Preisspirale aufwärts
Wo sich die Ulrichstraße und die Eugenstraße in der Südstadt treffen, gibt es ein Eckhaus, in dem sich unten die Bäckerei Fischer befindet. Ein kleiner Familienbetrieb, der seit 1979 traditionelles Backhandwerk pflegt. Als die Eigentümerin des Hauses gestorben ist, haben die beiden Erben das Haus schnell zu hohem Preis verkaufen wollen. Somit sind sie nicht auf das Angebot der städtischen Dachgenossenschaft, sondern jenes der Terra Konsult GmbH eingegangen. Diese hat das Haus "sofort in zwei Eigentümer aufgeteilt", berichtet Amann. Während Terra Konsult noch 2,1 Millionen Euro für das ganze Gebäude gezahlt hatte, wird nun eine der beiden Haushälften bereits für 1,9 Millionen Euro angeboten.
"Tübingen ist seit Jahren verlässlich unter den zehn Städten in Deutschland mit den am stärksten steigenden Mieten und Grundstückspreisen", betonen die Wohnraum-AktivistInnen. Allerdings gibt es dabei interessante Unterschiede: "Großinvestoren spielen in Tübingen seit Jahren eigentlich keine Rolle, so wie das in anderen Städten ein Problem ist. Aber hier sehen wir die Effekte davon, dass die kleinen Eigentümer entweder überfordert sind mit ihren Vermietungen und Häuser verfallen lassen, oder sich fair verhalten gegenüber ihren MieterInnen, dann aber sterben und die ErbInnen die Häuser verkaufen und dabei kein Interesse haben, dass bezahlbare Mieten erhalten bleiben", schildert Amann und verweist auf die Genossenschaftliche Immobilien-Agentur in Frankfurt. Sie tritt an vor allem ältere HauseigentümerInnen heran, die nicht wollen, dass ihren MieterInnen nach ihrem Tod gekündigt wird.
Die Möglichkeiten der Kommune sind begrenzt
Trotz einer angespannten Lage in Tübingen machen Gemeinderat und Stadtverwaltung laut Amann wohnpolitisch vieles richtig: "Fast alle kommunalen Instrumente, die prinzipiell zur Verfügung stehen, werden angewendet, um Spekulation einzuschränken und günstige Mieten zu erhalten." Insgesamt seien die Möglichkeiten der Kommune aber stark begrenzt, es brauche "Regulationen auf Landes- und Bundesebene: eine Mietpreisbremse, die wirklich bremst, ein Mietenstopp, ein effektives Vorgehen gegen Spekulation, ein neues Vorkaufsrecht, mehr Mittel für sozialen und ökologischen Wohnungsbau etc."
Das Anfang 1990 entwickelte Tübinger Modell zur Vergabe von Objekten ist nach Amann sinnvoll: Durch den Zwischenerwerb der Stadt und die Vergabe nach Konzeptbewerbung in Kleinteiligkeit an private Baugruppen und soziale Träger könne Tübingen nutzungsgemischt und alltagstauglich gestaltet werden. In den vergangenen Jahren seien, wie Amann ausführt, aber auch hier Defizite deutlich geworden: "Die Eigentumswohnungen, die in den Baugruppen entstehen, sind nicht davor geschützt, teuer weitervermietet zu werden." Eine weitere Forderung des Wohnraumbündnisses lautet daher: "Kein Verkauf mehr an Privateigentum, sondern an gemeinwohlorientierte Träger, die Wohnraum dauerhaft dem Markt entziehen, wie das Mietshäuser-Syndikat."
Ein anderes Instrument zur Entspannung der wohnpolitischen Lage stellt eine "Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten" dar, sagt Johanna Neuffer vom Wohnraumbündnis. "Rechtlicher Rahmen hierfür sind die Milieuschutzsatzung §172 BauGB oder das 2021 bundesweit verabschiedete Baulandmobilisierungsgesetz §250 BauGB." Das Land Baden-Württemberg plane allerdings keine Umsetzung des Umwandlungsverbots nach Paragraf 250 des Bau-Gesetzbuches, so Neuffer. Somit fehlt Tübingen eine wichtige Rechtsgrundlage. Beim Milieuschutzgesetz gehe es darum, Gebiete mit besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen wohnpolitisch zu schützen. Stuttgart und Freiburg haben dies schon umgesetzt, Karlsruhe strebe es an, sagt Neuffer.
Dieses Jahr wird das selbstverwaltete Jugendzentrum Epplehaus neben dem Hauptbahnhof 50 Jahre alt. Das Gebäude wurde damals im Anschluss an ein Konzert der Band Ton Steine Scherben besetzt. "Wir brauchen keine Hausbesitzer, denn die Häuser gehören uns", heißt es in einem Song der Band, "wenn wir uns erstmal einig sind, weht, glaub ich, 'n ganz anderer Wind", in einem anderen. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass 160 Euro zu viel sind, um eine Nacht lang auf den Neckar zu schauen?
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