Jedenfalls liefert Throm, ganz sicher ungewollt, einen Beleg dafür, dass die Südwest-CDU noch immer keinen Plan hat, wie sie mit dem Politprofi eigentlich umgehen soll. Und das ist schon seit Jahren so. Der erste persönliche Angriff unter der Gürtellinie im Südwesten stammt noch von Kurzzeit-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) aus dem Wahlkampf 2011, der meinte, mit Özdemir als eigentlichem grünen Strippenzieher hinter Winfried Kretschmann drohen zu müssen. Das Ergebnis ist bekannt und Mappus am Wahlabend Geschichte.
Fünf Jahre später findet die Junge Union es offenbar unwiderstehlich, die plump fremdenfeindliche Idee zu recyceln. Als damaliger Vize beim Parteinachwuchs sorgt Manuel Hagel, heute CDU-Landes- und Fraktionschef, mit dafür, dass in den letzten Wahlkampftagen 2016 zwei Pritschenwagen durchs Land geschickt werden mit Plakaten und dem Spruch "Kretschmann wählen bedeutet Özdemir bekommen. Lassen Sie sich nicht täuschen". Die Südwest-CDU stürzt um zwölf Punkten auf 27 Prozent ab, die Grünen erobern Platz eins.
Ob und was schwarze Strateg:innen aus solchen Erfahrungen lernen wollen, liegt im Dunkeln. Die einen keilen nach Kräften weiter, etwa Nina Warken, CDU-Generalsekretärin im Südwesten: "Unser Land ist zu schade als Trostpreis für Cem Özdemir." Ihr Chef Hagel gibt dagegen eine Linie vor, die zumindest in einer heißen Wahlkampfphase kaum durchzuhaltenden sein wird, eine Art Fairness-Abkommen. "Ich würde Cem Özdemir nie angreifen", sagt er jedenfalls im SWR-Sommerinterview. Und er lässt einen Blick auf das weitere Vorgehen zu. Denn über den eigenen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 – seine Partei geht geschlossen davon aus, dass Hagel selbst zugreift – werde "vermutlich" erst im Frühjahr 2025 entschieden.
Rede unter Polizeischutz
Vermutlich kann es dabei aber nicht bleiben. Kaum vorstellbar, dass der Landesverband, der nach 15 Jahren Kretschmann das drittgrößte Bundesland zurückerobern will, Özdemir mit dem großen Bekanntheitsgrad und den hohen Zufriedenheitswerten wirklich so lange das Feld überlässt. Zumal er es schon jetzt bestellt.
Zum Beispiel im Hohenlohischen, auf der "Muswiese", dem Traditionsjahrmarkt in Rot am See. Rund 2.000 Bäuer:innen füllen auf Einladung von "Bioland" das große Festzelt. Die Stimmung vor Özdemirs Auftritt ist entspannt, aber keineswegs übertrieben zugewandt, eher in Erwartung, was der Hauptredner so zu bieten hat zur Zukunft der heimischen Landwirtschaft, zu Naturschutz oder Tierwohl. Auch hier probiert sich der Spitzenkandidat in spe aus, spricht über die vielen Weltmarktführer in der Region, über Donald Trump, den Wert der Demokratie und den Bauernkrieg vor fünfhundert Jahren.
Seine rhetorischen Fähigkeiten hat der Mehrsprachler (Deutsch, Türkisch, Englisch, Schwäbisch) zigfach bewiesen – und einmal ganz besonders. Vor sechs Jahren, in der Zeit, in der er im Netz mit rechtsradikalen Morddrohungen ("Wir sind am planen, wann wir Sie hinrichten") konfrontiert war, hielt er unter Polizeischutz in Marbach die alljährliche Schiller-Rede, reserviert für herausragende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Schon in den ersten Sekunden hatte er das Publikum in seinen Bann gezogen: "Ich stehe heute Abend nicht als Einzelperson vor Ihnen, sondern als einer von vielen Menschen in diesem Land, bei deren Geburt diese Einladung ungefähr genauso denkbar war wie ein Flug zum Mond." Am Ende war er selber bewegt und unter den Zuhörer:innen gab's Tränen.
Auf der Muswiese hat Özdemir die buntgemischte Besucherschar schnell so weit, dass sie ihm aufmerksam lauscht und immer öfter applaudiert. Zum Beispiel, wenn er "als gelernter Erzieher" davon spricht, dass gutes, regionales Essen in Kitas und Schulen die Grundlage für den Konsum von morgen sei und in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt das Geld dafür vorhanden sein müsse. Am Ende braucht er fast eine halbe Stunde für den Weg aus dem Zelt – viele wollen Kontakt und Selfies. Die Runde macht der aus Berlin importierte Spruch vom "Zauberer von Öz", in Anlehnung an das weltberühmte amerikanische Märchen. Die bekannteste Altbäuerin der Gegend, Luise Wirsching aus Spielberg, greift sich den Minister, um ihm Ratschläge und Wünsche mitzugeben. Er sei "einfach bei sich", sagt sie nachher.
7 Kommentare verfügbar
Werner
vor 1 Woche