Trotzdem erhebt der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende beim Listenparteitag am Samstag im Stuttgarter Haus des Sports einschlägige Vorwürfe gegen die Kanzlerpartei und Olaf Scholz persönlich. Den nennt er charakterlos – "und deshalb muss er raus aus dem Kanzleramt". Der SPD insgesamt bescheinigt Hagel, sie habe "jeden politischen Kompass verloren". Ihr fehle "jeder politische Stil", denn sie habe umgestellt "auf Dirty Campaigning, auf einen möglichst schmutzigen Wahlkampf". Er rückt die angebliche Vorgehensweise von Sozialdemokrat:innen in die Nähe der AfD, prognostiziert "Diffamierung ohne Ende", erregt sich über Fake News und "blanken Hass". Und weiter: "Darauf müssen wir uns einstellen in den nächsten Wochen und Monaten." Gemeint ist offenbar nicht nur der Bundes-, sondern mit der Landtagswahlkampf vor dem Urnengang im übernächsten Frühjahr.
Attacken ohne Belege
Belege für die wüsten Attacken werden nicht mitgeliefert. Aber Belege brauchte auch Nicole Razavi, heute Wohnbauministerin, nicht, als sie zwischen 2011 und 2016, damals noch verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann rund um Stuttgart 21 mehrfach vorwarf zu lügen. Belege brauchten auch schwarze Bildungspolitiker:innen nicht, wenn sie zwischen 2011 und 2016 Grüne und SPD gebetsmühlenhaft verdächtigten, eine "sozialistische Einheitsschule" schaffen zu wollen. Zwei Beispiele von mehreren.
Ab 2016 wuchs mit Grünen und CDU für inzwischen achteinhalb Jahre – und schon allein wegen dieser Dauer erfolgreich – zusammen, was eigentlich nur mühsam zusammengehört. Jetzt gehen alte und neue Gräben wieder auf, die Schaufel in die Hand nimmt in aller Regel die CDU. Noch macht Hagel einen feinen Unterschied zwischen den Bundes- und den Landes-Grünen, Thomas Strobl als Winfried Kretschmanns schwarzer Vize stellt die handwerklich gute Zusammenarbeit im Südwesten in den Vordergrund: "Über Inhalte kann man streiten." Nicht wirklich laut, aber bemerkbar.
Eine Liberale erntet CDU-Applaus
Drei Tage Beratungen des Doppelhaushalts 2025/2026 hat der Landtag gerade hinter sich. Viele Beobachtungen belegen, wie die Stimmung zwischen den Koalitionspartnern schlechter wird, wie in der CDU jene Konjunktur haben, die die Grünen ordentlich bashen. Alena Fink-Trauschel (FDP) aus Ettlingen zum Beispiel. Die jüngste Abgeordnete im Hohen Haus ist bekannt für ihre schneidigen Reden. "Wenn Sie ans Rednerpult treten, warte ich immer auf die Frage: Wo steht das Klavier?", ordnete Kultusministerin Theresia Schopper (Grüne) den Tatendrang der Liberalen kürzlich ein. Da hatte die schon gewaltig gekeilt gegen die Grünen und gegen Kretschmann persönlich. Gelächter, Anerkennung, Bestätigung nicht nur unter Liberalen, sondern auch rechts daneben in den Reihen der CDU, als sie dem Ex-Studienrat bescheinigt, "13 Jahre in Folge sitzengeblieben" zu sein: "Da kenne ich sonst niemand."
Noch besser kommt an, dass sich die muntere 25-Jährige Cem Özdemir vornimmt. Dass das vorübergehend von ihm geführte Bundesbildungsministerium nach einer monatelangen Hängepartie einen Kompromiss mit den Ländern zum "Digitalpakt 2.0" zustande gebracht hat, schmerzt gewaltig. Nicht nur der FDP, die das Haus nach dem Ampel-Aus an den Grünen abtreten musste, sondern auch der CDU in jenem Land, in dem Özdemir Ministerpräsident werden will. Regelrecht beglückwünscht wird Fink-Trauschel von schwarzen Abgeordneten für ihre Einschätzung, dass die Einigung "ein fatales Signal" und in Wirklichkeit für die Länder gar nichts erreicht ist.
Im Gegenzug dringt sogar der Ministerpräsident mit Fakten nicht mehr durch beim Koalitionspartner. In der Generaldebatte zum Etat versucht er, nicht zum ersten Mal, den Vorwurf abzuräumen, die EU habe ein Verbrenner-Verbot verhängt. Das sei "irreführend und sachlich falsch", schreibt er dem Koalitionspartner ins Stammbuch. Beschlossen hingegen sei, dass ab 2035 in der Union nur solche PKW neu zugelassen werden dürfen, "die kein CO2 ausstoßen". Das eine ist, dass CDU-Abgeordnete die Richtigstellung mit steinerner Miene verfolgen. Das andere, unverdrossen immer weiter, das Gegenteil zu verbreiten. Ganz unabhängig sogar davon, dass die Tatsachen durch die EU breit im Netz dokumentiert sind. Auch Hagel begeistert sein Auditorium auf dem Listenparteitag mit dem Versprechen, dass eine von Friedrich Merz geführte Bundesregierung das angebliche Verbrenner-Verbot abschaffen werde.
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Martin Speiser
am 18.12.2024