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AfD-Kandidat:innen für Landtagswahl 2026

Harmonie nach außen

AfD-Kandidat:innen für Landtagswahl 2026: Harmonie nach außen
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Die Zeit der offenen Machtkämpfe in der Südwest-AfD ist vorbei. Ausschließlich Weidel-treue Kandidat:innen, darunter einige sehr fragwürdige, ergatterten einen Listenplatz für die kommende Landtagswahl im März. Ganz grün sind sich die Braunen aber gewiss nicht.

Der AfD-Landtagsabgeordnete Miguel Klauß machte Anfang vergangenen Jahres mit einem Kalender auf sich Aufmerksam: "Die 12 schönsten Abschiebeflieger" hatte der Mercedes-Angestellte zusammengesucht, parteiintern ein begehrtes Merchandise. Seiner Parteikarriere schadete der Skandal nicht, im Gegenteil. Klauß landete beim jüngsten Parteitag der baden-württembergischen AfD in Heilbronn auf Platz sechs der Landesliste für die kommende Landtagswahl.

Fast 400 Delegierte sammelten sich am letzten Mai- und ersten Junitag, um über die Liste abzustimmen und sogar einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu küren. Diese Ambition des Landesverbandes, der in Baden-Württemberg als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft ist, dürfte aber enttäuscht werden. Keine andere Partei ist bereit für eine Koalition mit der AfD, die im Südwesten laut Umfragen etwa 19 Prozent der Wählerschaft hinter sich vereinen kann, und damit den zweiten Platz hinter der CDU belegt.

Klauß ist bei weitem nicht der einzige fragwürdige Kandidat, den die Rechten ins Rennen schicken. Auf Platz elf landete Sandro Scheer, der ebenfalls schon im Landtag sitzt, nachgerückt für den jetzt neu im Bundestag sitzenden Hans-Jürgen Goßner. In den sozialen Netzwerken teilt Scheer offenkundige Falschinformationen: So glaubt er aus einem Schatten auf einem stark verpixelten Bild zu erkennen, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Hose falsch herum angezogen hätte.

Und auf der Musk-Plattform X (früher Twitter) teilte er einen Beitrag der ehemaligen Tagesschausprecherin und Verschwörungsideologin Eva Herman, die andeutet, der französische Präsident Emanuel Macron, der britische Premier Keir Starmer sowie der deutsche Kanzler Friedrich Merz hätten im Zug auf dem Rückweg von ihrem Besuch in Kiew vergangenen Monat Drogen konsumiert. Inzwischen längst widerlegte Desinformation, die von russischen Propagandisten gestreut wird, nach wie vor nachzulesen auf dem Profil des Abgeordneten.

AfD-Frau gegen "Genderideologie" und "Transkult"

Nur zwei Frauen landeten unter den sehr aussichtsreichen ersten 20 Plätzen der Liste. Eine davon ist Emely Knorr (Platz 20), die dieser Tage mit Stephan Schwarz (Listenplatz 18) durch sämtliche AfD-Kreisverbände tingelt, um ihren schmalen Sammelband "Mutfrauen: Erfolgreich mit Qualität. Ohne Quote. Ohne Quatsch" vorzustellen. Das von Schwarz verlegte Büchlein, in dem sich Kurzporträts von AfD-Frauen finden, erschien Ende letzten Jahres im Gerhard-Hess-Verlag, der von dem AfD-Bundestagsabgeordneten Volker Münz aus Uhingen geleitet wird. Darin warnt Knorr: "Was wir nun erleben ist eine sich zuspitzende, alles dominierende Genderideologie, dessen Trans-Kult sich durch alle Institutionen gefressen hat und letztendlich zur Kinderfalle wird!"

Zu den jüngeren AfD-Mitgliedern, die es in den Landtag schaffen dürften, zählt der 27-jährige Maximilian Gerner aus Reutlingen. Als Geschäftsführer der 2021 gegründeten "Agentur Emporia" für Werbung und Marketing versorgt er seine Partei mutmaßlich mit Werbe- und Propagandamaterial. Ein junger Mann, der weiß, wie man öffentlichkeitswirksam Botschaften transportiert. Es dürfte sich also um kein Versehen handeln, dass auf einem Foto auf der Facebookseite des Reutlinger AfD-Kreisverbandes zu sehen ist, wie Gerner Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand zum Kreis schließt und die restlichen Glieder in W-Form abspreizt – ein bei Rechtsextremen verbreitetes Erkennungssymbol für "White Power" (zu Deutsch: "Weiße Macht").

Bleibt es bis zur Wahl bei den aktuellen Zustimmungswerten für die Partei, dürften die ersten 25 bis 30 Kandidat:innen es sicher in den Landtag schaffen, vielleicht gar noch mehr. Knapp wird es dennoch für Kay Rittweg (Listenplatz 32). Er ist Listennachrücker für die rechte Betriebsratsliste der Pseudo-Gewerkschaft "Zentrum" (früher "Zentrum Automobil") im Mercedes-Benz-Werk in Sindelfingen.

Langjährige Abgeordnete wie Carola Wolle (Platz 28) und Udo Stein (Platz 31) haben die Delegierten auf nicht ganz aussichtslose, aber überraschend schlechte Listenplätze verbannt. Während die Gründe bei Wolle unbekannt sind, dürfte es bei Stein an dessen Eskapaden liegen. Er soll im Juni 2023 in Stuttgart Gäste einer Shishar-Bar mit einer Softair-Pistole bedroht haben. In seinem Büro fand die Polizei einen Rucksack mit Munition und einem Jagdmesser. Gegen ihn wurde unter anderem wegen Hausfriedensbruch, Amtsanmaßung, Missbrauch von Notrufen, falscher Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat ermittelt. Zeitweise war er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Vor einem Jahr jedoch stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.

Auf Platz 13 kandidiert der ehemalige Europaabgeordnete Joachim Kuhs, der den rechts-christlichen Flügel innerhalb der AfD repräsentiert. Er nimmt am "Marsch für das Leben" von Abtreibungsgegner:innen teil, ist Laienprediger einer unabhängigen anglikanischen Kirche in Baden-Baden und stellvertretender Vorsitzender des Vereins "Christen in der AfD". In diesem engagiert sich auch Daniel Rottmann (Listenplatz 27), wie Kuhs ein christlicher Fundamentalist und früher Mitglied der "Partei Bibeltreuer Christen". 

Spitzenkandidat will nicht ins Parlament

Zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten wurde der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier mit nordkoreanisch anmutenden 99,7 Prozent gewählt. Und das, obwohl er gar nicht im Landtag sitzt oder dort hinein will. Dementsprechend bekleidet er keinen Listenplatz und tritt auch nicht als Direktkandidat an. Der derzeitige Bundestagsabgeordnete will entweder das höchste Amt im Ländle oder in Berlin bleiben.

"Harmonie" trägt die Konzert- und Kongresshalle in Heilbronn als Namen, in welcher der Parteitag stattfand. Nach außen will die Partei genau das ausstrahlen, offene Kämpfe im Landesverband sind beendet. Vergangenes Jahr besiegelten die Landesparteitage in Rottweil (Februar) und Ulm (Oktober) die Dominanz um Parteichefin Alice Weidel. Ihr größter Gegenspieler Dirk Spaniel trat daraufhin aus der AfD aus, inzwischen ist er bei der Werteunion. Doch der Schein trügt. Parteiintern ist Spitzenkandidat Frohnmaier umstritten, unter anderem weil er sein Jura-Studium nie zu Ende geführt hat. Gerne wirft seine eigene Partei unter dem Slogan "Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal" den Grünen vor, über keine berufliche Erfahrung zu verfügen und eine Partei für Studienabbrecher:innen zu sein.

Hinzukommt, dass im Internet eine vierseitiges Papier mit dem Titel "Kritik an der AfD in Baden-Württemberg" kursierte. Darin heißt es: "Besonders die Kandidatur von Markus Frohnmaier (MF) zum Ministerpräsidentenkandidaten in Baden-Württemberg wird als Symbol für den personellen und inhaltlichen Niedergang der Partei gesehen." Außerdem bemängelt der Verfasser, der sich nur als "Daniel" zu erkennen gibt, fehlende Gegenkandidaten, kontrollierte Abstimmung und ein Delegiertensystem, welches "Kandidaten ohne Berufsausbildung oder fundierte Qualifikationen" begünstige, "da sie sich nicht der Basis präsentieren müssen." Dass Frohnmaier als Spitzenkandidat antreten kann, werde "durch seine Nähe zu Alice Weidel und seine Fähigkeit, Mehrheiten zu organisieren, erklärt, nicht durch fachliche Eignung". Verfasst hat das Schreiben vermutlich ein Mitglied aus dem ehemaligen Lager um Dirk Spaniel. Offen stellen Reste dieses Flügels die Macht Weidels und Frohnmaiers nicht in Frage. Der offene Streit in der Südwest-AfD wurde zu einem versteckten Murren herunter gedimmt.

Wer noch in der AfD ist und als Weidel-Kritiker bekannt, wird abgestraft. So geschehen mit dem früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Braun, der auf keinen der 60 Listenplätze gewählt wurde. Andere, die früher Weidel kritisierten, haben wohl die Zeichen der Zeit erkannt, und halten sich nun zurück. So schrieb im April 2017 Nikolaos Boutakoglou noch online (sämtliche Grammatik- und Rechtschreibfehler im Original): "Liebe AFD!! wie soll denn Ihrer Meinung nach die Familienförderung der Deutschen und die Geburtenrate erfolgen? Indem man wie Ihre Spitzenduokandidatin Weidel man jetzt lesben mit Kinder fördert? Da hätte ich mal gerne eine Antwort?" Für die kommende Wahl kandidiert er auf Listenplatz 14.

"Stolzmonat" im Kultur- und Wahlkampf

Am Ende des Parteitags posieren die Kandidat:innen mit einer sogenannten Stolzmonat-Fahne: ein siebenstufiger Farbverlauf in Schwarz, Rot und Gold quasi als Parodie der Regebogenflagge. Die 2023 initiierten queerfeindlichen "Stolzmonat"-Kampagne persifliert den im Juni stattfindenden "Pride Month", der für die Rechte sexueller Minderheiten steht.

Mitinitiator des "Stolzmonats" war der rechtsextreme Youtuber Aron Pielka, der unter dem Pseudonym "Shlomo Finkelstein" auftritt, antisemitische Stereotypen verbreitete und unter anderem mit einer Koranverbrennung provozierte. Von August 2024 bis Mai dieses Jahres saß er unter anderem wegen Volksverhetzung im Gefängnis. Viele aus der rechtsextremen Szene und der AfD zeigten sich solidarisch mit Pielka. Die AfD will offenbar in Baden-Württemberg mit Kulturkämpfen ihren Wahlkampf führen. Mit einem Spitzenkandidaten, der den mutmaßlichen russischen Agenten Manuel Ochsenreiter (1976-2021) im Bundestagsbüro beschäftigte. 

Das dürfte kaum die Wähler:innen interessieren. Stand jetzt würde die AfD kommendes Jahr mit doppelter Größe in das Landesparlament einziehen. Das wirft die Frage auf, inwiefern die rechte Partei aus der Opposition heraus künftige Regierungen in Baden-Württemberg beeinflussen kann. Das wird wohl maßgeblich von der CDU abhängen, die aller Voraussicht nach mit Manuel Hagel den neuen Ministerpräsidenten stellen wird. Dass Hagel bereit ist, rechte Positionen miteinzubeziehen, zeigte er schon im April 2018. Damals trat er als Redner für die Werteunion auf, damals noch keine eigene Partei, sondern rechtskonservativer Flügel der Union. Dass sich Hagel im März mit dem Außenminister des ungarischen Autokraten Victor Orban traf, lässt jedenfalls nichts Gutes erahnen.

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5 Kommentare verfügbar

  • gerhard manthey
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Sehr geehrter Herr Teidelbaum, glauben Sie, mit Ihrem Artikel eine/n AfD-Wähler:in oder ein:e, die es vorhat. die schweigende Bürgerstimme zu geben, mit Ihrem Artikel eines Besseren belehrt zu haben? Da war "Coppi" in der Küche bei der Analyse zur vergangenen Reichstagswahl und dem Erfolg der NSDAP…
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