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Habeck in Stuttgart

Er würde gerne wieder regieren

Habeck in Stuttgart: Er würde gerne wieder regieren
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Kurz vor der Bundestagswahl kommt der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck nach Stuttgart. Vor 2.000 Frauen und Männern beschwört er die Bedeutung der Wahl als Antwort auf demokratiefeindliche Vorhaben, insbesondere aus Trumps USA. Und er nimmt eine Idee aus Stuttgart mit für mögliche Koalitionsverhandlungen.

Pressefreiheit? Nicht für Fotograf:innen

Bei der Habeck-Veranstaltung in der Benz-Arena wollte der Kontext-Fotograf vorne an der Bühne fotografieren. Das wurde ihm verwehrt. Er müsse hinten im allgemeinen Publikum bleiben. Wegen der Sicherheit. Warum er sich dann überhaupt anmelden musste, warum dann überhaupt seine Ausrüstung minutiös durchsucht wurde? Darauf keine Antwort, stattdessen: Er könne doch auf die Fotos der Grünen-Fotografen, die vor und auf der Bühne waren, zurückgreifen. Unser Fotograf war sauer. Mehrere sofortige Email-Nachfragen an die Pressestelle der Grünen blieben unbeantwortet.

Zur Pressefreiheit gehört nicht nur, schreibende Journalist:innen schreiben zu lassen, wie sie es wollen. Dazu gehört auch, fotografierende Journalist:innen fotografieren zu lassen, wie sie die Dinge sehen. Bildsprache ist mächtig, wer nur die eigenen Pressestellen-Fotos in den Medien sehen will, versucht, allein seine Sicht der Dinge zu verbreiten. Schwierigkeiten beim Fotografieren von Grünen Spitzenpolitiker:innen kennen Kontext-Fotografen auch von einem Termin mit Außenministerin Annalena Baerbock in Stuttgart. Auch dort: keine Nähe. Bei Veranstaltungen anderer Parteien sind diese Probleme bisher nicht aufgetaucht.  (lee)

Mehr als 2.000 Menschen haben sich am vergangenen Samstag auf den Weg zu Robert Habeck in der Carl-Benz-Arena gemacht, doch um zwei, eine gute halbe Stunde vor Beginn, ist's schon voll. Mit "leider kein Platz mehr" empfangen junge Menschen mit "Team Robert"-Buttons die vergeblich Gekommenen. "Aber wir haben hier einen Flyer für sie." Ein schwacher Trost.

Ansonsten: Volle Halle mit schlechter Luft, was aber die Stimmung nicht trübt. Die Grünen-Direktkandidatinnen Anna Christmann (Wahlkreis Stuttgart 2) und Simone Fischer (Stuttgart 1) geben die Anheizerinnen und halten zum Start kurze Reden, anscheinend spontan holt Habeck vor dem eigenen Auftritt die Ex-Parteichefin Ricarda Lang auf die Bühne, die das Mikro nutzt und unter großem Applaus rund 20 Minuten lang eine Co-Wahlkampfrede hält.

Mit Blick auf die USA sagt sie, Elon Musk und "seine Tech-Bros" wollten ein neues System ohne Spielregeln. "Wir werden die Freiheit der vielen verteidigen." Ansonsten drohe eine neue Weltordnung, die vor allem die Freiheit weniger reicher Männer sichere. Voll des Lobes kündigt sie Robert Habeck an. Lange habe sie intensiv mit ihm zusammengearbeitet, bei Problemen habe er nicht gejammert, sondern überlegt, wie sie zu lösen wären.

Vor seinem Auftritt hatte Habeck bereits eine Reihe von Start-up-Besuchen in Stuttgart hinter sich, darunter auch bei Qant, einer Firma mit 100 Beschäftigten, die in Stuttgart-Möhringen neuartige Hochleistungsprozessoren entwickelt hat. Laut Qant-Chef Michael Förtsch haben sie eine hundertfach höhere Rechenleistung als herkömmliche Prozessoren, sollen dabei aber 90 Prozent Energie einsparen (Kontext berichtete).

Habeck hört bei Butterbrezel und Kaffee konzentriert den Ausführungen von Förtsch zu, fragte nach Kapitalausstattung, Personalrekrutierung, Mitbewerbern. Der Firmenchef erklärt, man habe in den vergangenen zehn Jahren alles so entwickelt, dass bestehende Schnittstellen genutzt werden können – um Ressourcen zu sparen. Mit im Tross: Landeswissenschaftsministerin Petra Olschowski, Anna Christmann und Landesverkehrsminister Winfried Hermann, alle Grüne. Letzterer will wissen, wie teuer es wäre, wenn man eine Fabrik für die photonischen Chips bauen wolle, also im Vergleich zu herkömmlichen Chipherstellern. "Bis zu 30 Prozent weniger", antwortet Förtsch und schätzt 300 Millionen Investitionskosten, sollte man auf der grünen Wiese bauen – was er aber gar nicht so gut finde. "Wir können auch bestehende Foundries nehmen." Also Fertigungsstätten für Mikroelektronik. Habeck ist sichtlich beeindruckt.

"In der Regierung können wir jetzt nicht mehr viel tun", sagt er und wendet sich an Christmann, die aktuell Beauftragte der Bundesregierung für die Digitale Wirtschaft ist. "Man weiß ja nicht, wie die Wahl ausgeht, aber falls es zu Koalitionsverhandlungen mit uns kommt, stimmt doch bitte drei Sätze ab." Und zu Förtsch: "Das ist das Beste, was wir jetzt anbieten können."

Zum Ende des Firmenbesuchs gibt es noch etwas, "was man nicht kaufen kann", sagt Förtsch und überreicht dem Kanzlerkandidaten neben einem eingeschweißten Chip einen schwarzen Qant-Hoodie. Von hinten im Raum ruft eine Mitarbeiterin: "Den bekommt man eigentlich erst, wenn man die Probezeit bestanden hat." Habeck zieht den Hoodie über. Passt.

US-Verhältnisse verhindern

Kurz drauf steht er auf der Bühne der Carl-Benz-Arena, die Ärmel hochgekrempelt. In seiner einstündigen – freien – Rede nimmt er immer wieder Bezug auf die USA unter Trump. Ob innere und äußere Sicherheit, ob Klimaschutz oder Wirtschaft – stets kommt er auch auf die Bedrohung durch die angekündigte Trumpsche Politik zurück. Das kommt gut an. Kein Wunder, nicht nur Grünen-Anhänger:innen dürften die Entwicklungen in den USA mit einer gewissen Angst beobachten. Ein weiterer Bezugspunkt für Habeck: die Zukunft, die neue Wege brauche, für die wiederum "Zuversicht und Beharrlichkeit" nötig seien. Zweieinhalb Jahre habe nun vor allem schlechte Laune in der Republik geherrscht, und "wir in der Ampel hatten daran großen Anteil", sagt er. Genauer wird er nicht – es soll ja um die Zukunft gehen –, betont aber, dass er selbstkritische Politiker:innen möchte und geht so mit gutem Beispiel voran.

Also: schlechte Laune weg, stattdessen optimistisch den Problemen der Zeit begegnen. Einzelheiten führt Habeck nicht aus, hier geht es um große Linien und um Haltung. Den politischen Gegner nennt er selten, nur hier und da ein Seitenhieb: In manchen Branchen, vor allem im Autobau, sei Deutschland im 20. Jahrhundert Weltmarktführer gewesen. "Dummerweise leben wir seit 25 Jahren im 21. Jahrhundert." Wer aber nun an alten Technologien festhalte, habe das offenbar nicht verstanden.

Den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz nimmt Habeck sich vor, nachdem er hörbar ergriffen an die Opfer des Attentats in Aschaffenburg erinnert: "Wie krank muss man sein, um kleine Kinder anzugreifen?" Doch wenn Merz darauf reagiere, indem er im Bundestag darüber abstimmen lassen will, Grenzen zu schließen und keine Menschen aus anderen Ländern mehr nach Deutschland reinzulassen, dann sei das eine "Trumpsche Attitüde". Und wenn der CDU-Spitzenkandidat dafür sogar eine Kooperation mit der AfD in Kauf nehme, sei er, Habeck, entsetzt. Nicht nur, weil Merz mal erklärt habe, er werde nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Sondern: "Das kann sich als schlimmer historischer Fehler erweisen." Habeck verweist auf Österreich, wo die etablierten demokratischen Parteien es nicht geschafft haben, die rechtsextreme FPÖ aus der Regierung zu halten – im Gegenteil: Nun bekommt das Nachbarland einen rechtsextremen Kanzler. So weit weg sei Österreich ja nun nicht, sagt Habeck und bekommt so die Kurve hin zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der CDU nach der Wahl: "Wenn Merz sagt, das ist mir rausgerutscht, verspreche ich, dem nicht mit Häme zu begegnen."

Danach sieht es nicht aus, Merz hält an seiner Ankündigung fest, entsprechende Anträge in den Bundestag einzubringen, die zu einem "faktischen Einreiseverbot" führen sollen, auch für Asylbewerber:innen mit Schutzanspruch. Und wer da mitmacht, sei ihm, Merz, "völlig gleichgültig".

Mehr arbeitet sich Habeck nicht an Merz ab, er betont die Klimaschutzziele – sie aufzugeben oder zu verschieben, sei brandgefährlich, plädiert für Waffenlieferungen an die Ukraine, betont, es sei ihm egal, was Menschen essen, aber Tierwohl und Umweltschutz in der Landwirtschaft seien ja wohl wichtig. Großer Applaus und friedlicher Abzug der Besucher.innen. Von denen sich dann noch ein paar verwundert die Augen reiben angesichts der etwa 20 Leute, die mit dem Transparent "Baden-Württemberg steht auf" vor der Halle stehen. Ein älterer Mann mit Mikro empfängt die abziehenden Grünen-Besucher:innen mit Sätzen á la "Na, habt ihr euch von eurem Guru einlullen lassen?". Hier stehen Coronaleugner:innen und AfD-Anhänger:innen, wie die Fahne "Alice für Deutschland" zeigt. Auf die Frage, warum sich nur so wenige unter "Baden-Württemberg steht auf" versammeln, erklärt ein großgewachsener, bärtiger Mann um die 50: "Die Wahrheit kennen ja nicht so viele."

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6 Kommentare verfügbar

  • Konrad Wanner
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Der Bericht zu Habecks Wahlauftritt ist eine reine Lobhudelei ohne umfassende Darstellung, was bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen auf das Land zukommt. Anfang Januar 2025 fordert Habeck, 3,5% des BIP für Rüstung auszugeben. Er steht damit nicht alleine in der von grün zu olivgrün mutierten…
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