Die erste Wohnanlage, in der bis heute 3 500 Menschen leben, trägt den Namen Hugo Breitner. Zwischen 1950 und 1970 entstanden 100 000 Gemeindewohnungen, in den Sechzigern jährlich 9 000. Später rollten mehrere Sanierungswellen durch den Bestand, neuer Komfort inklusive. Weil Staubsauger Standard wurden, boten die Nischen der kleinen Gemeinschaftsbalkone, die geschaffen worden waren, um Bettzeug auszuschütteln oder Teppiche zu klopfen, die Chance zur altengerechten Ausstattung mit Aufzügen. Inzwischen sind viele der Gebäude auch energetisch saniert.
2004 war Schluss. Endgültig, verlangten die Brüsseler Wettbewerbshüter im neoliberalen Geiste, der auf Privatinitiative, private Rendite, Wettbewerb und auf eine Schwächung des Staates setzt. Zudem entfalteten die Maastricht-Kritierien ihre Wirkung. Die öffentliche Hand hatte sich immer weiter zu zügeln oder gar ganz zurückzuziehen.
In der Bundesrepublik wurde massiv geworben für den Verkauf kommunalen Immobilienbesitzes. Das Institut der deutschen Wirtschaft errechnete einen Reingewinn von 25 Milliarden Euro, würden alle Kommunen in der Republik ihren Besitz abstoßen. Viele folgten den falschen Propheten, allen voran Berlin, Dresden oder die Stadt Hamburg. In Baden-Württemberg kam der LBBW-Wohnungsbestand im Zuge einer Kapitalerhöhung samt EU-Behilfsverfahren unter die Räder und wurde an die Augsburger Patrizia AG verscherbelt. Ein von der Stadt Stuttgart angeführtes Konsortium ging in dem Milliarden-Deal leer aus.
Wien widerstand allen Verlockungen und besitzt heute noch 220 000 Wohnungen. Ab sofort soll mindestens jede zehnte Einheit, die errichtet wird, wieder den Schriftzug "Erbaut von der Stadt Wien" tragen. "Speziell der sensible Wohnungsmarkt ist nichts für das entfesselte neoliberale Spiel der freien Kräfte", wirbt Michael Häupl für die neue alte Linie. Denn dabei "bereichern sich nur einige wenige auf dem Rücken der überwältigenden Mehrzahl hart arbeitender Menschen".
Das Beispiel soll Schule machen. Schon seit 14 Monaten liegt eine von den Wiener Sozialdemokraten angestoßene Resolution "für den sozialen Wohungsbau in Europa" auf dem Tisch. Unterzeichnet haben zahlreiche Bürgermeister von A wie Amsterdam bis Z wie Zagreb, darunter auch jene aus Berlin, Frankfurt, Hamburg und Leipzig. Sie verlangen von der EU unter anderem, sich herauszuhalten aus dieser Form der kommunalen Daseinsvorsorge und "die Einengung auf benachteiligte und schwächere Bevölkerungsgruppen" zu revidieren. In mehreren EU-Mitgliedsstaaten hatten Investoren geklagt und - mit Verweis auf die Brüsseler Wettbewerbsregelungen - Recht bekommen. 2009 mussten deshalb beispielsweise in Holland die Schwellen für das Anrecht auf staatliche Mietzuschüsse um rund ein Sechstel gesenkt werden.
"Geförderter Wohnraum muss für breite Schichten der Bevölkerung weiterhin zugänglich sein", halten die Bürgermeister dagegen. Die Beschränkung allein auf einkommensschwache Gruppen "würde zu sozialer Segregation führen". In Wien werden solche Einsichten Allgemeingut: Um einen Vormerkschein für eine Gemeindewohnung zu bekommen, darf eine dreiköpfige Familie jährlich 74 000 Euro netto zur Verfügung haben. Zum Vergleich: In Stuttgart kann eine dreiköpfige Familie auf eine Sozialwohnung bei etwa der Hälfte der Summe hoffen - brutto.
Wien ist anders, verspricht die Stadtwerbung seit vielen Jahren. Ein Viertel aller Wiener und Wienerinnen mit und ohne österreichischen Wurzeln lebt im Gemeindebau, im Bezirk Favoriten sogar die Hälfte. Darunter sind Sportlegenden und Burg-Schauspieler, Manager oder grüne Spitzenpolitiker, sie alle sorgen für die gewünschte soziale Durchmischung.
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Bernhard B.
am 05.04.2015