So geht es fast allen Menschen. Wir denken an die grauen Haare, obwohl wir sogar wussten, dass unser Gehirn gleich ausgetrickst werden soll. Und so ist das auch mit politischen Konzepten. Wenn linke Bewegungen beispielsweise von "no borders" sprechen, dann befeuert das in den Köpfen ungewollt immer die Idee "border, border, border", unser Gehirn denkt an Grenzen. Was viele aber eigentlich wollen, wenn sie von "no borders" sprechen, ist eine globale Bewegungsfreiheit für alle Menschen. In dem Begriff "globale Bewegungsfreiheit" schwingt viel mehr mit von dem, was wir eigentlich meinen. Etwa die Bewegung: Das machen wir ohnehin jeden Tag, und das ist was tendenziell Schönes. Wir bewegen unseren Geist und spüren unseren Körper. Und dann natürlich die Freiheit: Da würden vielleicht sogar Liberale sagen, dass das erst einmal eine tolle Idee ist – auch wenn es aus dieser Ecke dann später wahrscheinlich hieße: "Gut, so ganz ohne Einschränkungen geht es natürlich auch nicht." So ähnlich ist das auch bei anderen Themen. Statt zu sagen "Ich will weniger Autoverkehr" könnte es auch heißen: "Ich möchte in zehn Jahren durch eine Innenstadt mit vielen Grünflächen spazieren, mit einer Luft, die ich gerne atme, frei von Feinstaub und Stickoxiden."
Momentan sieht es dennoch nicht so aus, als wären die Parteien, die mit linken Ideen werben, besonders mehrheitsfähig.
Wir wissen aber nicht, ob das so bleibt. In den USA etwa, wo das Wort "Kommunist" lange als Schimpfwort galt, gibt es ein paar spannende Kennzahlen. Bei den unter 30-Jährigen im Wahlalter sehen dort inzwischen 51 Prozent den Sozialismus als etwas Positives an. Der Kapitalismus kommt in der gleichen Gruppe auf 47 Prozent. Das ist also schon mal halb/halb. Da findet offenbar gerade ein Shift statt und eine neue Generation denkt nicht mehr in den Kategorien des Kalten Krieges. Der Kapitalismus war im Westen lange Zeit so sehr Normalzustand, dass er kaum noch benannt, geschweige denn groß hinterfragt wurde. Mit dem Zerfall der Sowjetunion war vom "Ende der Geschichte" die Rede. Die Jugend heute sieht das, glaube ich, ein bisschen anders. Die meisten Menschen, die jetzt bei Fridays for Future auf die Straßen gehen, sind groß geworden mit der Wirtschafts- und Finanzkrise, und haben erlebt, dass globaler Wettbewerb nicht das gute Leben für alle bringt – sondern eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Armut, die Klimakrise und Kriege, in der Folge auch weltweite Fluchtbewegungen. Diese Generation hat auch erlebt, wie Menschen im arabischen Frühling aufgestanden sind und angefangen haben, sich zu wehren gegen die lokale und globale Ausbeutung. Sie haben die Occupy-Wallstreet-Bewegung miterlebt. Greta Thunberg will maßvolles Wirtschaften, das sich an Bedürfnissen orientiert, kein uferloses Wachstum mit Profitlogik. Der Youtuber Rezo versteht nicht, warum wir eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die nicht den Armen, sondern den Reichen dient, und er versteht auch nicht, warum Deutschland sich an Drohnenkriegen beteiligt. Kevin Kühnert will Wohnraum und große Industriezweige kollektivieren und zu Genossenschaften umgestalten. Ob er das dann macht, ist die Frage. Aber es entsteht gerade wieder ein Denken in Alternativen. Und eben nicht in nur "Alternativen für Deutschland", sondern in global verantwortlichen Alternativen.
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