Nicole Razavi (CDU), die zuständige Ministerin, hatte bei ihrem Amtsantritt versprochen, das Thema Wohnen "ganzheitlich" anzugehen. Ein neues eigenständiges Ressort leistet sich die Landesregierung, sogar samt einer Staatssekretärin, der Grünen Andrea Lindlohr. Die gemeinsame Zwischenbilanz ist äußerst mager. Und am vergangenen Freitag hatten leider beide gar keine Zeit, sich zuerst den Demonstrant:innen auf dem Stuttgarter Karlsplatz und dann den Fachleuten auf dem Symposion der Architektenkammer zu stellen, zuzuhören und sich auf Gespräche einzulassen über den riesigen Nachholbedarf im Land. Der wird nicht kleiner, sondern größer.
Sie hätten die bunte Mischung Betroffener erleben können, die sich Freitagvormittag im Nieselregen am reichlich aus der Zeit gefallenen Denkmal für Kaiser Wilhelm I. in der Innenstadt versammelten: viele in Warnwesten und mit Helm, aber zur Diskussion durchaus bereit, darunter eine Vizeweltmeisterin im Betonbau, Stuckateur:innen, Immobilien-Expert:innen aus Böblingen oder Gartenfachleute. Als sich die dicken Fahrzeuge der Demonstrierenden, deutlich mehr als hundert, im Korso über die Planie schieben, gibt es reichlich Applaus und Handy-Videos.
Manche Sprüche auf den vielen Plakaten sind durchaus aggressiv ("Wenn wir so arbeiten würden wie unsere Politiker, wären alle Gebäude einsturzgefährdet"). Und andere wenig durchdacht, beispielsweise wenn der Bundesbank Verantwortungslosigkeit vorgeworfen wird, als ob sie im Alleingang an Zinssätzen schrauben könnte. Manchmal gibt es auch Irritierendes, etwa von dem Zuhörer, der immer wieder sein Schild mit der Forderung "Mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau" hochreckt – dann aber begeistert dem Stuttgarter FDP-Landtagabgeordneten Friedrich Haag applaudiert, als der die Gebetsmühle seiner Partei anwirft und verlangt, der Staat müsse endlich mit seinen Einnahmen auskommen. Buhrufe gibt es für die wohnungsbaupolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion Cindy Holmberg. Als sie das Wort ergreift, muss Thomas Möller, der Hauptgeschäftsführer der "Bauwirtschaft Baden-Württemberg", für Ruhe sorgen: "Wir wollen zuhören und reden." Hier fruchtet der Appell.
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