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Mietpreise

Betongold in Tübingen

Mietpreise: Betongold in Tübingen
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Für 28 Quadratmeter lassen sich in Tübingen 3.000 Euro pro Monat verlangen – sie müssen nur als Ferienwohnung ausgewiesen sein. Obwohl die Stadt viele Mittel der Wohnpolitik ausschöpft, gehören die Mieten zu den am schnellsten steigenden der Republik. Eine kritische Stadtführung zeigt Probleme auf.

Wenn "Wohnraum für kurzfristige, aber renditeträchtige Unterkünfte weichen muss" und "langjährigen Mieter:innen zugunsten zahlungskräftiger Investoren gekündigt wird", ist "Wohnraum an vielen Stellen zum reinen Spekulations-Objekt geworden", kritisiert das Wohnraumbündnis Tübingen und lädt anlässlich des europaweiten Housing Action Days am 26. März zu einer Stadtführung, die zugleich eine Problembesichtigung ist.

Los geht es vom selbstverwalteten Studierendenwohnheim "Münze 13" Richtung Neckar. Das Gebäude in der Mühlstraße 1 am Rande der Tübinger Altstadt hat die Firma Meleo 2019 für eine halbe Million Euro saniert, wie Fabian Everding vom Wohnraumbündnis berichtet. Inzwischen fungiert es als Boardinghaus, was der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband als "Beherbergungsbetrieb, der sich meist an Langzeitnutzer in städtischer Umgebung wendet", definiert. Der Eingang der Apartments liegt ein wenig versteckt hinter einer Hausecke. Neben einem hotelähnlichen Eingangsbereich sind Briefkästen angebracht: "Wohnung 1", "Wohnung 2" etc. steht auf den meisten. An einer Wand steht ein Check-In-Automat, an dem man durch Eingabe eines Codes an die Apartment-Schlüssel kommt. "Zu keiner Zeit haben wir Personal gesehen – sehr anonym", beschreibt eine Rezension auf der Booking-Plattform planetofhotels.com Ende 2021 den Service.

Den Unterschied zu gewöhnlichem Wohnen macht vor allem das Preisniveau: Auf dem eigenen Internetportal der Metropol-Apartments wird mit "einer modernen, luxuriösen Ausstattung" in "einer wohnlichen Atmosphäre" geworben, welche KundInnen in die "9 Zimmer und Suiten" locken soll. Pro Nacht kostet das zwischen 100 und 240 Euro, je nachdem ob man nur das "Deluxe Doppelzimmer" oder die "Deluxe Maisonette" bucht. Laut Everding findet die für AnbieterInnen lukrative Umwandlung von Wohnraum in Ferienwohnungen und Boardinghäuser breitflächig in Tübingen statt.

Um gegenzusteuern, hat der Gemeinderat erst im März dieses Jahres das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum verschärft: Mit der neuen Satzung ist es untersagt, mehr als die Hälfte der Wohnfläche ohne Genehmigung für mehr als zehn Wochen im Jahr zur Fremdbeherbergung zu nutzen. Verstöße können bis zu 100.000 Euro kosten. Die vorangegangene Satzung gegen Zweckentfremdung, beschlossen im Jahr 2016, richtete sich gegen Leerstand. Für Johanna Neuffer vom Wohnraumbündnis war das bislang keine Erfolgsgeschichte. Sie fragt, "wie wirksam solche Instrumente wirklich sind". Bis 2018 habe es nur 45 eröffnete Verfahren gegen Leerstand gegeben und nur ein Drittel der betroffenen Häuser konnte erfolgreich wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt werden.

Inkubator einer neuen Zeit

"Die berühmte Universitätsstadt Tübingen ist der Inkubator einer neuen Zeit: ein Wissenschaftsstandort, der immer mehr innovative Unternehmen anzieht", freut sich ein weiterer Boardinghaus-Anbieter namens "Cloud Number 7" in der Karlstraße 11, nahe des Tübinger Hauptbahnhofs. Aktuell reicht die Preisspanne der 61 Apartments je nach Raumgröße zwischen ungefähr 55 und 108 Euro pro Nacht. Wie das "Schwäbische Tagblatt" berichtet, schwebte dem parteilosen Baubürgermeister Cord Soehlke hier eigentlich eine Art Studentenwohnheim vor. 

Statt Studierende spricht das Boardinghaus-Unternehmen auf seiner Website explizit Geschäftsreisende an. "Preislich besteht große Ähnlichkeit zu Hotels", sagt Manuel Dieterich vom Wohnraumbündnis. Generell würden Boardinghäuser "mit der steigenden Nachfrage von Übernachtungsmöglichkeiten für gut Bezahlende" entstehen. Sorgen bereitet den Wohnraum-AktivistInnen daher auch, wie sich der Technologiepark "Cyber Valley" auf das Mietniveau in Tübingen und die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt auswirken wird.

Bereits Ende 2018 hatte sich das Wohnraumbündnis in einem Brandbrief an die Verantwortlichen und an die Öffentlichkeit gewandt: "Wenn in Tübingen vom Cyber Valley geträumt wird, möchten wir wissen, wie sich 3.500 neue Arbeitsplätze, die Ansiedlung von Konzernen wie Amazon und der Zuzug von Start-up-Gründern auf die Wohnsituation in Tübingen auswirken wird." Ein mildernder Effekt, gar eine Entspannung der Lage, ist jedenfalls nicht zu erwarten.

Auch Aurelis baute in Tübingen

Ein paar Minuten weiter, zwischen Südstadt und Altstadt, liegt das Quartiersgelände "Alter Güterbahnhof", ungefähr einen Kilometer lang und mehrere Hundert Meter breit. Das Areal wurde von der Stadt zusammen mit der Aurelis Real Estate GmbH bebaut. Das ehemalige Tochter-Unternehmen der Deutschen Bahn ist in eine ganze Reihe fragwürdiger Immobiliendeals verstrickt (Kontext berichtete). So verwundert es kaum, dass der Teil der Grundstücke des Alten Güterbahnhofs, der von Aurelis selbst vermarktet wurde, laut Deutschlandfunk "im Vergleich um bis zu ein Drittel teurer (ist) als gleichgroßer Wohnraum, der von Baugruppen geschaffen wurde."

Vor dem Hintergrund der Geschäfte, die die Deutsche Bahn AG ab 1997 dadurch machte, dass sie immer mehr Grundstücke verkaufte, fragt sich Everding vom Wohnraumbündnis, "ob damit nicht einfach vor allem kurzfristige Gewinne erzielt werden sollten. Die Stilllegung des Güterbahnhofs in Tübingen mag also nicht nur damit zu tun haben, dass er vielleicht nicht mehr gebraucht wurde, es war auch finanziell sehr attraktiv, mit der freiwerdenden Fläche Geld zu verdienen."

Die Tübinger Südstadt "war jahrzehntelang nicht der Ort, wo man wohnen wollte", berichtet Marc Amann vom Wohnraumbündnis, der hier aufgewachsen ist, sondern ein Ort, "wo alles hinkam, was woanders nicht gewollt war." Der Begriff Gentrifizierung kam zwar erst später auf, doch als ein HiFi-Soundgeschäft Mitte der 1980er-Jahre den Tante-Emma-Laden verdrängte, seien die Auswirkungen im Viertel deutlich spürbar gewesen, erzählt er.

Warum nicht mal eine WG ausprobieren?

In den vergangenen zehn Jahren sei es vor allem lukrativ gewesen, Wohnungen als Studi-WGs anzubieten, schildert Amann. Oft würden sich die alten MieterInnen nicht wehren, wenn sie aus den Wohnungen gedrängt werden sollen. In der Ulrichstraße 8 wohnte eine Familie bestehend aus drei Generationen, die nach 40 Jahren nicht einfach gehen wollte. Als die Großeltern gestorben waren, ließ die SZS Immobilien GmbH eine studentische WG in das mittlere Stockwerk einziehen. Dies war "taktisch das klügste, was diese Eigentümer gemacht haben", sagt Amann. Die WG mitten im hellhörigen Haus harmonierte nicht mit der Familie, die weiterhin im Rest des Gebäudes wohnte. Mit den neuen Eigentümern kam es zum "Rechtsstreit und bis hin zu handgreiflichen Auseinandersetzungen", so Amann.

Die obere Wohnung, in der ein frisch operiertes Familienmitglied lag, ist sogar von der Heizung getrennt worden, berichtete das "Schwäbische Tagblatt". Amann spricht von Mobbing gegen die alten MieterInnen. Auch Gemeinderatsmitglieder und Baubürgermeister Soehlke schauten sich an, was in der Ulrichstraße 8 vor sich geht, doch konnten sie nichts ausrichten. Schließlich zog die Familie aus. "Diese Art von Verdrängung passiert in der Südstadt häufig", sagt Amann. Laut dem Wohnraumbündnis habe etwa die SZS Immobilien eine ähnliche Methode auch in der Ludwigstraße 16 angewandt.

Durch die Wohnungsnot der Studierenden funktioniert das Geschäftsmodell mit teuren WG-Zimmern. "Eine wichtige Forderung sowohl von uns als auch der Stadtverwaltung: Das Studentenwerk muss mehr Wohnheimplätze bauen!", sagt Amann.

Preisspirale aufwärts

Wo sich die Ulrichstraße und die Eugenstraße in der Südstadt treffen, gibt es ein Eckhaus, in dem sich unten die Bäckerei Fischer befindet. Ein kleiner Familienbetrieb, der seit 1979 traditionelles Backhandwerk pflegt. Als die Eigentümerin des Hauses gestorben ist, haben die beiden Erben das Haus schnell zu hohem Preis verkaufen wollen. Somit sind sie nicht auf das Angebot der städtischen Dachgenossenschaft, sondern jenes der Terra Konsult GmbH eingegangen. Diese hat das Haus "sofort in zwei Eigentümer aufgeteilt", berichtet Amann. Während Terra Konsult noch 2,1 Millionen Euro für das ganze Gebäude gezahlt hatte, wird nun eine der beiden Haushälften bereits für 1,9 Millionen Euro angeboten.

"Tübingen ist seit Jahren verlässlich unter den zehn Städten in Deutschland mit den am stärksten steigenden Mieten und Grundstückspreisen", betonen die Wohnraum-AktivistInnen. Allerdings gibt es dabei interessante Unterschiede: "Großinvestoren spielen in Tübingen seit Jahren eigentlich keine Rolle, so wie das in anderen Städten ein Problem ist. Aber hier sehen wir die Effekte davon, dass die kleinen Eigentümer entweder überfordert sind mit ihren Vermietungen und Häuser verfallen lassen, oder sich fair verhalten gegenüber ihren MieterInnen, dann aber sterben und die ErbInnen die Häuser verkaufen und dabei kein Interesse haben, dass bezahlbare Mieten erhalten bleiben", schildert Amann und verweist auf die Genossenschaftliche Immobilien-Agentur in Frankfurt. Sie tritt an vor allem ältere HauseigentümerInnen heran, die nicht wollen, dass ihren MieterInnen nach ihrem Tod gekündigt wird.

Die Möglichkeiten der Kommune sind begrenzt

Trotz einer angespannten Lage in Tübingen machen Gemeinderat und Stadtverwaltung laut Amann wohnpolitisch vieles richtig: "Fast alle kommunalen Instrumente, die prinzipiell zur Verfügung stehen, werden angewendet, um Spekulation einzuschränken und günstige Mieten zu erhalten." Insgesamt seien die Möglichkeiten der Kommune aber stark begrenzt, es brauche "Regulationen auf Landes- und Bundesebene: eine Mietpreisbremse, die wirklich bremst, ein Mietenstopp, ein effektives Vorgehen gegen Spekulation, ein neues Vorkaufsrecht, mehr Mittel für sozialen und ökologischen Wohnungsbau etc."

Das Anfang 1990 entwickelte Tübinger Modell zur Vergabe von Objekten ist nach Amann sinnvoll: Durch den Zwischenerwerb der Stadt und die Vergabe nach Konzeptbewerbung in Kleinteiligkeit an private Baugruppen und soziale Träger könne Tübingen nutzungsgemischt und alltagstauglich gestaltet werden. In den vergangenen Jahren seien, wie Amann ausführt, aber auch hier Defizite deutlich geworden: "Die Eigentumswohnungen, die in den Baugruppen entstehen, sind nicht davor geschützt, teuer weitervermietet zu werden." Eine weitere Forderung des Wohnraumbündnisses lautet daher: "Kein Verkauf mehr an Privateigentum, sondern an gemeinwohlorientierte Träger, die Wohnraum dauerhaft dem Markt entziehen, wie das Mietshäuser-Syndikat."

Ein anderes Instrument zur Entspannung der wohnpolitischen Lage stellt eine "Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten" dar, sagt Johanna Neuffer vom Wohnraumbündnis. "Rechtlicher Rahmen hierfür sind die Milieuschutzsatzung §172 BauGB oder das 2021 bundesweit verabschiedete Baulandmobilisierungsgesetz §250 BauGB." Das Land Baden-Württemberg plane allerdings keine Umsetzung des Umwandlungsverbots nach Paragraf 250 des Bau-Gesetzbuches, so Neuffer. Somit fehlt Tübingen eine wichtige Rechtsgrundlage. Beim Milieuschutzgesetz gehe es darum, Gebiete mit besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen wohnpolitisch zu schützen. Stuttgart und Freiburg haben dies schon umgesetzt, Karlsruhe strebe es an, sagt Neuffer.

Dieses Jahr wird das selbstverwaltete Jugendzentrum Epplehaus neben dem Hauptbahnhof 50 Jahre alt. Das Gebäude wurde damals im Anschluss an ein Konzert der Band Ton Steine Scherben besetzt. "Wir brauchen keine Hausbesitzer, denn die Häuser gehören uns", heißt es in einem Song der Band, "wenn wir uns erstmal einig sind, weht, glaub ich, 'n ganz anderer Wind", in einem anderen. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass 160 Euro zu viel sind, um eine Nacht lang auf den Neckar zu schauen?


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