In Zahlen stellt sich diese Geschwindigkeit wie folgt dar: Seit Razavis Amtsantritt 2021 ist der Wohnungsneubau deutlich zurückgegangen, im ersten Jahr unter ihrer Ägide nur um 0,7 Prozent, im zweiten schon um 4,2 Prozent. Seither hat die Ministerin wiederholt das Bild von einem "Motor im Wohnungsbau" bemüht, der wahlweise droht auszugehen, stottert oder zum Stillstand gekommen ist. Was ihr dazu einfällt? Nicht viel mehr als Binsen. So belehrt sie den Abgeordneten Schweickert: "Manche Dinge – weltweite Einflüsse – haben wir gar nicht in der Hand. Aber bei den Dingen, die wir in der Hand haben, ist wichtig, dass jede Ebene, jede politische Ebene, aber auch die Wirtschaft, die Bauwirtschaft, die Verbände, dass jeder seinen eigenen Teil dazu beiträgt, dass die Situation sich verbessert."
In den vergangenen Jahren hat sich die Situation allerdings kontinuierlich verschlechtert. Ein Ding, das die Landesregierung in der Hand hat, ist die finanzielle Förderung des sozialen Wohnungsbaus, worunter in Baden-Württemberg auch die Beihilfe zum Eigenheim fällt. Um vergünstigten Wohnungsbau zu fördern, hat Baden-Württemberg die Mittel im vergangenen Jahr von 427 Millionen Euro auf 463 Millionen aufgestockt, die seit März 2023 beantragt werden konnten – und kurz darauf, im Mai, vergriffen waren. Wegen der hohen Nachfrage wurde das Förderprogramm, das laut Razavi erst im Vorjahr "passgenau weiterentwickelt" worden sei, daher um zusätzliche 135 Millionen Euro aufgestockt, die auch nicht lange hielten.
Auf Steuerung hat die Politik dabei weitgehend verzichtet: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, lautete das Prinzip. Eine konkrete Bedarfsanalyse, wo welcher Wohnraum besonders dringlich gebraucht wird, hat bei der Geldvergabe keine Rolle gespielt. Nach Informationen von Kontext wurden zum Beispiel Einfamilienhäuser mit sechsstelligen Beträgen gefördert, wovon laut Razavi "geringe bis mittlere Einkommen" profitiert hätten. Sie warnt davor, in diesem Fall eine populistische Neiddebatte zu eröffnen.
Alle Gelder kommen aus einem großen gemeinsamen Fördertopf für den "sozialen Wohnungsbau", in den gut 60 Millionen Euro eingeflossen sind, die der Bund eigentlich bereitgestellt hat, um je zur Hälfte Studierende und Auszubildende zu unterstützen. Angekündigt wurde das Programm "Junges Wohnen" bereits im Dezember 2022, seitdem hatten die Bundesländer Zeit, mit Förderrichtlinien die Rahmenbedingungen festzulegen, unter denen die entsprechenden Mittel beantragt werden können. 15 von 16 Bundesländern haben das auch hinbekommen, nur Baden-Württemberg nicht. Hier steht das Ministerium noch ganz am Anfang, denn erst Ende Januar 2024 wurde ein "Interessenbekundungsverfahren" auf den Weg gebracht: Über einen Aufruf soll erst einmal herausgefunden werden, wie denn der Bedarf bei Azubi-Wohnungen aussieht. Dabei geht es zunächst nur um den Neubau. Nach Angaben des Ministeriums sei aber ein zweiter Aufruf, der sich mit der Modernisierung bestehender Azubi-Wohnungen befasst, bereits in der internen Abstimmung.
Ministerium weiß nicht, wie viel Geld bei Azubis ankam
Bis Baden-Württemberg aufholt und ebenfalls eine Förderrichtlinie erlässt, dürften also noch einige Monate vergehen. Um das viele Geld aus dem vergangenen Jahr auch ohne Richtlinie nicht zurückzahlen zu müssen, ist das Ministerium indessen kreativ geworden – und hat die Mittel kurzerhand umgewidmet: Sie sind zum Teil der allgemeinen Wohnraumförderung geworden, mit der auch Sozialprojekte wie das Eigenheim gefördert werden.
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Rainer Rau
am 23.04.2024