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"Zu Hause zwischen ihren Bildern"

"Zu Hause zwischen ihren Bildern"
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Zu Lebzeiten galt die Kerko, wie Ida Kerkovius genannt wurde, in Stuttgart als eine Institution. Heute, 50 Jahre nach ihrem Tod, werden Künstlerinnen der Moderne allenthalben neu entdeckt. Der Staatsgalerie ist die Kerko allerdings nur eine kleine Kabinettausstellung wert.

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Staatsgalerie im Einbahnstraßen-Modus

Seit 12. Mai ist die Staatsgalerie wieder zugänglich. Es gelten Maskenpflicht, Hygiene- und Abstandsregeln sowie ein Einbahnsystem. Gruppenbesuche und Führungen sind nicht möglich, nur Privatführungen für maximal vier Personen. Kopfhörer gibt es nicht, ein Audioguide kann aber auf das eigene Smartphone heruntergeladen oder zu Hause abgehört werden.
Die Ausstellung "Ida Kerkovius – Die ganze Welt ist Farbe" läuft bis 13. September und ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet.  (dh)

"Als ich ihr das erste mal persönlich begegnete", schreibt Kurt Leonhard in seiner 1967 erschienenen Monografie über die Malerin Ida Kerkovius, "forderte sie mich auf: 'Besuchen Sie mich doch mal und sehen Sie sich an, was ich mache; aber es wird Ihnen sicher nicht gefallen.' Und auf meine fragende Geste: 'Weil ich nicht abstrakt male!'" Dies war zwei Jahre nach Kriegsende, im selben Jahr, in dem Leonhard, der Herkunft nach Berliner und mit den Amerikanern nach Esslingen gekommen, "Die heilige Fläche" veröffentlichte: eine der ersten Abhandlungen überhaupt, die den Deutschen nach zwölf Jahren Nationalsozialismus moderne Kunst nahezubringen versuchte.

Dass Kerkovius zu jenem Zeitpunkt befürchtete, ihre Kunst könne Leonhard nicht abstrakt genug erscheinen, hat eine doppelte Ironie. Denn zum einen gab es zu jener Zeit außer dem Nervenarzt und Kunstsammler Ottomar Domnick, in dessen Haus die Begegnung stattfand, noch sehr wenige Anhänger abstrakter Kunst. Zum anderen hatte sie schon sehr früh auch abstrakte Werke geschaffen. Leonhard kannte damals bereits einige ihrer Arbeiten: "Ich erinnere mich noch gut", schreibt er, "wie ich mit einem jungen Maler vor der 'Großen polnischen Landschaft' stand – die übrigens im Krieg in Stuttgart gemalt worden ist – und wir uns einig waren in der Bewunderung des unvergleichlich raumfülligen Gefüges ihrer Farben."

"Und als ich dann zu ihr kam, war ich sogleich zu Hause zwischen ihren Bildern", schließt der Autor den Gedanken, der ihr durchaus "Meisterschaft" zuspricht. In den beiden Jahren nach dieser Begegnung hatte die Künstlerin in Stuttgart zwei Einzelausstellungen. "Von nun an", so Leonhard weiter, "folgte eine Ehrung nach der andern: 1950 die Aufnahme in den Deutschen Künstlerbund, 1954 die Verleihung des baden-württembergischen Staatspreises und des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, 1958 der Professorentitel, 1959 die große Jubiläumsausstellung zur Feier ihres achtzigsten Geburtstages im Württembergischen Kunstverein, in der Folge eine lange Reihe von Ausstellungen in der ganzen Welt."

Zum Teppichweben nach Weimar

Die persönliche Erinnerung des großen Kunstvermittlers der Nachkriegszeit zeigt, welche Anerkennung der 1879 in Riga geborenen Malerin damals in Stuttgart entgegengebracht wurde. Die Kerko war eine Institution: diejenige, die Adolf Hölzel, dem 1934 verstorbenen, wegweisenden Akademielehrer, am engsten verbunden war. Schon 1903, noch vor Oskar Schlemmer und Willi Baumeister, hatte sie bei ihm in Dachau studiert. 1908 folgte sie ihm nach Stuttgart. Als seine Assistentin unterrichtete sie Johannes Itten, bevor dieser, auf der Hölzel-Lehre aufbauend, den Grundkurs am Bauhaus einrichtete, den wiederum Kerkovius besuchen musste, als sie im Alter von 41 Jahren nach Weimar ging, um das Teppichweben zu erlernen.

Ursula Reinhardt ist mit Ida Kerkovius aufgewachsen. "Sie wollte immer, dass ich dort bleibe", erinnert sich die Galeristin an ihre Kindheitserlebnisse im Atelier der Malerin. Eigentlich bestand Kerkovius darauf, beim Malen allein zu sein. Doch bei ihr machte sie eine Ausnahme. Reinhardts Vater Erich Schurr hatte die Künstlerin, deren Atelier ausgebombt war, nach dem Krieg in sein neu errichtetes Behelfsheim im Stadtteil Degerloch aufgenommen. Später lebte sie in einem eigenen Haus auf dem Grundstück, das längst abgerissen ist, um die Immobilie gewinnbringend zu verwerten. Wie eine Familie lebten die Schurrs und Kerkovius dort zusammen. Für Tochter Ursula war sie wie eine Großmutter.

Reinhardt, damals noch Ursula Schurr, übernahm 1978 die Galerie, die ihr Vater 1960 im Erdgeschoss des Porzellanhauses Maercklin in der Königstraße eingerichtet hatte, dessen Inhaber er war. Er war aber auch selbst Maler, Schüler des Hölzel-Schülers Max Ackermann, und hat in den Wirren des Kriegsendes den Nachlass Adolf Hölzels vor der Zerstörung bewahrt. Die Tochter hat sich später als Galeristin auf neue Entwicklungen wie Land Art oder Fotokunst verlegt. Doch die frühen Erlebnisse im Atelier der Kerko bleiben für sie eine wichtige Erfahrung: "Das hat mich stark geprägt", meint sie.

Eine etwas geheimnisvolle und wichtige Figur war Kerkovius auch, weil sie die zwölf Jahre der Naziherrschaft offenbar unkompromittiert überstanden hatte. Und das, obwohl sie weiterhin durchaus modern malte, wie ja auch Leonhard angesichts der "Großen polnischen Landschaft" bewundernd hervorhebt: ein Gemälde von 1943, 84 mal 68 Zentimeter groß, das sich heute in der Sammlung des Kunstmuseums befindet. Dass sie als Künstlerin ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaftete – das Familienvermögen im fernen Riga hatte sich in der Oktoberrevolution in Luft aufgelöst – war gerade zu jener Zeit, die Frauen an Heim und Herd verbannen wollte, schon höchst außergewöhnlich.

Von den Nazis beschlagnahmt

Möglich war ihr dies aus mehreren Gründen: Zum einen kam ihr nun zugute, dass sie am Bauhaus das Teppichweben erlernt hatte. Das galt als Handwerk und war somit unverdächtig. Zum anderen hatte sie ein gutes Netzwerk: So verhalf ihr ihre frühere Schülerin und Freundin Hanna Bekker vom Rath zu Privatverkäufen unter der Hand. Und sie gab Privatunterricht – Förderer wie der Mäzen Hugo Borst vermittelten ihr Schüler.

"Ein kleines ungegenständliches Bild von mir aus dem Karlsruher Museum", berichtet sie 1949, "wurde in der sogenannten entarteten Ausstellung in München ausgestellt." Zwei weitere Werke waren beschlagnahmt worden, eines davon aus der Stuttgarter Staatsgalerie, bleibt bis heute verschollen. "Von da an zog ich mich aus der Öffentlichkeit zurück, verließ aber den einmal eingeschlagenen Weg meiner Kunst nicht." Genau dies trug ihr in der Nachkriegszeit, neben ihrer Kunst selbst, hohe Anerkennung ein.

Wenn der Stuttgarter Oberbürgermeister – was er heute wohl nur noch selten tut – durch den kleinen Festsaal im ersten Stock des wiederaufgebauten Rathauses tritt, um sich an die auf dem Marktplatz versammelte Menge zu wenden, schreitet er durch eine Bronzetür in einem 6,50 Meter hohen abstrakten Glasfenster von Ida Kerkovius. Eindeutig hatte sie den Wettbewerb für sich entschieden und den Entwurf zusammen mit dem Glasmaler Adolf Valentin Saile ausgeführt. Bereits 1927 hatte sie, wiederum mit Saile, an den Glasfenstern Adolf Hölzels im Treppenhaus des Rathauses mitgearbeitet, die anlässlich eines Besuchs von Adolf Hitler 1937 ausgebaut wurden und heute nur noch in Teilen erhalten sind. Auf diese Erfahrung konnte sie nun bauen.

Bereits 1951 hatte sie einen ersten Glasfensterauftrag für das Sozialamt erhalten. "Endlich einmal ein anständiger Auftrag!" schrieb sie damals an ihren Bruder. Das Sozialamt ist heute Jugendamt und das Fenster befindet sich im Depot des Kunstmuseums. So genannte Betonglasfenster – einer im Kirchenbau damals beliebten Technik – schuf sie für einen Andachtsraum im Neubau des Tübinger Universitätsklinikums und für das Stuttgarter Landesgewerbeamt (Haus der Wirtschaft). Das Fenster verwahrt heute das Landesmuseum.

In Stuttgart bleibt es still um die Künstlerin

Vier große Einzelausstellungen hat der Württembergische Kunstverein Ida Kerkovius zu Lebzeiten gewidmet. Einige der wichtigsten Galerien wie Vömel in Düsseldorf oder Günther Franke in München vertraten sie. An 75 Ausstellungen war sie in der Nachkriegszeit beteiligt, unter anderem 1961 mit zwanzig Arbeiten an der großen Ausstellung "Hölzel und sein Kreis" zur Wiedereröffnung des Kunstgebäudes. "Paradoxerweise war sie bisher weder auf der documenta noch auf der Biennale vertreten", wundert sich Kurt Leonhard. Gemeint ist die Biennale von Venedig, denn auf der zweitältesten Biennale der Welt in São Paulo waren 1957 drei kleinere Arbeiten zu sehen.

Nach ihrem Tod 1970, im Alter von 90 Jahren, ließ das Interesse nach. In der Galerie der Stadt Stuttgart (heute Kunstmuseum) gab es 1979 noch eine Einzelausstellung. Die Staatsgalerie subsummierte sie 1985 unter "Die fünf Stillen im Lande". Still waren weniger die Künstler selbst. Sie wurden eher mit Schweigen übergangen. Die erste Museumsausstellung nach langer Zeit fand 1998 in der Städtischen Galerie Böblingen statt. Deren damalige Direktorin Eva-Marina Froitzheim ist heute Kuratorin im Stuttgarter Kunstmuseum, das einige Hauptwerke besitzt, aber den 50. Todestag wie schon das Bauhaus-Jubiläum ungenutzt verstreichen lässt.

Dabei erfreut sich das Thema Frauen am Bauhaus und in der Moderne in den letzten Jahren außerordentlicher Beliebtheit. Es gibt eine ganze Reihe von Büchern, Radio- und Fernsehsendungen sowie zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zum Thema. Zwar war Kerkovius mit ihren damals 41 Jahren nicht die durchschnittliche Bauhaus-Schülerin – aber macht sie das weniger interessant? Sicher nicht, jedenfalls haben in den letzten Jahren, nach einer großen Ausstellung in Regensburg, auch Chemnitz, Engen im Hegau und Apolda, in der Nähe von Weimar, wichtige Kerkovius-Ausstellungen veranstaltet.

Nur in Stuttgart, der Stadt, in der sie von 1908 bis 1970 gelebt hat, wo in Museen, Privatsammlungen und Galerien wohl mehr Werke vorhanden sind als irgendwo sonst, die sich leicht ohne größere Kosten zusammentragen ließen: in Stuttgart bleibt es still. Immerhin stellt die Staatsgalerie nun in ihrer hintersten Ecke, dem Grafikkabinett, ihren kompletten Bestand aus, jedenfalls soweit dies aus konservatorischen Gründen möglich ist. Knapp über 30 Werke, überwiegend zu Lebzeiten erworben, vier aus der Sammlung von Hugo Borst, sieben in ihrem Todesjahr, danach nur noch einige Leihgaben und Schenkungen. Sehenswert allemal, aber es ließe sich mehr daraus machen.


Unser Autor hat im vergangenen Jahr im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege, ausgehend von Recherchen von Studierenden der Universität Konstanz, eine 40-seitige Broschüre zu Ida Kerkovius verfasst.


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