Vor einem Jahr hat sich die Christliche Demokratische Union Deutschland ein neues Grundsatzprogramm gegeben, das vierte seiner Art. "Wir sehen immer zuerst den einzelnen Menschen mit seiner unantastbaren Würde und seinen individuellen Fähigkeiten, wir verbinden die Freiheit des Einzelnen mit seiner Verantwortung für die Gemeinschaft", heißt es schon im Vorwort zur Bedeutung des christlichen Bilds vom Menschen. An anderer Stelle werden die drei Wurzeln benannt und betont: "christlich-sozial, liberal und konservativ".
Nach Meinung der inzwischen mehr als 200 Unterzeichner:innen des 14-Punkte-Papiers auf der neuen CDU-Plattform "Compass Mitte" finden genau solche Bekenntnisse im politischen Alltag zu wenig Anwendung. Verlangt wird eine Umorientierung, um Politik tatsächlich aus dem christlich-sozialen Menschenbild heraus zu machen, sowie im Umgang miteinander und mit dem politischen Gegner, speziell in deutlicher Abgrenzung zu rechtsextremen Kräften ("keine Zusammenarbeit mit der AfD"). Zudem fordern sie unter dem Stichwort "Zukunftsorientierung" eine CDU, "die auf Bildung, Nachhaltigkeit, starke Wirtschaft und soziale Balance setzt". Viele der Reaktionen darauf sind kritisch bis herabwürdigend. Die Autor:innen müssen sich unter anderem als "abgehalfterte CDU-Mitglieder" (Thorsten Alsleben, Vorsitzender der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft") beschimpfen lassen und werden im Netz aufgefordert, die Partei umgehend zu verlassen. Zu ihnen gehört Monica Wüllner, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall Baden-Württemberg und stellvertretende Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), dem sozialpolitischen Flügel der CDU.
Frau Wüllner, wer sich ernsthaft mit dem 14-Punkte-Papier befasst, muss zu dem Schluss kommen, die CDU braucht eine Runderneuerung. Zeigen die Reflexe, wie recht Sie haben?
Es ist genau dieser populistische Stil, gegen den wir uns wenden, den wir seit der Veröffentlichung unseres Papiers – neben zahlreichen zustimmenden Reaktionen – geballt erfahren. Wir verlangen einen anderen Stil und eine andere Sprache, und jetzt wird über uns hergezogen. Das ist grotesk und widersprüchlich und beweist doch, wie recht wir haben. Uns geht es übrigens nicht um eine Runderneuerung, sondern um eine Rückbesinnung: auf unsere Tugenden und auf die Programmatik, die uns starkgemacht hat. Die CDU ist nicht nur konservativ, sondern auch sozial und liberal. Das Konservative ist im Moment sehr, sehr dominant, das Soziale und das Liberale sind es nicht. Und an die Adresse unserer Kritiker: Wenn alle drei Säulen gleich stark sind, macht das die Partei stärker und nicht schwächer.
Viele CDU-Politiker:innen tragen das C wie eine Monstranz vor sich her. Der CDU dürfe man das C nicht nur in Sonntagsreden anmerken, lautet der erste Satz des Appells. Und zugleich spricht sich Compass Mitte dafür aus, das U neu zu betonen. Welche Hoffnungen sind damit verbunden?
Das C müssen wir durch unser Streben nach sozialer Gerechtigkeit konkret in Politik gießen. Und das U steht für Union. Das bedeutete in unserer Ursprungszeit, dass wir Katholiken und Protestanten zusammenbringen. Nicht viel später ging es um Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Heute geht es um die Gesellschaft insgesamt. Der Anspruch einer Volkspartei, als die sich die CDU zu Recht weiter versteht, muss doch sein, dass wir Menschen insgesamt zusammenbringen. Das war die Lehre aus dem Nationalsozialismus, die muss wieder in den Vordergrund, gerade mit Blick auf die AfD und ihre Erfolge. Wer das Konservative überbetont, erfüllt den Anspruch einer Volkspartei nicht und wir bleiben weit hinter dem zurück, was uns immer ausgemacht hat und was uns ausmachen muss.
Werden sich aber nicht viele Mitglieder die Augen reiben bei der Lektüre dieses Satzes: Die CDU ist in dem Wissen gegründet, dass Faschismus immer nur mit Hilfe von Konservativen an die Macht gekommen ist?
Das ist die historische Wahrheit – nicht nur in Deutschland. Die Zusammenarbeit von christdemokratischen und konservativen Parteien mit rechtsextremen Parteien hat nicht nur einmal faschistischen Parteien zur Macht verholfen …




1 Kommentar verfügbar
-
Antworten
Ich schließe mich inhaltlich den Aussagen von Monica Wüllner an und habe auch die Erklärung von Compass Mitte unterzeichnet.
Kommentare anzeigenWolfgang Weiss
vor 1 Stunde