Grenzen des Anstands wurden dabei wiederholt überschritten, von Fairness und Objektivität ganz zu schweigen. So initiierte die INSM vor der Bundestagswahl 2021 eine Kampagne, in der die Grünen als Verbotspartei gebrandmarkt wurde, die uns allen die Freiheit raubt. Großformatige Anzeigen in Tageszeitungen und auf Websites deutscher Medien zeigten die damalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Mose mit Verbotstafeln in der Hand, auf denen statt biblischer vermeintlich ideologische Verbote wie "Du sollst nicht Verbrenner fahren" eingraviert waren. "Wir brauchen keine Staatsreligion", stand in großen Lettern darüber. "Lobbyisten erfinden angebliche geplante Verbote", urteilten DPA-Faktenchecker über die INSM-Kampagne.
Aus dem negativen Echo auf die Mose-Allegorie haben die Macher in der INSM-Zentrale in der Berliner Georgenstraße 22 gelernt. In der aktuellen "SOS Wirtschaft"-Kampagne steht der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck nicht persönlich im Visier. Stattdessen wird suggeriert, dass es nach drei Jahren Ampel so nicht mehr weitergehen kann. Dramatische Bilder und Worte warnen vor dem Niedergang der deutschen Wirtschaft und mahnen zu sofortigem Handeln. Unterstützt wird die INSM bei ihren Aktionen gerne vom Verband der Familienunternehmen, der suggeriert, er würde die Interessen von kleinen Bäckern und mittelgroßen Werkzeugbauern vertreten. Tatsächlich sind Wortführer die Vertreter:innen großer Unternehmen wie BMW, Dräger, Festo, Deutsche Vermögensberatung, Axa, Oetker. Ihre Ziele gleichen denen der INSM, die diese in Anzeigen und auf Tiktok & Co. ausspielt: Steuern runter für Besserverdienende, Vermögende und Konzerne; Arbeitnehmerrechte und Sozialstaat schleifen, Klimaziele und Regulierungen zurückfahren – alles Ideen, die so ähnlich im "Wirtschaftswende"-Papier von Christian Lindner standen, mit dem der FDP-Chef Anfang November den Bruch der Ampel provozierte. "Die Bundestagswahl muss eine Wirtschaftswahl werden. Wir brauchen eine Wirtschaftswende", kopiert die INSM in ihrer Kampagne das Wording, mit dem Union und FDP gerade im Wahlkampf hausieren gehen. Unverhohlen rührt Geschäftsführer Thorsten Alsleben auf "X" die Werbetrommel für eine künftige schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin.
So viele waren es gar nicht
Offiziell gibt sich die Lobbyorganisation politisch neutral. Stets versucht sie, sich als die Stimme der Wirtschaft zu gerieren. In der aktuellen Kampagne etwa durch Verweis auf zahlreiche Unterstützer. "Über hundert Verbände und hunderte Unternehmen machen mit beim Wirtschaftswarntag", so INSM-Sprecher Carl Victor Wachs. Die SOS-Aktion sei die "größte Verbände-Allianz in der Geschichte der Bundesrepublik", behauptet er kühn. Nicht alle sehen das so. "Skurril allerdings: Unter den Verbänden sind gleich zehn Verbände aus Düsseldorf dabei, die von einem einzigen Geschäftsführer gemanagt werden. Hier will man sich wohl etwas größer geben, als man eigentlich ist", so Lobbycontrollerin Deckwirth.
Kurioses offenbart sich in der Unterstützerliste der Firmen. Darin ist auch die Fürstliche Hauptverwaltung Waldburg-Wolfegg in Wolfegg zu finden. Die Eigentümerfamilie der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee ist seit über 800 Jahren in Oberschwaben ansässig, seit jeher steht die Forstwirtschaft im Zentrum der unternehmerischen Aktivitäten. Inzwischen dient der 5.600 Hektar große fürstliche Wald in den Landkreisen Ravensburg und Oberschwaben zu mehr als nur zur Holzproduktion. "Wir bieten Ökosystemdienstleistungen, attraktive Jagdpartnerschaften und liebevoll ausgesuchte Plätze für die letzte Ruhe in unserem eigenen Bestattungswald "Josephsruh" bei Wolfegg an", bewirbt die Fürstverwaltung alternative Dienstleistungen. Wie übervoll die INSM den Mund nimmt, zeigte sich nicht zuletzt auf den Kundgebungen, die am Wirtschaftswarntag in Berlin, Hamburg, München, Stuttgart und Lingen (Ems) stattfanden. Zur Hauptdemo am Brandenburger Tor kamen laut INSM 1.000 Teilnehmer. Die Berliner Polizei zählte 450. Darunter auch Dutzende Bundestagsabgeordnete von CDU und FDP, die nach der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus vom Bundestag auf die Demo eilten. Mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und FDP-Chef Christian Lindner zeigte das Führungspersonal beider Parteien Flagge.
Statt den Reden unter anderem von Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf zu lauschen, zogen die Politpromis es jedoch vor, Wahlwerbung in eigener Sache zu betreiben. "Christian Lindner schaute mehr ins Handy und gab einige Interviews. Julia Klöckner hat mehr in die Kamera als auf die Bühne geschaut", schildert Fabian Faehrmann, stellvertretender Chefredakteur der "VerkehrsRundschau", im Redaktions-Podcast seine Beobachtungen. Einer fehlte jedoch: Als Stargast hatte INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz angekündigt. "Gekommen ist er nicht. Böse Zungen könnten behaupten, da war die Veranstaltung doch nicht wichtig genug", so Faehrmann im Podcast. Merz brachte später am Tag einen umstrittenen Migrations-Entschließungsantrag mit den Stimmen der rechtsradikalen AfD im Bundestag durch.
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Axel Schäfer
vor 1 Woche