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CDU Baden-Württemberg

"Diffamierung ohne Ende"

CDU Baden-Württemberg: "Diffamierung ohne Ende"
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Dass CDU-Führungskräfte im Südwesten ihre demokratischen Manieren schon mal vergessen, ist belegt. Gegenwärtig wächst die Bereitschaft, wild um sich zu schlagen. Denn: Mit Bundes- und Landtagswahl stehen Baden-Württemberg 14 Monate Wahlkampf bevor.

Vielleicht ist diese eine wichtige Botschaft einfach nicht angekommen im Team von Manuel Hagel (CDU). Vielleicht wurde sie aber auch geflissentlich überlesen. "Focus online" hatte Mitte November berichtet, die SPD plane "eine Diskreditierungs-Kampagne gegen Friedrich Merz". Wenige Stunden später verschwand die Meldung sang- und klanglos aus dem Netz, kurz darauf wurde das mit "weitere Recherchen" begründet, die in der Redaktion "zu einer neuen Bewertung der Sachlage geführt" hätten.

Wenn die Fetzen fliegen

Für die Landesvertreterversammlung der CDU ist das Haus des Sports dekoriert mit vielen Flaggen im neuen Cadenabbia-Blau, das erinnern soll ans Sommerdomizil von Konrad Adenauer und die großen Anfänge. Schon damals ging es in Wahlkämpfen rabiat zu, vor dem ersten Urnengang 1949 zwischen Adenauer und dem SPD-Spitzenkandidaten Kurt Schumacher um die neue demokratische Ausrichtung Deutschlands, um die Wirtschaftsordnung und die Westeinbindung. "Lügenauer", platzte Schumacher, dem KZ-Überlebenden, irgendwann der Kragen. Die CDU warb mit Slogans wie "Am Scheideweg der Wirtschaft – Aufbau und Arbeit oder Zwangswirtschaft und Bürokratie".

In den 1960ern unterstellten Unionspolitiker Willy Brandt fehlende Nähe zu diesem neuen deutschen Staat, weil der seinen auf der Flucht abgelegten Namen Frahm nicht wieder angenommen hatte und weil er überhaupt in der Zeit des Nationalsozialismus außerhalb Deutschlands war. 1980 flogen ebenfalls die Fetzen so tief, dass Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in einem Wahlwerbespot selbst alle Beschimpfungen seiner SPD durch den CSU-Herausforderer Franz Josef Strauß vortrug: "Chamäleon, Werkzeuge Moskaus, Moskau-Fraktion, Unfähigkeit, Skrupellosigkeit, Größenwahn, Heuchelei, Verantwortungslosigkeit, Kriegskanzler, Kriegsandrohungskanzler, Panikkanzler, reif für die Nervenheilanstalt". Schmidts Resümee: "Dieser Mann hat keine Kontrolle über sich! Und deshalb darf er erst recht keine Kontrolle über unseren Staat bekommen."  (jhw)

Trotzdem erhebt der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende beim Listenparteitag am Samstag im Stuttgarter Haus des Sports einschlägige Vorwürfe gegen die Kanzlerpartei und Olaf Scholz persönlich. Den nennt er charakterlos – "und deshalb muss er raus aus dem Kanzleramt". Der SPD insgesamt bescheinigt Hagel, sie habe "jeden politischen Kompass verloren". Ihr fehle "jeder politische Stil", denn sie habe umgestellt "auf Dirty Campaigning, auf einen möglichst schmutzigen Wahlkampf". Er rückt die angebliche Vorgehensweise von Sozialdemokrat:innen in die Nähe der AfD, prognostiziert "Diffamierung ohne Ende", erregt sich über Fake News und "blanken Hass". Und weiter: "Darauf müssen wir uns einstellen in den nächsten Wochen und Monaten." Gemeint ist offenbar nicht nur der Bundes-, sondern mit der Landtagswahlkampf vor dem Urnengang im übernächsten Frühjahr.

Attacken ohne Belege

Belege für die wüsten Attacken werden nicht mitgeliefert. Aber Belege brauchte auch Nicole Razavi, heute Wohnbauministerin, nicht, als sie zwischen 2011 und 2016, damals noch verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann rund um Stuttgart 21 mehrfach vorwarf zu lügen. Belege brauchten auch schwarze Bildungspolitiker:innen nicht, wenn sie zwischen 2011 und 2016  Grüne und SPD gebetsmühlenhaft verdächtigten, eine "sozialistische Einheitsschule" schaffen zu wollen. Zwei Beispiele von mehreren.

Ab 2016 wuchs mit Grünen und CDU für inzwischen achteinhalb Jahre – und schon allein wegen dieser Dauer erfolgreich – zusammen, was eigentlich nur mühsam zusammengehört. Jetzt gehen alte und neue Gräben wieder auf, die Schaufel in die Hand nimmt in aller Regel die CDU. Noch macht Hagel einen feinen Unterschied zwischen den Bundes- und den Landes-Grünen, Thomas Strobl als Winfried Kretschmanns schwarzer Vize stellt die handwerklich gute Zusammenarbeit im Südwesten in den Vordergrund: "Über Inhalte kann man streiten." Nicht wirklich laut, aber bemerkbar.

Eine Liberale erntet CDU-Applaus

Drei Tage Beratungen des Doppelhaushalts 2025/2026 hat der Landtag gerade hinter sich. Viele Beobachtungen belegen, wie die Stimmung zwischen den Koalitionspartnern schlechter wird, wie in der CDU jene Konjunktur haben, die die Grünen ordentlich bashen. Alena Fink-Trauschel (FDP) aus Ettlingen zum Beispiel. Die jüngste Abgeordnete im Hohen Haus ist bekannt für ihre schneidigen Reden. "Wenn Sie ans Rednerpult treten, warte ich immer auf die Frage: Wo steht das Klavier?", ordnete Kultusministerin Theresia Schopper (Grüne) den Tatendrang der Liberalen kürzlich ein. Da hatte die schon gewaltig gekeilt gegen die Grünen und gegen Kretschmann persönlich. Gelächter, Anerkennung, Bestätigung nicht nur unter Liberalen, sondern auch rechts daneben in den Reihen der CDU, als sie dem Ex-Studienrat bescheinigt, "13 Jahre in Folge sitzengeblieben" zu sein: "Da kenne ich sonst niemand."

Noch besser kommt an, dass sich die muntere 25-Jährige Cem Özdemir vornimmt. Dass das vorübergehend von ihm geführte Bundesbildungsministerium nach einer monatelangen Hängepartie einen Kompromiss mit den Ländern zum "Digitalpakt 2.0" zustande gebracht hat, schmerzt gewaltig. Nicht nur der FDP, die das Haus nach dem Ampel-Aus an den Grünen abtreten musste, sondern auch der CDU in jenem Land, in dem Özdemir Ministerpräsident werden will. Regelrecht beglückwünscht wird Fink-Trauschel von schwarzen Abgeordneten für ihre Einschätzung, dass die Einigung "ein fatales Signal" und in Wirklichkeit für die Länder gar nichts erreicht ist.

Im Gegenzug dringt sogar der Ministerpräsident mit Fakten nicht mehr durch beim Koalitionspartner. In der Generaldebatte zum Etat versucht er, nicht zum ersten Mal, den Vorwurf abzuräumen, die EU habe ein Verbrenner-Verbot verhängt. Das sei "irreführend und sachlich falsch", schreibt er dem Koalitionspartner ins Stammbuch. Beschlossen hingegen sei, dass ab 2035 in der Union nur solche PKW neu zugelassen werden dürfen, "die kein CO2 ausstoßen". Das eine ist, dass CDU-Abgeordnete die Richtigstellung mit steinerner Miene verfolgen. Das andere, unverdrossen immer weiter, das Gegenteil zu verbreiten. Ganz unabhängig sogar davon, dass die Tatsachen durch die EU breit im Netz dokumentiert sind. Auch Hagel begeistert sein Auditorium auf dem Listenparteitag mit dem Versprechen, dass eine von Friedrich Merz geführte Bundesregierung das angebliche Verbrenner-Verbot abschaffen werde.

Servieren, was ankommt

Die Bereitschaft zu servieren, was ankommt, wächst bedenklich. Viele Pointen in der bejubelten 50-Minuten-Rede des Landes- und Fraktionschefs gehen sogar unter in der Begeisterung der Delegierten. Etwa wenn er verbal und mit Kunstpausen über "eine hier aus dem Land" herzieht, eine, die "aus dem Nordschwarzwald" komme, wenn er den Namen Saskia Esken ausspricht und genüsslich wiederholt, als beschreibe er eine Stechmücke, und den SPD-Slogan "Wir kämpfen für Deine Familie" ins Lächerliche zieht. Dabei sind die CDU-Sprüche, auf den vielen Fahnen im Haus des Sports durchaus ebenfalls steigerungsfähig: "Unser Kannzler" steht unter dem Portrait von Friedrich Merz oder, die Übersetzung von VfB als "Versammlung für Besserland".

Die neue Hagel-Wahlkampf-Performance ordnete jedenfalls sogar die "Deutsche Presse-Agentur" (dpa) als "Trümmer-Rhetorik" ein. Der Schmutzkampagne-Berichterstattung nehmen sich mittlerweile Aufklärungsportale an. Mimikama, zum Beispiel, empfiehlt drei Lehren aus dem Fall zu ziehen: "Unbewiesene Behauptungen können im Wahlkampf gezielt eingesetzt werden, um Gegner zu diskreditieren; Journalisten müssen Fakten sorgfältig prüfen, bevor sie reißerische Anschuldigungen veröffentlichen; Plattformen wie TikTok und X können schnell zur Bühne für unkontrollierte Desinformation werden."

"Über Medien" berichtete, dass die SPD nach eigenen Angaben sofort Medienanwalt Christian Schertz eingeschaltet habe, "auf Grund des Anfangsverdachts einer Verleumdung". Und dass "Focus Online" erst eingelenkt habe, nachdem dieser tätig geworden sei. Aber nicht nur. Der Fraktionschef im Bundestag Rolf Mützenich setzte auch Maßstäbe, als sich Merz im Bundestag – zu Recht – beklagte, wie im Netz nicht nur KI-generierte Fake-Videos über ihn kursieren, sondern die von mindestens einem SPD-Abgeordneten aufgegriffen worden sei. Mützenich reagierte sofort, versprach dafür zu sorgen, "wenn das stimmt", dass sich der Abgeordnete entschuldigt. Noch am selben Tag musste Bengt Bergt aus Schleswig-Holstein die Ankündigung in die Tat umsetzen. Baden-Württemberg hätte angesichts zweier Wahlen innerhalb von 13 Monaten verdient, dass das Beispiel Schule macht. Oder, noch viel besser, dass nicht belegbare Verbalinjurien unter Demokrat:innen in ohnehin komplizierten Zeiten unterbleiben – weil sie nicht nur die andere Parteien treffen, sondern das System insgesamt.
 

Hinweis: In der ersten Version des Artikels hieß es, die CDU-Landesgeschäftsstelle habe auf Anfrage nach Belegen für Vorwürfe gegen die SPD nicht geantwortet. Doch offenbar gab es Probleme mit dem Email-Server, die Geschäftstelle konnte demnach nicht antworten. Die entsprechende Passage wurde geändert.

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3 Kommentare verfügbar

  • Martin Speiser
    am 18.12.2024
    Antworten
    Als Beispiel für's Grünen-Bashing aus der CDU eine Abgeordnete der FDP. Oh bitte.
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