Die Kampagne verfängt. Das Umfrageinstitut Berliner Civey rühmt sich als "Vorreiter für digitale Markt- und Meinungsforschung in Echtzeit" und ruft zu Abstimmungen auf über relevante Fragen unserer Zeit. Ende vergangener Woche ging's ums Bürgergeld. Unter 5.000 Teilnehmenden – und bei einer im Kleingedruckten ausgewiesenen Fehlerquote von gut neun Prozent – finden je 82 Prozent der Wähler:innen von CDU/CSU und FDP den Vorschlag der Letzteren gut, den Auszahlungsbetrag um 20 Euro im Monat zu kürzen. Mit achtzig Prozent sind die Anhänger:innen der AfD dabei, während der Anhang von SPD (21 Prozent), Grünen (12) und Linken (vier) in dieser Sparmaßnahme keinen sinnvollen Beitrag zu erkennen vermag.
Den Umgang von Union, FDP und AfD mit den heiklen Fragen von Gerechtigkeit und Teilhabe rückt die Umfrage in ein trübes Licht. Zugleich empfiehlt sich aber, nicht immer nur auf die Politik zu zeigen, sondern auch darauf, wie problematisch für die Demokratie die Bereitschaft zu vieler Leute ist, Vorurteilen und Falschdarstellungen zu folgen und fundierte Informationen gar nicht mehr gefragt sind. Die Kürzung von 20 Euro im Monat entspricht jedenfalls 60 Cent pro Tag. Gegenwärtig haben erwachsene Empfänger:innen 19 Euro am Tag für ihren Lebensunterhalt. Alleinerziehende Mütter sind besonders gefordert. Denn für Kinder gibt es derzeit je nach Alter pro Tag zwischen 12 und 16 Euro. Weil die Zahlungen seit Januar 2024 zwischen einem und zwei Euro gestiegen sind, randalieren jetzt Union und FDP. Offenbar ohne jede Vorstellung oder ohne Interesse daran, wie ein Familienalltag mit solchen Summen aussehen mag.
Im Gegenzug wären, selbst nach Rechnung von FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr, dem Erfinder der Idee, für den Haushalt 2025 mit einer aktuellen Deckungslücke von zwölf Milliarden Euro gerade mal 900 Millionen eingespart. Kein Wunder, dass die Liberalen unter einschlägigen Hashtags im Netz überschüttet werden mit Gegenrechnungen wie etwa über Einnahmen, die durch höhere Steuern oder eine Autobahnmaut in die Kassen gespült würden.
Vor Kurzem war die CDU noch stolz darauf
Die CDU des Friedrich Merz geht noch einen großen Schritt weiter und will das Bürgergeld in seiner jetzigen Form komplett abschaffen. Carsten Linnemann, der juvenile Generalsekretär, unterstellt den Empfänger:innen sogar, morgens im Bett zu bleiben und preist die strengen Regeln, die eine an die Macht gekommene Union sogleich umsetzen will, als "Grund zum Aufstehen" an. Was schäbig ist, denn im November 2022, als der schwierige Kompromiss der Bürgergeldeinführung den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat passierte, lobten sich schwarze Politiker:innen noch wortreich für die Veränderungen und ihren eigenen Anteil daran.
2 Kommentare verfügbar
Arnold Weible
am 21.08.2024Dabei kam er auf über 700 € (Existenzminimum 733,62 € nach der Warenkorbmethode gegenüber 399 € Regelsatz 2015). Rechne ich noch die Inflation seit 2015 dazu (Verbraucherpreise nach Destatis bis 2023) so komme ich auf…