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Grüne Jugend im Südwesten

Realpolitik und linke Überzeugung

Grüne Jugend im Südwesten: Realpolitik und linke Überzeugung
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Sie sind jung. Es könnte gut sein, dass ihnen die Alten wesentliche Teile ihrer Zukunft klauen. So richtig laut ist Baden-Württembergs Grünen-Nachwuchs aber nicht. Denn es steht einfach zu viel auf dem Spiel: erst bei der Bundes-, dann bei der Landtagswahl.

"Wir wollen uns auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren", sagen Tim Bühler und Tamara Stoll im Kontext-Gespräch nicht ohne Grund. Die erst vor wenigen Wochen gewählte Doppelspitze der Grünen Jugend (GJ) in Baden-Württemberg will ausdrücklich keinen Krawall, nicht vor der Bundestags- und erst recht nicht vor der Landtagswahl im März 2026. Immerhin könnte im schlimmsten Fall sogar der Gang in die Opposition drohen, wenn CDU, SPD und FDP eine Landesregierung zimmern. Also lautet das Motto: "Inhaltlich klare Punkte setzen, aber menschlich gut und immer fair miteinander umgehen." Und die eigene Erfahrung nutzen. Als "Regierungsjugend" bezeichnet Bühler den GJ-Landesverband. Die Herausforderungen, die damit einhergehen, seien bekannt und eingeübt und ebenso, wie Regierungsarbeit kritisch begleitet werden könne.

In der Pflicht sehen die beiden – stellvertretend für linke Grüne überhaupt – den neuen Bundesvorstand der Mutterpartei, vor allem die beiden Vorsitzenden Felix Banaszak und Franziska Brantner. Die müssten alle Mitglieder mitnehmen, sagt Stoll, und dürften nicht manchen das Gefühl geben, sie seien irrelevant und hätten keine Wirksamkeit mehr, denn "dann laufen sie uns davon".

Brantner liebäugelt mit Schwarz-Grün

Ausgerechnet Brantner, die als Heidelberger Bundestagsabgeordnete die Südwest-Grünen besonders gut kennt, macht es der Jugend und dem linken Flügel insgesamt aber nicht eben leicht. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) Mitte November in Wiesbaden sorgte schon ihr wenig sensibler Wahlspruch "Make Green great again" für Stirnrunzeln, wegen der Anleihe bei der nationalistischen Parole eines Donald Trump. Am vergangenen Wochenende sorgte sie mit einem "Bild"-Interview schon für mehr als nur ein paar Falten. Auf die Frage "Was können Sie mit Herrn Merz besser als mit Herrn Scholz?" antwortete Brantner: "Frieden, Freiheit in Europa und klar an der Seite der Ukraine stehen." Und sie stimmt zu, dass mit Schwarz-Grün die Ukraine besser zu unterstützen sei.

Kein Wunder, dass Brantner, eine Realissima vom Scheitel bis zur Sohle, jetzt nicht nur im Netz daran erinnert wird, dass der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz kürzlich im Bundestag dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sogar ein Ultimatum stellen wollte: "Wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch Taurus-Marschflugkörper geliefert werden, um die Nachschubwege zu zerstören, die dieses Regime nutzt, um die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu schädigen und zu bombardieren." Auf Brantners Avancen hat Merz übrigens schon reagiert, und zwar – wie sonst? – per "Bild": "In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es sicher mit den Grünen mehr Gemeinsamkeiten als mit der SPD."

Hilfreich für alle, die die Flügel zusammenhalten wollen, sind solche schwarz-grünen Annäherungen nicht. Es sei "nicht ratsam", warnt Tamara Stoll vorsichtig, "Debatten zu führen, ob Scholz oder Merz der bessere Partner mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine wäre". In früheren Zeiten wäre sicher eine Debatte entbrannt. Am kommenden Wochenende treffen sich die baden-württembergischen Grünen in Reutlingen zur Landesdelegiertenkonferenz, um ihre Bundestagskandidat:innen zu nominieren, Cem Özdemir als neuen Hoffnungsträger zu feiern und den einen oder anderen inhaltlichen Antrag zu diskutieren. Wirklich Brisantes ist noch nicht darunter. Unter der Überschrift "Mehr Pragmatismus wagen" wird unter anderem nicht die Abschaffung, sondern eine Reform der Schuldenbremse verlangt.

Zufriedenheit wieder gewachsen

Die Jugend hat sogar auf eigene Initiativen verzichtet. Das Hauptaugenmerk liege darauf, bekennen die Vorsitzenden, dass mit Sarah Heim die eigene GJ-Spitzenkandidatin auf einen aussichtsreichen Listenplatz gewählt wird. Darüber hinaus ist erst einmal Zufriedenheit mit dem auf der BDK Geschafften angesagt. "Was für ein Wochenende", heißt es im Newsletter des neuen GJ-Bundesvorstands, "wir haben uns laut und entschlossen für Menschlichkeit, echten Klimaschutz und eine gerechte Umverteilung stark gemacht, und das mit Erfolg." Asylrechtsverschärfungen seien "jetzt ein klares No-Go in der Beschlusslage", Mindestlöhne für Minderjährige beschlossen und im Verkehrsbereich günstige bundesweite Tickets für junge Menschen. Außerdem solle es keinen weiteren Autobahnausbau geben – "und das sind nur einige Beispiele für die Errungenschaften, die wir an diesem Wochenende erreicht haben", so das vollmundige Resümee des neuen Vorstands.

Der alte Bundesvorstand des Nachwuchses hätte sich damit wohl kaum zufriedengegeben, aber deshalb ist er ja auch im September geschlossen aus der Partei ausgetreten. Begründung: Es brauche wieder eine linke Kraft, die Menschen begeistern und Hoffnung machen könne, die noch nie das Gefühl hatten, dass für sie Politik ebenfalls gemacht werde. "Aber diese Kraft wird die grüne Partei unserer Einschätzung nach nicht mehr werden."

Bühler und Stoll sehen die baden-württembergische Parteijugend als "kritischen linken Verband mit dem Ziel, linke Lösungen durchzusetzen". Aber eben in und nicht außerhalb der Mutterpartei. Eine Zahl spricht für diesen Weg: Allein im November sind 190 neue Mitglieder eingetreten, während es nach den Wahlniederlagen im September keine zwei Dutzend Austritte gegeben habe. "Wir müssen ein Programm erarbeiten, das junge Menschen mitnimmt", sagt Bühler mit Blick auf die beiden anstehenden Wahlen. Gerade im Klimaschutz zeigten sich die Generationen-Unterschiede, findet der 24-Jährige, der in Tübingen Politik und Rhetorik studiert: "Wenn Menschen sich entscheiden müssen zwischen sofortigen Veränderungen, die das tägliche Brot teurer machen, und zukünftigen Risiken, dann gehen zu viele das Hochwasserrisiko ein in der Hoffnung, es komme ohnehin erst in zehn Jahren." Junge Menschen ticken da eben anders als viele ältere – und das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass genau darauf die Politik heute ausgerichtet sein müsse.

Die Klimakrise hat Tamara Stoll einst zu den Grünen gebracht. Ihre Forderung nach einer veränderten Herangehensweise, nämlich "Probleme vom machbaren Lösungsansatz her zu denken", erläutert sie mit einem Perspektivwechsel in der Flüchtlingspolitik. Es müsse viel mehr darüber gesprochen werden, wie die Integration vor Ort möglich gemacht werde und welche Unterstützung auch finanzieller Art notwendig sei, statt über Grenzschließungen zu diskutieren – gerade mit Blick auf die Dauerklage über fehlende Fachkräfte.

Die 26-Jährige, die Nachhaltige Unternehmensführung studiert, lässt dann doch wieder einen der Großkonflikte aufblitzen, der nicht nur die Jugend in den nächsten Monaten begleiten wird. Während sie die Schuldenbremse abgeschafft sehen wolle, behaupte die FDP immer, dass künftige Generationen in diesem Fall auf Schuldenbergen sitzen würden: "Wir sagen, nehmt doch Geld in die Hand, damit künftige Generationen nicht auf der maroden Infrastruktur sitzenbleiben", hält Stoll dem entgegen. Eine Reform sei ein Anfang, die Abschaffung aber "der grundsätzlich richtige Weg". Außerdem verlangt die Grüne Jugend, wieder Vermögens- und Erbschaftssteuern zu erheben und alle Subventionen auf fossile Energien abzuschaffen.

Grüne Jugend hofft auf Özdemir

Vor allem im Landtagswahlkampf wird also der Spagat zwischen Realpolitik und linker Überzeugung gelingen müssen. Und eine Übung, der sich grüner Nachwuchs noch nie zu stellen hatte: Nach dann fast 15 Jahren Winfried Kretschmann werden zwangsläufig und trotz der breiten Kluft, die zwischen ihm und der Partei entstanden ist, Rückblick und Bilanz ganz überwiegend positiv ausfallen müssen. Bühler und Stoll hoffen auf ein "Geben und Nehmen" und darauf, eigene Positionen im Wahlprogramm durchzusetzen. Gerade um der Bewegung außerhalb der Partei die Wirksamkeit jener zu verdeutlichen, die nicht gegangen sind.

Und sie hoffen auf Özdemir. Der hat – anders als Kretschmann – zumindest seit seiner Jugend eine grüne Vergangenheit. "Da werden die Gemeinsamkeiten wieder stärker betont werden", prognostiziert Bühler und bezeichnet sich selber als optimistischen Menschen. Und eines wird Özdemir auf jeden Fall leisten, weil er seine Fertigkeiten auf diesem Gebiet gerne auslebt: Brückenbauen durch Erzählungen aus dem eigenen Leben. Den Kreisverband in Bad Urach hat er jedenfalls einst mitgegründet und daraus gleich praktisches Wissen geschöpft für seine Abschlussprüfung im Gemeinschaftskunde-Unterricht. Mit stolzgeschwellter Brust habe er damals grüne Modelle zur Verhinderung des Berufspolitikertums erläutert und dafür eine glatte Eins bekommen.

Programmatisch werden fast ein halbes Jahrhundert später Unterschiede zur GJ bestehen bleiben. Gemeinsam über Anekdoten zu lachen, kann die Suche nach Kompromissen aber durchaus befördern. "Solche richtig auszuloten, darin sehen wir unsere Verantwortung", sagen Bühler und Stoll. Und daran werden sie gemessen, nicht zuletzt von jenen, die der Partei frustriert über zu viel Entgegenkommen in der Ampelkoalition den Rücken gekehrt haben.

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1 Kommentar verfügbar

  • Werner
    am 06.12.2024
    Antworten
    Ob sich wegducken die richtige Haltung ist, so wie sie von Tamara Stoll und Tim Bühler gegenüber den Parteioberen praktiziert wird, bezweifle ich. Zu konturlos, nichtssagend. Kriegshetzerinnen wie Bärbock und Brantner muss man nicht folgen, schon alleine diese zwei sind ein guter Grund die Grünen…
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