"Die Verbote der Grünen lähmen unser Land", heißt es gleich zum Auftakt der Anzeige. Nun ist es natürlich theoretisch möglich, dass Parteien mit "Verboten" das Land lähmen – einer Partei, die seit 2005 nicht mehr im Bund regiert, dürfte das allerdings nicht so leicht fallen.
Die blühende Phantasie der Kampagneros animierte sogar die sonst so nüchterne Nachrichtenagentur dpa zu einer knackigen Headline: "Lobbyisten erfinden angebliche geplante Verbote" – so war zu Beginn dieser Woche ein Beitrag des Factchecking-Teams der Agentur überschrieben. Ein vermeintliches Verbot, dem sich die dpa-Redakteure widmen: "Du darfst noch weniger von deinem Geld behalten, obwohl du jetzt schon hohe Steuern zahlst." Das sei "teilweise falsch", schreiben die Faktenprüfer. Denn: "Nach den Plänen der Grünen soll es für Spitzenverdiener tatsächlich höhere Steuern geben, doch im Gegenzug will die Partei Bezieher von geringen bis mittleren Einkommen entlasten."
Ungenauigkeiten im Umgang mit dem Steuern sind bei der INSM schon länger beliebt, das zeigte sich im Bundestagswahlkampf 2017. Die Organisation Lobby Control monierte damals, "bei der Darstellung einer eigens in Auftrag gegebenen Umfrage" habe "die INSM zu unlauteren Verkürzungen" gegriffen: Damals "befürworten 63 Prozent der Befragten, dass die nächste Bundesregierung mittlere Einkommen steuerlich entlasten sollte". Die INSM habe draus gemacht: "63 Prozent der Deutschen fordern: Steuern runter."
Als hätten Internettrolle die Texte geschrieben
In ihrer aktuellen Kampagne konstruierten die INSM-Leute nun aus der Forderung der Grünen, "Kurzstreckenflüge" mittels "massivem" Ausbau der Bahn "bis 2030 überflüssig machen" zu wollen, das Verbot "Du darfst nicht fliegen".
Solche aberwitzigen Behauptungen werfen natürlich die Frage auf, wie man damit strategisch angemessen umgeht. Die Verbreitung falscher Fakten zu benennen, ist natürlich sinnvoll, vielleicht sogar notwendig. Aber Akteuren des Meinungsgeschäfts, die falsche Fakten nicht aus Versehen verbreiten, sondern aus ideologischen Motiven, ist damit nicht beizukommen. Zumal man sie auch ja mit einer Kritik in der Währung Aufmerksamkeit bezahlt.
Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat in einer Analyse bei Twitter die sprachliche Unbeholfenheit der Anti-Baerbock-Anzeige aufgegriffen. Eine Mini-Polemik gegen den Mindestlohn ist zum Beispiel überschrieben mit: "Du darfst deine Arbeitsverhältnisse nicht frei auswählen." Anfangs gelinge es den Wortschmieden der INSM noch, die zehn Gebote zu imitieren, schreibt Strobl. Ein großer Teil des Werbetextes wirke aber so, als hätten ihn "Internettrolle" geschrieben.
Warum sind Leute, die es wahrscheinlich als unter ihrer Würde betrachten, in Häusern zu leben, in denen nicht sämtliche Wasserhähne vergoldet sind, nicht mal bereit, Geld für jemanden mit Sprachgefühl auszugeben? Liegt es an der Geringschätzung der Kampagnen-Zielgruppe? Andererseits: Vielleicht wäre es auch widersprüchlich, brachiale Inhalte elegant zu verpacken.
Die Brachialität richtet sich im Übrigen nicht nur gegen die Grünen. Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin, kritisierte: "Die Moses-Analogie, die Referenz auf die strenge Gesetzesreligion, der Terminus 'Staatsreligion' – all das weckt antijüdische Stereotype in der Metaphorik, die in der politischen Debatte – bei jeder inhaltlichen Differenz – fatal sind."
Bei der SZ macht man sich einen schlanken Fuß
Warum haben sich so viele Medienhäuser zum Helfershelfer der Lobbyisten gemacht? Viele Leserinnen und Leser der "Süddeutschen Zeitung" hätten sich "empört geäußert", schreibt Judith Wittwer, die Chefredakteurin des Blattes im hauseigenen "Transparenz-Blog". Ihre Antwort: "Die klare Trennung zwischen Redaktion und Verlag gehört zu den grundlegenden Säulen der Publizistik und ist nicht nur im deutschen Pressekodex, sondern auch im Redaktionsstatut der SZ verankert."
Das ist formal korrekt, dennoch macht sich Wittwer hier einen schlanken Fuß. Die INSM hat die Anzeige nicht nur bewusst anlässlich des Grünen-Parteitags geschaltet, sondern weil sie – klare Trennung von Redaktion und Verlag hin oder her – um das passende redaktionelle Umfeld wusste: Seit einiger Zeit suhlen sich viele JournalistInnen in einem Anti-Baerbock-Hype, der mittlerweile sogar einem konservativen Kolumnisten wie Nikolaus Blome vom "Spiegel" auf die Nerven geht.
29 Kommentare verfügbar
Johannes Frübis
am 21.06.2021Und wenn erfolgreiche Geschäftsmodelle (mit reichlich politischer Unterstützung) in Gefahr geraten könnten, dann hört der Spaß doch auf.
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