Die 52-Jährige hat viel erlebt und hätte noch viel Erfahrungen in wichtigen Ämtern sammeln können. Julia Klöckner studierte Pädagogik, Politikwissenschaften und Theologie, unterrichtete Religion, jobbte beim SWR. Als Winzertochter aus Guldental im Landkreis Bad Kreuznach war sie Deutsche Weinkönigin, brachte es bis zur Chefredakteurin des "Sommelier"-Magazins, 1997 trat sie in die Junge Union ein, stieg schnell auf und wurde 2010 Landesvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz. Schon vor 23 Jahren zog sie zum ersten Mal in den Bundestag ein, zwei Mal wollte sie Ministerpräsidentin werden, einmal fehlten weniger als zehntausend Stimmen.
Bemerkenswert ist auch ihr Blick auf sich selbst: Klöckner nennt sich "den eher geländegängigen Typ, zwischen Gummistiefel, humorvollem Weinfest und akribischer Schreibtischarbeit, zwischen Tradition und Moderne". Die Aussage stammt aus einem zehn Jahre alten Interview – in dem Klöckner noch einen Satz hinterher schob, der schon seit geraumer Zeit nicht mehr gilt: "Politisch schlägt mein Herz in der Mitte."
Schon vor der Bundestagswahl sorgten Klöckners Social-Media-Aktivitäten für Kontroversen, als sie sich in einem Post an Protestwähler:innen richtete: "Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU." Dies sei keineswegs als Anbiederung ans rechte Spektrum zu verstehen, war sie hinterher zu betonen bemüht. Doch spätestens seit Klöckners Ausrutschern rund um das Sommerfest der CDU Koblenz, gesponsert vom "Nius"-Mitfinanzier Frank Gotthardt, steht fest, dass sich ihre Mitte ziemlich nach rechts verschoben hat. So markant, dass die Bundestagspräsidentin zur ernsthaften Belastung für die ohnehin komplizierte Koalition aus Union und SPD wurde. Der Vizekanzler und Sozialdemokrat Lars Klingbeil nennt ihre jüngste Aktion, als sie die Arbeit von "Nius" mit jener der taz gleichsetzte, "irritierend". Im Klartext: Bei uns in der SPD ist sie angezählt.
Stabiles Orientierungsvermögen sieht anders aus
Das wiederum hat sie sich ganz allein selbst zuzuschreiben, denn es hat sich einiges angesammelt in ihren ersten nur gut hundert Tagen im Amt: umstrittene, weil kleinliche Kleidungsvorschriften, ein Button- und Pin-Verbot im Plenarsaal, das zumindest fragwürdige Nein zur Regenbogenflagge am Reichstag und in Bundestagsbüros, ausgerechnet mit dem Argument der Neutralität. Dabei hatte die Nachfolgerin von Bärbel Bas (SPD) keinen schlechten Einstand hingelegt in der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode im März. Lagerübergreifenden Beifall gab es für ihre Einstandsrede mit dem Appell: "Kritisieren wir einander. Das gehört dazu, aber reden wir uns nicht gegenseitig persönlich schlecht." Oder: "Wer Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt ernst nimmt, der muss auch andere Sichtweisen ertragen, sie aushalten." Oder: "Haben wir den Mut zum gegenseitigen Zuhören, zum Aushalten des Meinungsspektrums im Rahmen unserer Verfassung."
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