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Wirtschaftslobby und Wahlkampf

Erfolg mit Angstmache

Wirtschaftslobby und Wahlkampf: Erfolg mit Angstmache
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Schlimm sei die Lage der deutschen Wirtschaft, schuld daran die Politik. Das behaupten seit Wochen neben CDU, FDP, AfD auch Arbeitgeberlobbyisten. Letztere riefen gar zu einem Wirtschaftswarntag. Wer dahintersteckt, blieb in der Berichterstattung meist unerwähnt.

Am vergangenen Mittwoch prangte der internationale Rettungscode SOS auf einem Container, der beim Brandenburger Tor in Berlin abgestellt war. "Die deutsche Wirtschaft ist in Not", so der Hilferuf auf dem rostigen Behältnis, das mit Folie in den Landesfarben Schwarz-Rot-Gold aufgehübscht war. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hatte den Container angekarrt – als Staffage zu einem von ihr ausgerufenen "Wirtschaftswarntag".

Trefflich lässt sich darüber streiten, ob die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nach einem Leistungsminus von zuletzt 0,2 Prozent vor dem Exodus steht. Während das deutsche Börsenbarometer Dax von Rekord zu Rekord eilt, die gebeutelten Autokonzerne Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz noch im 3. Quartal 2024 zusammen einen operativen Gewinn (Ebit) von 7,1 Milliarden Euro erzielten. Glaubt man der INSM, herrscht Alarmstufe rot, brennt die Hütte lichterloh, braucht es einen Warntag, um Öffentlichkeit und Politik aufzurütteln.

Aktionen wie diese interessieren Christina Deckwirth von Berufs wegen. Im Wahlkampf mischen nicht nur Politik und Medien mit, sondern auch Lobbyisten, um – mit viel Geld - die entscheidenden Debatten vor der Wahl zu beeinflussen, erläutert die Politikwissenschaftlerin vom Kölner Verein Lobbycontrol. An vorderster Front im Kampf um Gehör und Einfluss: die INSM mit ihrem SOS-Container. "Die INSM ist eine Lobbygruppe, die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird. Sie flankiert die Lobbyarbeit des Verbands Gesamtmetall durch Öffentlichkeits- und PR-Arbeit", so Deckwirth.

Um Meinung zu machen, lässt sich das "engagierte, interdisziplinäre Expertenteam", das Fachleute aus Wirtschaft, Politik, PR und Marketing vereint (O-Ton der INSM im Internet) nicht lumpen. Spezialität von diesen Volkswirten, Event- und Kampagnenmanagern: Angst vor wirtschaftlichem Untergang verbreiten.

Natürlich sind die Grünen schuld

Grenzen des Anstands wurden dabei wiederholt überschritten, von Fairness und Objektivität ganz zu schweigen. So initiierte die INSM vor der Bundestagswahl 2021 eine Kampagne, in der die Grünen als Verbotspartei gebrandmarkt wurde, die uns allen die Freiheit raubt. Großformatige Anzeigen in Tageszeitungen und auf Websites deutscher Medien zeigten die damalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Mose mit Verbotstafeln in der Hand, auf denen statt biblischer vermeintlich ideologische Verbote wie "Du sollst nicht Verbrenner fahren" eingraviert waren. "Wir brauchen keine Staatsreligion", stand in großen Lettern darüber. "Lobbyisten erfinden angebliche geplante Verbote", urteilten DPA-Faktenchecker über die INSM-Kampagne.

Aus dem negativen Echo auf die Mose-Allegorie haben die Macher in der INSM-Zentrale in der Berliner Georgenstraße 22 gelernt. In der aktuellen "SOS Wirtschaft"-Kampagne steht der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck nicht persönlich im Visier. Stattdessen wird suggeriert, dass es nach drei Jahren Ampel so nicht mehr weitergehen kann. Dramatische Bilder und Worte warnen vor dem Niedergang der deutschen Wirtschaft und mahnen zu sofortigem Handeln. Unterstützt wird die INSM bei ihren Aktionen gerne vom Verband der Familienunternehmen, der suggeriert, er würde die Interessen von kleinen Bäckern und mittelgroßen Werkzeugbauern vertreten. Tatsächlich sind Wortführer die Vertreter:innen großer Unternehmen wie BMW, Dräger, Festo, Deutsche Vermögensberatung, Axa, Oetker. Ihre Ziele gleichen denen der INSM, die diese in Anzeigen und auf Tiktok & Co. ausspielt: Steuern runter für Besserverdienende, Vermögende und Konzerne; Arbeitnehmerrechte und Sozialstaat schleifen, Klimaziele und Regulierungen zurückfahren – alles Ideen, die so ähnlich im "Wirtschaftswende"-Papier von Christian Lindner standen, mit dem der FDP-Chef Anfang November den Bruch der Ampel provozierte. "Die Bundestagswahl muss eine Wirtschaftswahl werden. Wir brauchen eine Wirtschaftswende", kopiert die INSM in ihrer Kampagne das Wording, mit dem Union und FDP gerade im Wahlkampf hausieren gehen. Unverhohlen rührt Geschäftsführer Thorsten Alsleben auf "X" die Werbetrommel für eine künftige schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin.

So viele waren es gar nicht

Offiziell gibt sich die Lobbyorganisation politisch neutral. Stets versucht sie, sich als die Stimme der Wirtschaft zu gerieren. In der aktuellen Kampagne etwa durch Verweis auf zahlreiche Unterstützer. "Über hundert Verbände und hunderte Unternehmen machen mit beim Wirtschaftswarntag", so INSM-Sprecher Carl Victor Wachs. Die SOS-Aktion sei die "größte Verbände-Allianz in der Geschichte der Bundesrepublik", behauptet er kühn. Nicht alle sehen das so. "Skurril allerdings: Unter den Verbänden sind gleich zehn Verbände aus Düsseldorf dabei, die von einem einzigen Geschäftsführer gemanagt werden. Hier will man sich wohl etwas größer geben, als man eigentlich ist", so Lobbycontrollerin Deckwirth.

Kurioses offenbart sich in der Unterstützerliste der Firmen. Darin ist auch die Fürstliche Hauptverwaltung Waldburg-Wolfegg in Wolfegg zu finden. Die Eigentümerfamilie der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee ist seit über 800 Jahren in Oberschwaben ansässig, seit jeher steht die Forstwirtschaft im Zentrum der unternehmerischen Aktivitäten. Inzwischen dient der 5.600 Hektar große fürstliche Wald in den Landkreisen Ravensburg und Oberschwaben zu mehr als nur zur Holzproduktion. "Wir bieten Ökosystemdienstleistungen, attraktive Jagdpartnerschaften und liebevoll ausgesuchte Plätze für die letzte Ruhe in unserem eigenen Bestattungswald "Josephsruh" bei Wolfegg an", bewirbt die Fürstverwaltung alternative Dienstleistungen. Wie übervoll die INSM den Mund nimmt, zeigte sich nicht zuletzt auf den Kundgebungen, die am Wirtschaftswarntag in Berlin, Hamburg, München, Stuttgart und Lingen (Ems) stattfanden. Zur Hauptdemo am Brandenburger Tor kamen laut INSM 1.000 Teilnehmer. Die Berliner Polizei zählte 450. Darunter auch Dutzende Bundestagsabgeordnete von CDU und FDP, die nach der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus vom Bundestag auf die Demo eilten. Mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und FDP-Chef Christian Lindner zeigte das Führungspersonal beider Parteien Flagge.

Statt den Reden unter anderem von Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf zu lauschen, zogen die Politpromis es jedoch vor, Wahlwerbung in eigener Sache zu betreiben. "Christian Lindner schaute mehr ins Handy und gab einige Interviews. Julia Klöckner hat mehr in die Kamera als auf die Bühne geschaut", schildert Fabian Faehrmann, stellvertretender Chefredakteur der "VerkehrsRundschau", im Redaktions-Podcast seine Beobachtungen. Einer fehlte jedoch: Als Stargast hatte INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz angekündigt. "Gekommen ist er nicht. Böse Zungen könnten behaupten, da war die Veranstaltung doch nicht wichtig genug", so Faehrmann im Podcast. Merz brachte später am Tag einen umstrittenen Migrations-Entschließungsantrag mit den Stimmen der rechtsradikalen AfD im Bundestag durch.

Im Rest der Republik stieß der INSM-Warntag auf noch weniger Resonanz. In München versammelten sich rund 100 Menschen an der Theresienwiese. "Allein 50 davon arbeiten bei einer einzigen Firma, dem Bauunternehmen Regnauer, das seine Mitarbeiter mit einem Reisebus angekarrt hat", berichtete die Münchner "Abendzeitung". In Stuttgart kamen vor dem Rathaus kaum vier Dutzend Teilnehmer zusammen. Prominentester Gast hier: Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut von der CDU, die mit einem INSM-Plakat (Aufschrift: Wann wird´s mal wieder richtig Wachstum?) in die Kameras posierte. Demonstrierte die Ministerin da etwa gegen sich selbst? Nein, betonte ihr Sprecher gegenüber Kontext. Es sei ja um bundespolitische Themen gegangen.

Geld bestimmt die Politik

Laut Lobbycontrol hat die Nähe bestimmter Politiker zur INSM bereits Tradition. So war CDU-Kanzlerkandidat Merz am Aufbau der INSM beteiligt. Merz war Gründungs- und langjähriges Mitglied im Förderverein der INSM, der anfangs unter anderem ein überparteiliches Image der Lobbyorganisation vortäuschen sollte. Finanziell profitieren die Parteien zudem von den Finanziers der INSM, den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie: Seit dem Ampel-Aus ließen Gesamtmetall und regionale Arbeitgeberverbände der Branche den Parteien über eine Million Euro an Parteispenden zukommen. Über die Hälfte davon floss über den bayerischen Verband an die CSU, gefolgt von CDU und FDP. Die Metall- und Elektroindustrie gehört damit zu den größten Parteispendern in Deutschland. "Auch aus diesem Grund mögen sich manche Parteipolitiker verpflichtet fühlen, auf den Veranstaltungen der INSM präsent zu sein", so Lobbycontrollerin Deckwirth.

Trotz des geringen Zuspruchs erzielten die INSM-Demos ein riesiges bundesweites Medienecho. "Berechtigter Verzweiflungsakt der Unternehmer", kommentierte die "Stuttgarter Zeitung". "Weckruf an alle politischen Entscheider", zitierte die "Tagesschau" einen Mittelständler. "Bei der Kundgebung in Berlin gab es ein komisches Missverhältnis: Es waren super viele Medienvertreter da, mit eigener Medientribüne, die extra aufgebaut worden war. Da war ein großes Bohei vor Ort – aber das passte irgendwie nicht dazu", schildert es Fabian Faehrmann im "VerkehrsRundschau"-Podcast. Medienlenkung kann die INSM eben auch.

"Anders als die Klimabewegung oder Gewerkschaften hat die INSM kein großes Mobilisierungspotential. Doch sie hat viel Geld – und erkauft sich damit ihre Sichtbarkeit", erklärt Christina Deckwirth. So stand der SOS-Container bereits Anfang Januar vor dem SPD-Parteitagsgelände, um die INSM-Botschaften sichtbar zu machen. Daneben bezahlt die INSM regelmäßig riesige Außenwerbeflächen im Regierungsviertel oder Social-Media-Anzeigen. "Allein die Ausspielung eines Motivs ihrer Kampagne "SOS Wirtschaft" in den Sozialen Medien hat den Wert von etwa 130.000 Euro", so Deckwirth. Einen sechsstelligen Betrag ließ die INSM wohl auch springen, um ihren Container auf der kompletten Titelseite der konservativen "Welt" zu platzieren. Seite zwei der Zeitung belegten die libertären Wende-Forderungen der INSM. Die teuer erkaufte Präsenz in dem Springer-Medium scheint Teil eines Deals gewesen zu sein. "Wegen Wirtschaftskrise: Bosse planen Mega-Aufstand gegen Habeck und Scholz", hatte die "Bild", das Schwestermedium der "Welt", bereits am Vortag in großen Lettern für den Wirtschaftswarntag der INSM geworben.

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4 Kommentare verfügbar

  • Axel Schäfer
    vor 1 Woche
    Antworten
    Ich bin heute an einer Plakatwand vorbeigefahren, die mich aufforderte "Wirtschaftskompetenz" zu wählen, Urheber sind die putzigen kleinen Familienunternehmer, die sich scheinbar um die mühsam ergaunerten Milliardenvermögen sorgen und schon Texte von CDU Plakaten übernehmen müssen.
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