KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Monica Wüllner über neue CDU-Plattform

Mit Kompass

Monica Wüllner über neue CDU-Plattform: Mit Kompass
|

Datum:

Monatelang haben CDU-Mitglieder intern debattiert, jetzt sind sie als "Compass Mitte" an die Öffentlichkeit gegangen mit ihrer Kritik am Rechtsruck in der eigenen Partei. Eine von ihnen ist die baden-württembergische Gewerkschafterin und CDA-Vorständin Monica Wüllner.

Vor einem Jahr hat sich die Christliche Demokratische Union Deutschland ein neues Grundsatzprogramm gegeben, das vierte seiner Art. "Wir sehen immer zuerst den einzelnen Menschen mit seiner unantastbaren Würde und seinen individuellen Fähigkeiten, wir verbinden die Freiheit des Einzelnen mit seiner Verantwortung für die Gemeinschaft", heißt es schon im Vorwort zur Bedeutung des christlichen Bilds vom Menschen. An anderer Stelle werden die drei Wurzeln benannt und betont: "christlich-sozial, liberal und konservativ". 

Nach Meinung der inzwischen mehr als 200 Unterzeichner:innen des 14-Punkte-Papiers auf der neuen CDU-Plattform "Compass Mitte" finden genau solche Bekenntnisse im politischen Alltag zu wenig Anwendung. Verlangt wird eine Umorientierung, um Politik tatsächlich aus dem christlich-sozialen Menschenbild heraus zu machen, sowie im Umgang miteinander und mit dem politischen Gegner, speziell in deutlicher Abgrenzung zu rechtsextremen Kräften ("keine Zusammenarbeit mit der AfD"). Zudem fordern sie unter dem Stichwort "Zukunftsorientierung" eine CDU, "die auf Bildung, Nachhaltigkeit, starke Wirtschaft und soziale Balance setzt". Viele der Reaktionen darauf sind kritisch bis herabwürdigend. Die Autor:innen müssen sich unter anderem als "abgehalfterte CDU-Mitglieder" (Thorsten Alsleben, Vorsitzender der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft") beschimpfen lassen und werden im Netz aufgefordert, die Partei umgehend zu verlassen. Zu ihnen gehört Monica Wüllner, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall Baden-Württemberg und stellvertretende Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), dem sozialpolitischen Flügel der CDU.
 

Frau Wüllner, wer sich ernsthaft mit dem 14-Punkte-Papier befasst, muss zu dem Schluss kommen, die CDU braucht eine Runderneuerung. Zeigen die Reflexe, wie recht Sie haben?

Es ist genau dieser populistische Stil, gegen den wir uns wenden, den wir seit der Veröffentlichung unseres Papiers – neben zahlreichen zustimmenden Reaktionen – geballt erfahren. Wir verlangen einen anderen Stil und eine andere Sprache, und jetzt wird über uns hergezogen. Das ist grotesk und widersprüchlich und beweist doch, wie recht wir haben. Uns geht es übrigens nicht um eine Runderneuerung, sondern um eine Rückbesinnung: auf unsere Tugenden und auf die Programmatik, die uns starkgemacht hat. Die CDU ist nicht nur konservativ, sondern auch sozial und liberal. Das Konservative ist im Moment sehr, sehr dominant, das Soziale und das Liberale sind es nicht. Und an die Adresse unserer Kritiker: Wenn alle drei Säulen gleich stark sind, macht das die Partei stärker und nicht schwächer.

Viele CDU-Politiker:innen tragen das C wie eine Monstranz vor sich her. Der CDU dürfe man das C nicht nur in Sonntagsreden anmerken, lautet der erste Satz des Appells. Und zugleich spricht sich Compass Mitte dafür aus, das U neu zu betonen. Welche Hoffnungen sind damit verbunden?

Das C müssen wir durch unser Streben nach sozialer Gerechtigkeit konkret in Politik gießen. Und das U steht für Union. Das bedeutete in unserer Ursprungszeit, dass wir Katholiken und Protestanten zusammenbringen. Nicht viel später ging es um Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Heute geht es um die Gesellschaft insgesamt. Der Anspruch einer Volkspartei, als die sich die CDU zu Recht weiter versteht, muss doch sein, dass wir Menschen insgesamt zusammenbringen. Das war die Lehre aus dem Nationalsozialismus, die muss wieder in den Vordergrund, gerade mit Blick auf die AfD und ihre Erfolge. Wer das Konservative überbetont, erfüllt den Anspruch einer Volkspartei nicht und wir bleiben weit hinter dem zurück, was uns immer ausgemacht hat und was uns ausmachen muss.

Werden sich aber nicht viele Mitglieder die Augen reiben bei der Lektüre dieses Satzes: Die CDU ist in dem Wissen gegründet, dass Faschismus immer nur mit Hilfe von Konservativen an die Macht gekommen ist?

Das ist die historische Wahrheit – nicht nur in Deutschland. Die Zusammenarbeit von christdemokratischen und konservativen Parteien mit rechtsextremen Parteien hat nicht nur einmal faschistischen Parteien zur Macht verholfen …

Innerparteiliche Kampflinien

Die CDU, gerade auch die im Land, stellt sich gern als geschlossen dar. Auf Bundesebene hingegen zeigt dieses Bild schon seit Längerem Risse, zumal seit sich die sogenannte "Merzrevolution" informell organisiert hat mit dem ausdrücklich genannten Ziel, die Ära Angela Merkel zu überwinden. Mit dem 14-Punkte-Papier von "Compass Mitte" ist der Konflikt offen ausgebrochen. Generalsekretär Carsten Linnemann beispielsweise muss sich auf Abgeordnetenwatch fragen lassen, ob es zutrifft, "dass die aktuelle CDU-Führung die Gruppierung 'Compass Mitte' nicht anerkennt, die rechtspopulistische 'Merzrevolution' aber schon". Eine Antwort steht noch aus.

Schon ehe sich die neue Plattform outete, sind prominente Stimmen aus Baden-Württemberg laut geworden mit dem Appell, die Außendarstellung zu verändern. So monierte Volker Kauder, der frühere Generalsekretär im Land und dann langjähriger Fraktionschef der Union im Bundestag, im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" die Reduzierung "auf wenige Punkte wie die Asylwende". Ihm gefalle die Wortwahl nicht, sagt der Merkel-Vertraute und fragt: "Wieso spricht man von 'Asylwende' oder 'Wende in der Sozialpolitik'?" Das trage eher zum Aufbau von parteiinternen Kampflinien bei. Vielleicht fänden aber manche, "dass nicht alles falsch war in der vergangenen Politik". Und Baden-Württembergs frühere Kultusministerin Annette Schavan hat ihre Partei schon vor Monaten daran erinnert, dass das C im Namen auch den Kern der Migrationsdebatte treffe, "oder Armut und Gerechtigkeit oder die Bewahrung der Schöpfung". Das alles seien ethische Fragen, die viel mit Leben und Überleben zu tun hätten. 

"Compass Mitte" spricht sich dafür aus, "christlich demokratisch" glaubwürdig zu sein im respektvollen und lernbereiten Dialog mit den Kirchen. Sie seien "Entwickler und Hüter von Prinzipien, Normen und Tugendethos der christlichen Sozialethik", heißt es weiter, und dann folgt ein strenger Verweis: "Kritik aus den Kirchen mit einem 'interessiert nicht' abtropfen zu lassen oder als übergriffig zu schulmeistern, ist einer Partei mit dem C unwürdig." Womit – unter anderen – kein Geringerer als Linnemann gemeint ist, einer der engsten Merz-Getreuen. Kauder und Schavan sind der Plattform nicht beigetreten, Rottenburgs CDU-Oberbürgermeister Stephan Neher dagegen schon. In einem Statement zu seiner Entscheidung warnt er unter anderem davor, die Positionen der Radikalen am rechten Rand zu übernehmen, denn dann schwänden deren Zustimmungswerte nicht. Im Gegenteil würden sie gestärkt und die Mitte geschwächt.  (jhw)

ein Umgang mit Extremisten, der sich gerade in etlichen europäischen Ländern wiederholt, siehe Italien, Österreich, Schweden, Spanien.

Genau diese Entwicklung spricht für unsere Position. Rechtsextremisten lassen sich durch Einbindung nicht klein machen, sondern nur durch Abgrenzung, Anstand und Haltung. Wir meinen nicht nur die AfD, sondern Europas rechtsradikale Parteien. Wir sind überall gegen Allianzen mit ihnen und rufen dazu auf, sich dort, wo sie drohen, gegen solche Allianzen zu stellen.

Im Europaparlament stellt der EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der CSU den Sozialdemokraten und Liberalen in Aussicht, in strittigen Fragen wie dem Lieferkettengesetz andere Mehrheiten zu suchen.

Traurig. Da kann ich nur unser Papier zitieren. Der Verfassungsschutz stuft die AfD als gesichert rechtsextrem ein. Deshalb behandeln wir sie mit zivilisierter Verachtung, bekämpfen sie politisch und stehen zum Beschluss des CDU-Bundesparteitags, der jegliche politische Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt. Das gilt für alle politischen Ebenen. Die CDU darf deshalb auch keine Anträge stellen, die nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen können. Dass die AfD demokratisch gewählt wird, macht sie nicht zu einer demokratischen Partei.

Führt diese Erkenntnis – entgegen der bisherigen Parteilinie – direkt zur Prüfung des Verbotsverfahrens?

Das zweite NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts liefert dafür die Voraussetzungen. Damals waren sie nur deshalb nicht erfüllt, weil die NPD keine Möglichkeiten besaß, ihre Ziele durchzusetzen. Von der AfD kann das niemand mehr sagen.

Im nächsten März stehen die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg an. Gab es Überlegungen, mit Compass Mitte deshalb nicht an die Öffentlichkeit zu gehen?

Ehrlich gesagt, es gibt immer irgendetwas, das gegen den Schritt an die Öffentlichkeit spricht. Wir haben uns gefunden, haben lange Zeit intern diskutiert. Eine Initialzündung waren die Abstimmungen im Bundestag, als die Union eine Mehrheit mit der AfD in Kauf nahm. Im Sommer ist der Gedanke, an die Öffentlichkeit zu gehen, endgültig gereift. Außerdem wollen wir mit unserer Initiative ja gar nicht irgendjemandem in der CDU und erst recht nicht der Union insgesamt schaden. Ganz im Gegenteil, wir wollen die Partei breiter aufstellen. Ich habe sogar Manuel Hagel diesen Satz geklaut: Wir brauchen keine Brandmauer, wir sind die Brandmauer. Ich bin ganz sicher, dass der Landesverband steht und es keinerlei Bestrebungen einer Zusammenarbeit gibt.

Wie bewerten Sie die Konzentration auf die Migrationspolitik insgesamt?

Die Union hat ein Problem, wenn CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagt: Die drei wichtigen Themen heißen Migration, Migration und Migration. Das geht einfach an der Realität vorbei. Der Erhalt des Industriestandorts und der Arbeitsplätze, hohe Energie- und Lebensmittelpreise, eine auskömmliche Rente und bezahlbare Mieten und Kitaplätze – das sind die Themen der Menschen im Alltag. Ich möchte nur daran erinnern, dass es die Übereinkunft im Bundesvorstand gab, Migration gerade nicht zum Hauptthema des Bundestagswahlkampfs zu machen, um der AfD nicht in die Hände zu spielen. Dann kamen die Anschläge in Mannheim und Aschaffenburg, und diese Übereinkunft war nichts mehr wert. Ja, wir mussten darauf reagieren, aber es hätte bessere Reaktionsmöglichkeiten gegeben, zumal jetzt herauskam, dass einer der Täter psychisch krank war. Genutzt haben die Anträge im Bundestag jedenfalls nichts – die CDU ist im Ergebnis deutlich unter der 30-Prozent-Marke geblieben, die ja eigentlich eine CDU-interne Benchmark war.

Was heißt das für den Wahlkampf im Südwesten?

Ich weiß, dass die CDU Baden-Württemberg im Landtagswahlkampf keinen Schwerpunkt auf Migration legen will. Das ist der richtige Weg. Wer das Thema hochhängt, sorgt dafür, dass es auf das Konto der AfD einzahlt. Natürlich müssen wir durch Migration entstandene Probleme lösen. Wir dürfen aber nicht so tun, als würden andere Probleme, vom Kita-Platz bis zur Wohnungsnot, gelöst werden, wenn wir nur ausreichend abschieben und rückführen. Das stimmt einfach nicht. Wir sehen doch, wie diese Betonung der Migration nicht unsere Umfragewerte stärkt, sondern die AfD in die Höhe treibt. Auch deshalb verlangen wir nachzudenken, ob der derzeitige Kurs der Union der richtige ist. Genau das findet aber nicht statt. Sondern es werden immer nur die Dosen erhöht, und das ist kein gutes Rezept.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Wolfgang Weiss
    vor 3 Stunden
    Antworten
    Ich schließe mich inhaltlich den Aussagen von Monica Wüllner an und habe auch die Erklärung von Compass Mitte unterzeichnet.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!