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Kesselbambule

Wurzelbehandlung statt Bambuszahnbürste

Kesselbambule: Wurzelbehandlung statt Bambuszahnbürste
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 Fotos: Jens Volle 

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Die Stimmung ist peacig, die Debatten sind basisdemokratisch und diskriminierungsfrei, und freiwillig abgespült wird auch. Das Klimacamp von Kesselbambule zog am Wochenende Hunderte junge Menschen in die Stuttgarter City. Ihr Begehr: kein Umweltschutz, sondern Klimagerechtigkeit.

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Auf dem Rasen im Stuttgarter Stadtpark versammeln sich die Menschen zum Debattieren, Lernen, Aktionenplanen und zum Vernetzen. "Gerade nach den Lockdowns, wo viel digital lief, ist es wichtig, sich mal wieder persönlich zu treffen", findet Nisha Toussaint-Teachout, eine Sprecherin des Klimacamps. Dieses Bedürfnis hatten offenbar viele KlimaaktivistInnen und so war der Ruhebereich – "drogenfrei" beschildert – eher leer, die zahlreichen Zelte mit Workshops dagegen gut besucht. Die Zelte hießen Kimberlè, Rosa, Clara und Emma und dort ging es um Rassismus und Klimagerechtigkeit, Feminismus, Mobilitätswende. WissenschaftlerInnen brachten die Zuhörenden auf den neuesten Stand der Forschung, mit GewerkschafterInnen wurde über die ArbeitnehmerInnen in der Autoindustrie debattiert, der Klimawandel als Fluchtursache wurde ebenso durchleuchtet wie Stuttgart 21, der Kapitalismus und eine bessere Demokratie. Und es ging um ganz Basales.

"Das Küfa-Team lässt ausrichten, dass es kein Abendessen gibt, wenn jetzt nicht abgespült wird!" Tatsächlich: Der Schichtplan fürs Kochen, Aufräumen, Abspülen ist noch ziemlich leer, aber die Megaphondurchsage zeigt Wirkung: Mehrere junge Menschen ziehen gen Küchenstand.

Keine Steine für die Flyer

Die Stimmung ist peacig, die Debatten sind basisdemokratisch und diskriminationsfrei, Stress kommt nicht auf, höchstens Müdigkeit. Die beiden Mitorganisatorinnen und Sprecherinnen sind jedenfalls deutlich erschöpft. "Ja, die Nacht war kurz", sagt Franziska Sander, ebenfalls Sprecherin vom Klimacamp. "Und die letzten Wochen waren auch anstrengend." Monatelang wurde das Wochenende vorbereitet. Das Team musste das Konzept sogar im Bezirksbeirat Stuttgart Mitte vorstellen, wo die bürgerlichen Fraktionen befürchteten, dass vom Camp extremistische Aktionen ausgehen könnten – was immer darunter zu verstehen ist. Zudem waren viele Ämter in das Genehmigungsverfahren involviert, berichtet die offizielle Campleiterin Andrea Schmidt. "Das Tiefbauamt, der Brandschutz, das Amt für politische Versammlung, zwei Polizeireviere, das Friedhofsamt und auch das Land, weil die Uni ja dem Land gehört." So wurde den OrganisatorInnen erst eine Woche vor Start des Klimacamps der Stadtgarten als Ort des Geschehens freigegeben. Und erst drei Tage vorab wurde die Küche genehmigt. Schmidt grinst. "In der Verwaltung ist man eben nicht in der Lage, sich einmal zusammenzusetzen, um alles zu besprechen. Aber es hat ja geklappt." Das ist die Hauptsache, und so kann auch Schmidt damit leben, "dass wir aufgrund der Auflagen nicht mal Steine auf die Flyer legen dürfen. Wegen der Wurfgefahr." Wieder lacht sie.

Währenddessen sitzen unter der Plane von Zelt Rosa rund 30 junge Frauen und Männer um Hannes Rockenbauch herum. Der Stadtrat von SÖS erläutert, was so alles auf kommunaler Ebene entschieden wird: Flächenversiegelung, Milliarden für Tunnelbau, Wohnungsverkäufe. Und was dagegen getan werden kann. "Wenn ausschließlich der Gemeinderat entscheidet, sind derartige Projekte nicht zu verhindern", sagt der Architekt. Es brauche immer Öffentlichkeit, Skandalisierung und Druck von außen. Rockenbauch ist überzeugt vom Engagement vor Ort: "Wenn Entscheidungen vor Ort einfach so durchlaufen, muss man sich nicht wundern, wenn im Großen auch nichts anders wird."

Inspiration vom Profi

Unter den Zuhörenden ist Sophia Steinmetz aus Süßen. Sie möchte eine Einschätzung des SÖSlers zu einem Konflikt in ihrer Stadt. Dort habe sich eine Bürgerinitiative gegen ein neues Gewerbegebiet gegründet – "Schon das alleine ist in Süßen revolutionär" – , nun habe der Bürgermeister zu einem runden Tisch geladen. "Wir haben das Gefühl, wir sollen da eingelullt werden und fragen uns, ob uns das nicht den politischen Wind aus den Segeln nimmt. Was meinst du?", fragt sie. Rockenbauch erinnert an das Schlichtungsverfahren zu S 21, als nach monatelangen Massenprotesten einige wenige im Rathaus saßen und diskutierten. "Der Rest saß plötzlich vor dem Fernseher und hat sich das Verfahren da angeschaut. Die Politik war weg von der Straße." Das sei nicht gut gewesen, mit reiner Stellvertreterpolitik könne man Verhältnisse nicht ändern. Steinmetz nickt nachdenklich. Im anschließenden Gespräch zeigt sie sich zufrieden mit der Antwort. "Das ist interessant zu hören, weil wir darüber ja auch nachdenken. Ich werde das in die Gruppe einbringen und werde Rockenbauch auch vorher nochmal kontaktieren."

In Süßen, dem 10.000 Einwohnerort im Filstal, geht es seit zehn Jahren um ein Gewerbegebiet, das auf der Gemarkung von Süßen und der des Nachbarorts Gingen entstehen soll. "6,5 Hektar Streuobstwiese, Ackerfläche und FFH-Wiese", so Steinmetz. Weil nun der Flächennutzungsplan verabschiedet worden sei, lebe die kontroverse Diskussion wieder auf, "und die Bürgerrunde Süßen hat sich zusammengefunden", erzählt die 26-Jährige, die selbst mit drei anderen vor einigen Jahren die Initiative Transition Town Süßen gegründet hat. Nun, bei der Bürgerrunde, seien auch viele ältere, ehemalige Aktive von Nabu und Albverein dabei. Steinmetz: "Ich glaube, die hatten zwischendurch mal resigniert. Aber jetzt bringen sie neue Energie mit. Das ist toll."

Beim Aktionstraining üben derweil ein paar Handvoll Leute, sich wegtragen zu lassen, am Rande des Camps wird Klettern trainiert. "Das kann man ja immer mal gebrauchen", befindet eine junge Frau, die eher zufällig hier gelandet ist und die Chance zur körperlichen Weiterbildung nutzt. Auf der Wiese liegt Max mit zwei Kumpels. Die Studierenden sind aus Bonn angereist. Dort sei er bei "Klimatreffen Bonn" aktiv, erzählt Max. Beim Klimacamp in Stuttgart will er andere Aktivisten treffen, sich austauschen und Neues lernen. Hat Letzteres schon geklappt? "Ja. Ich war bei einem Workshop, wo es um Holzpellets geht. Dass deren Verfeuerung eben nicht nachhaltig ist und welche Folgen das hat. Das war mir vorher nicht so klar."

Die soziale Frage gehört dazu

Ein Höhepunkt des Camps ist die Fahrraddemo am Sonntag. Die Protestierenden eröffneten kurzerhand selbst eine Fahrradspur auf der Friedrichstraße, zudem wird am Rande der Kesselbambule die Commerzbank mit Transparenten geschmückt, weil sie Kredite für fossile Energieträger vergibt.

Aktionen schweißen zusammen und erhöhen den politischen Druck. Und der sei bitter nötig, befindet Nisha Toussaint-Teachout. "Die Mehrheit der Menschen in Deutschland will mehr Klimaschutz, die Parteien aber, allen voran die CDU, nimmt diesen Willen nicht auf. Die haben sich von ihren WählerInnen ziemlich entfernt." Trotzdem würden wieder mehr Menschen CDU wählen, jedenfalls laut jüngster Umfrage. Wie passt das zusammen? Sander: "Die CDU schafft es immer wieder, sich als Partei der kleinen Leute darzustellen – obwohl sie das gar nicht ist. Wir sagen, die Klimafrage ist auch eine soziale Frage, und das diskutieren wir hier. Das müssen wir noch deutlicher kommunizieren." Auch dazu soll das Klimacamp dienen. Und: "Wir wollen den Menschen die Angst vor dem Wort 'radikal' nehmen. Wir machen niemandem Konsumvorschriften, wir wollen gute Lebensbedingungen in allen Bereichen. Wir brauchen eine Wurzelbehandlung, keine Bambuszahnbürste."


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