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Wohnungsbau

Totalversagen

Wohnungsbau: Totalversagen
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Seit 2016 wollten Grüne und Schwarze den Wohnungsbau für Baden-Württemberg "neu denken". Das ist gründlich schiefgegangen. Jetzt verspricht Bauministerin Nicole Razavi (CDU) einen "echten Paradigmenwechsel". Dass Fachleute die jüngsten Gesetzentwürfe in vielen Details ablehnen, ist Grünen und CDU egal.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wie sich die frühere parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Landtagsfraktion Mitte März loben wird, wenn das "Gesetz für das schnelle Bauen" endgültig verabschiedet werden soll. "Wenn man es wirklich will, sind Entbürokratisierung und Beschleunigung auch in Deutschland im Jahr 2025 möglich", hat Nicole Razavi verkündet, heute baden-württembergische Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen. Und dass es nicht um Schönheitsreparaturen geht, sondern um eine "echte Grundsanierung".

Die hätte das Land tatsächlich bitter nötig. Denn die Entwicklung seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine mit stark steigenden Preisen sprengt die Statistik: 1950 wurden erstmals für den Südwesten Zahlen zur Bautätigkeit erhoben und damals knapp 29.000 Genehmigungen erteilt. 2024 dagegen waren es 6.643 und damit so wenig wie nie in den vergangenen 75 Jahren. Zum Vergleich: In den 1970ern gab es zwischen 35.000 und 45.000 neue Komplexe jährlich zwischen Main und Bodensee. In Wien, mit seinen zwei statt elf Millionen Einwohner:innen wie in Baden-Württemberg, sind es gegenwärtig rund 10.000 pro Jahr.

Das Totalversagen lässt sich allein an den hochtrabenden Beteuerungen von Grünen und CDU im ersten gemeinsamen Koalitionsvertrag von 2016 ablesen – und an der Kluft zu dem, was daraus wurde. "Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum kann nur gedeckt werden, wenn die Politik geeignete Rahmenbedingungen schafft und den Wohnungsbau als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller am Wohnungsbau beteiligten Partner sieht", hieß es damals. Nur gemeinsam werde der Aufbruch für mehr bezahlbaren Wohnraum gelingen. Und konkreter: "Wir werden den Bau neuer sozialer Mietwohnungen vorantreiben und dem drohenden Auslaufen der derzeit vorhandenen Sozialbindungen entgegenwirken." 

Die Agenden gingen an die CDU. Seither wird herumgedoktert. Schon Razavis Vorgängerin, Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, wollte "verschlanken, beschleunigen, entbürokratisieren, optimieren" und sogar "ehrlich diskutieren". Dabei setzte das Land viel zu lange vor allem auf Bundesförderungen oder auf eine am Eigenheim interessierte Mittelschicht, die vergleichsweise preiswerte Mietobjekte frei macht. Auf Ausschussreisen nach Zürich oder Wien wurde erkennbar, dass erfolgreiche Modelle ohne direktes Engagement und einer viel stärkeren Rolle der öffentlichen Hand nicht kopierbar sind. Die eigene Partei verweigerte Hoffmeister-Kraut bei der Bildung des dritten Kabinetts Kretschmann die Verlängerung als Bauministerin. 

Ohne Genehmigung gilt der Antrag als genehmigt

Stattdessen kam mit Razavi eine frühere Verkehrsexpertin und glühende Stuttgart-21-Befürworterin mit einem neuen Ressort zum Zuge. Der damalige CDU-Landeschef, Innenminister Thomas Strobl, wollte Personal unterbringen. Die allzu oft allzu braven Grünen nickten dieses Begehren in einer ohnehin durch Staatssekretär:innen in allen Ministerien aufgeblähten Landesregierung ab, und tapfer lobte Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Neuerung gerade mit den Herausforderungen im Wohnungsbau.

Gerade hier fällt der Leistungsnachweis besonders dünn aus, und daran wird sich bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2026 auch nichts mehr ändern. Ministerin Razavi verspricht jetzt eine "völlig neue Kultur", Expertenlob gab es in der Anhörung zum Schnelles-Bauen-Gesetz am vergangenen Mittwoch im Landtag allenfalls für die Betonung des großen Ganzen – um en détail zahlreiche Schwachpunkte zu identifizieren. Ein "Gamechanger" jedenfalls werde das nicht, prognostizierte Gerald Lipka vom Verband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen und nannte als Beispiel die neue sogenannte Genehmigungsfiktion. Die habe zur Folge, heißt es im Gesetz, "dass bei nicht fristgemäßer Entscheidung über den entscheidungsreifen Bauantrag die baurechtliche Entscheidung fingiert wird". Soll heißen: Wenn es keinen behördlichen Bescheid gibt, gilt der Antrag als genehmigt.

Mit diesem Instrument will Grün-Schwarz die Verfahren erheblich beschleunigen. Das wird aber nicht funktionieren, lautet die zusammengefasste Meinung der Expert:innen – sogar derer, die Razavis Gesetzentwurf in ihren Statements im Plenarsaal geradezu überschwänglich lobten. "Die Entbürokratisierung begrüßen wir ganz ausdrücklich", sagte Luisa Pauge vom der CDU traditionell nahestehenden Gemeindetag. Zugleich dürfe aber die Beschleunigungswirkung nicht überschätzt werden. Und sie schiebt die schwerwiegende Kritik hinterher, dass gänzlich ungeklärt ist, wer eigentlich haftet, wenn rechtswidrig vorab entschieden wird, wer zahlt, wenn Schadensersatz anfällt, weil fingierte Genehmigungen zurückgenommen werden müssen.

Bauen ist nun mal kompliziert

Lipka verwies auf die Erfahrungen der privaten Bauwirtschaft in anderen Bundesländern. Die Fiktion bringe wenig, weil die die Projekte finanzierenden Banken auf einer förmlichen Genehmigung bestünden. Noch deutlicher wurde Markus Müller, der Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg: Alle professionellen Bauherren wollten eine rechtskräftige und keinesfalls eine bloß fingierte Genehmigung, schon allein weil ihre Compliance-Vorschriften etwas anderes gar nicht zuließen. "Ein Bauantrag ist keine Kfz-Zulassung", warnte Müller und verwies auf durchaus "sinnvolle Kostentreiber", weil eben sehr viel erledigt werden müsse, um einen positiven Bescheid zu bekommen. Zu Recht sei ein Wust von Fragestellungen abzuarbeiten, darunter zu Gewässerschutz, Regenrückhaltung oder zur Beschaffenheit des Grunds. Eine gute Koordinierung unter allen Beteiligten verkürze die Verfahren, "und wenn etwas fehlt, dann dauert es". Auch andere Regelungen sind nicht ohne Pferdefuß. Beispielsweise sollen Widerspruchsverfahren etwa von Nachbarn abgeschafft werden. Einer der in den Landtag geladenen Experten mahnte aber, die Schaffung neuer Richterstellen nicht zu vergessen, weil Einwände von Nachbarn dann künftig gleich beim Verwaltungsgericht landen. 

Unmittelbar von den Neuerungen profitieren könnten Häuslebauer:innen auf der Suche nach Einsparpotenzialen: Dazu zählt eine sogenannte kleine Bauvorlageberechtigung, die neue Berufsgruppen ermächtigt, künftig die Verantwortung für die Errichtung von Häusern mit bis zu drei Wohnungen zu übernehmen. Eine solche Rolle ist bisher Architekt:innen oder Ingenieur:innen vorbehalten. Künftig fällt sie per Gesetz auch "staatlich geprüften Technikerinnen oder Technikern der Fachrichtung Bautechnik, Personen, die die Meisterprüfung des Maurer-, Betonbauer-, Stahlbetonbauer- oder Zimmererhandwerks abgelegt haben" zu, aber auch "Personen, die in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem nach dem Recht der Europäischen Union gleichgestellten Staat eine gleichwertige Ausbildung abgeschlossen haben". Beide Kammern argumentieren mit dem notwendigen Fachwissen und mit dem Verbraucherschutz. Er frage sich, so Markus Müller, "wie jemand auf die Idee kommen kann, einen dieser Berufe gelernt zu haben und dann Architektur machen zu wollen." Der Wohnbau-Experte der SPD-Landtagsfraktion Klaus Ranger warnt schon länger vor Missbrauch, weil dann "nicht nur seriöse Handwerksmeister, die ihr Gewerk verstehen, sondern auch Geschäftemacher Anträge einreichen werden, die fehlerhaft sein können". Seiner Grünen-Kollegin Barbara Saebel geht es um die Sicherheit derer, "die einmal im Leben Bauherren sind".  

Fachleute werden von Grün-Schwarz ignoriert

Um solche Einwürfe der Grünen ist es jedoch ähnlich schlecht bestellt wie um die Argumente von Fachleuten. Das war schon beim neuen Rettungsdienstgesetz des Landes nicht anderes oder jüngst beim Mobilitätsgesetz, als Städtetagspräsident Frank Mentrup (SPD) noch einmal vehement dafür warb, die ursprünglich geplante Arbeitgeberabgabe nicht zu streichen. Für den Landtag ist damit das berühmte Strucksche Gesetz außer Kraft gesetzt – der einstige SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck hatte einst die Regel aufgestellt, "dass kein Vorhaben den Bundestag so verlässt, wie es hereingekommen ist".

In Baden-Württemberg prallen selbst die sinnvollsten Veränderungsbegehren vor allem deshalb ab, weil der Zusammenhalt in der Landesregierung – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen – inzwischen durchaus brüchig ist. Nacharbeiten würde mit Nachverhandlungen einhergehen und schwachbrüstige Kompromisse gefährden. Im Falle der neuen Bauregelungen hat die Vorsitzende des zuständigen Parlamentsausschusses Christiane Staab (CDU) sogar schon am Tag nach der Expert:innen-Anhörung mitgeteilt, dass der Gesetzwurf zur Annahme empfohlen wird. Unverändert, versteht sich, trotz aller Kritik.

Was für Innenstädte höchst problematische Auswirkungen haben könnte. "Vor allem im Bestand spielt die Musik", behauptet die Expertin der Grünen-Landtagsfraktion Cindy Holmberg reichlich pauschal. Für Aufstockung oder Zusatzbauten zur Schaffung von Wohnraum trifft das zu, keineswegs aber auf Spielhallen und Bordelle. Nicht nur Stuttgart kann alle Pläne zur Entwicklung bisheriger Rotlichtviertel beerdigen, wenn der neue im Gesetz verankerte Bestandsschutzparagraf 76 verabschiedet wird. Der Städtetag warnt seit Monaten anhaltend vor der Einschränkung der kommunalen Planungshoheit. Selbst die bisherige Rechtsprechung würde Makulatur.

Alles Drängen, sogar Bittbriefe ans Staatsministerium oder an die Regierungsfraktionen, gerade aus der Landeshauptstadt, haben nicht gefruchtet. Und Razavis Haus, bestückt bekanntlich auch mit der Grünen-Staatssekretärin Andrea Lindlohr, sieht ohnehin überhaupt keinen Veränderungsbedarf jetzt kurz vor knapp und vor der Verabschiedung des Gesetzes. Zum Beispiel, weil nicht stimme, wie es heißt, dass Gemeinden nicht mehr eigenverantwortlich planen könnten, denn die Regelung schütze allein das, was rechtmäßigerweise ohnehin schon bislang bestanden habe. Nicht nur Veronika Kienzle (Grüne), Bezirksvorsteherin in Stuttgart-Mitte, widerspricht vehement. Gehör findet selbst sie nicht. Und den Praxistest könnten die neue Regelungen erst dann reißen, wenn es zu spät ist und Bordelle oder Spielhallen aus Innenstädten endgültig nicht mehr zu vertreiben sind.

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1 Kommentar verfügbar

  • Reinhard Gunst
    am 26.02.2025
    Antworten
    Ein echter Paradigmenwechsel soll geschehen? Was von Versprechungen der Politik zu halten ist, offenbart sich ja gerade in der Bundespolitik. Das Versprechen Bürokratie abzubauen ist ebenso reine Augenwischerei, denn einmal erlassenen Gesetzte sind nicht so einfach zu treich- en . Dass so wenig…
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