen so grauenhaft pervertiert und missbraucht, dass…
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