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Marode Schulen

Es stinkt

Marode Schulen: Es stinkt
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Fenster klemmen, Putz bröckelt, Möbel sind uralt, Spiel- und Sportgeräte fehlen, von einer energetischen Sanierung ganz zu schweigen: Der Investitionsbedarf an baden-württembergischen Schulen ist immens. Wenn der Zustand von Toiletten die Wertschätzung spiegelt, dann gute Nacht.

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Spätestens seitdem der Landtag vor zehn Jahren zum Gipfel "Kinder reden – Politik hört zu" geladen hat, liegen konkrete Wünsche und Forderungen auf dem Tisch. Viele der Kinder und Jugendlichen sind mittlerweile längst an der Uni oder im Beruf. Und ihre Forderungen verstauben im Archiv. Dabei hatte der Gastgeber, der damalige Landtagspräsident Guido Wolf (CDU), versprochen, Wünsche und Ideen ernst zu nehmen. Besonders die ganz oben auf der Liste beim Thema Ausstattung: Verbesserung der Toilettensituation, der Sauberkeit und der Rückzugsmöglichkeiten, etwa in gemütliche Ecken, um sich in kleinen Gruppen Unterrichtsinhalte zu erarbeiten oder zu entspannen.

Ernstnehmen ist ein dehnbarer Begriff, denn geändert hat sich viel zu wenig. Das Kinderhilfswerk hat zum Ende des vergangenen Schuljahres den aktuellen Kinderrechts-Index veröffentlicht und dazu jedes Bundesland ausgewertet. Kinder und Jugendliche bewerteten Pausenräume oder den Schulhof. Wieder ist nur die Hälfte von ihnen nach der repräsentativen Umfrage des Münchener Sozial- und Politikforschungsinstituts Verian mit dem Zustand der Toiletten zufrieden. Der steht nach den Erfahrungen von Katrin Steinhülb-Joos (SPD) "leider für die marode Situation insgesamt". Und sinnbildlich für die Anerkennung und die Achtung, die Schüler:innen und Lehrkräften entgegengebracht werden, für die Fähigkeit, gemeinsam Schwachstellen zu definieren und zu beseitigen, und dafür, wie Vandalismus blüht und gedeiht, wenn solche Einrichtungen als mangelhaft wahrgenommen werden.

Die SPD-Politikerin und ehemalige Schulleiterin der Stuttgarter Altenburgschule erinnert sich an einen Jungen, der in seiner Verzweiflung über Gestank und Schmutz lieber in den dunklen Keller ging statt in eine der Toiletten. Ausstattung und Situationen in vielen Schulen beschreibt sie als "bejammerungswürdig". "Und das hat gerade pädagogisch weitreichende Konsequenzen", so die Stuttgarter Landtagsabgeordnete, "weil Kinder einfach nicht gern in die Schule gehen, wenn sie sich dort nicht wohlfühlen."

Die Landeshauptstadt steht einerseits beispielhaft für den seit Jahrzehnten bestehenden Sanierungsstau und andererseits dafür, wie kompliziert ein Umsteuern ist. Schon 2010 wurde ein Sanierungsprogramm für Schulen mit einem Volumen von inzwischen knapp 800 Millionen Euro beschlossen, weil ein großer Teil der Gebäude aus den Sechziger- und Siebziger-Jahren stammt und "mittlerweile in erheblichem Maße sanierungsbedürftig ist". Viel Geld fließt in die digitale Ausstattung, aber auch in bauliche Einzelmaßnahmen: in einen Campus in Feuerbach, in den Neubau und die Interimsunterbringung des Geschwister‐Scholl‐Gymnasiums in Sillenbuch, in eine Mensa in Stammheim, eine Sporthalle an der Heilbronner Straße. Gemeinschaftsschule und Gymnasium an der Schickhardtstraße müssen generalsaniert werden, die denkmalgeschützte Altenburg-Schule wird renoviert und mit einem Holzanbau ergänzt. Ausgereifte Pläne lägen durchaus vor, weiß die SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat Jasmin Meergans. Jedoch müsse alles darangesetzt werden, "mehr Verwaltungspersonal zu gewinnen, damit Sanierungen schneller auf den Weg gebracht werden können".

Fehlende Förderung für Nachahmer:innen

Beispiele dafür, wie es gelingen kann, gibt es übers ganze Land verteilt, von Külsheim im Main-Tauber-Kreis bis nach Wutöschingen am südöstlichen Rand des Schwarzwalds. In Külsheim versteht sich die Pater-Alois-Grimm-Schule als "Haus des Lernens" und kann seit mehr als zehn Jahren auf moderne Ausstattung und Pädagogik verweisen, auch weil der Gemeinderat den Schulumbau einem neuen Feuerwehrhaus bevorzugte: Ganztag, Hausaufgabenbetreuung, Spiel und Sport, individuelle Förderung und digitale Ausstattung. Die Lehrkräfte verstehen sich als Lernbegleiter und ließen sich davon selbst durch die Verunglimpfung durch CDU- und FDP-Bildungspolitiker:innen, vor allem als Grün-Rot zwischen 2011 und 2016 regierte, nicht abbringen. Die Alemannenschule in Wutöschingen, mehrfach ausgezeichnet, verrät ihr "Geheimnis des Erfolgs" im Leitbild und zitiert unter anderem den renommierten italienischen Frühpädagogen Loris Malaguzzi, der schon in den Sechziger-Jahren mit seinen Thesen unter anderem zur Inklusion für Furore sorgte: "Der Raum ist der Dritte Pädagoge."

Eine auskömmliche Förderung hätte dafür sorgen können, dass sich zügig Nachahmer:innen finden, unabhängig von Schulart und Struktur des Schulsystems. Gegenwärtig stehen im Jahr rund 100 Millionen aus dem Landesetat zur Verfügung. Für viele Parteien ist es eines von vielen Themen, das regelmäßig vergessen wird, sobald sie regieren. Und die Opposition will nichts wissen von Versäumnissen aus vergangenen Regierungszeiten. Seit den Achtzigern und der Ära des Kultusministers Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) werden Mittel mal zurück- und dann wieder hochgefahren. Nach dem Machtwechsel 2011 zu Grünen und SPD wusste der FDP-Bildungsexperte Timm Kern in einer Zwischenbilanz ganz genau, dass es "eine Schieflage im System gibt" und dass "wir unseren Kindern, aber auch ihren Lehrern gepflegte Schulgebäude schuldig sind". Kein Wort davon, dass die Liberalen zwischen 1996 und 2011 in der Regierung saßen, dass mit Walter Döring und Ernst Pfister (beide FDP) zwei frühere Lehrer das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten bekleideten.

Zugleich kollidierten allerdings Grüne und Sozialdemokraten ebenfalls mit der Realität. Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) führte zwar den schönen Begriff der impliziten Schulden ein, mit dem der riesige Sanierungsstau umfasst ist. Aber flächendeckend wurden keine notwendigen Konsequenzen gezogen, gerade als die Steuereinnahmen sprudelten. Gebetsmühlenartig kann Norbert Brugger, Bildungsreferent des Städtetags, seit Jahren die Einzelheiten der "Mammutaufgabe" aufzählen: undichte Fenster und Dächer, veraltete Elektrik und Heizsysteme und natürlich die unmöglichen Verhältnisse auf den Klos.

Angesichts der vielen Zeit, die Kinder und Jugendliche darin verbringen, erklärt Lorenz Springmann, stellvertretender Vorsitzender des Landesschülerbeirats, Schulen zu Lebensorten. Qualität und Zustand dieser Orte trügen entscheidend zum Lernerfolg bei. Rund 15.000 (!) Stunden sind in der Schule zu absolvieren bis zur mittleren Reife – ohne Ehrenrunde. 

Toiletten als pädagogischen Ort begreifen

Schon die fünf, sechs oder acht Stunden pro Tag können große Probleme bereiten, wie Krebsforscher und Autor Dietrich Grönemeyer kürzlich beim "Schultoilettengipfel" in Berlin verkündete, weil "das Zurückhalten" immer größere Schwierigkeiten bereite: Kinder mieden das WC und riskierten so Harnwegsinfekte oder Darmentzündungen, "von der Konzentration auf den Unterricht ganz zu schweigen". In der Sammlung der Beratungsergebnisse des eintägigen Treffens wird der ganz große Bogen geschlagen: "Toiletten sollten als pädagogischer Ort begriffen werden – auch zur Demokratieförderung." Spätestens wenn Vandalismus aufkommt, werde deutlich, dass die Schultoilette nicht allein baulich und infrastrukturell zu betrachten sei.  

Regelmäßig findet sogar ein Wettbewerb statt unter dem Motto: "Toiletten machen Schule". Ausgezeichnet wurde zuletzt unter anderem die Grundschule an der Stielerstraße in der Münchener Ludwigsvorstadt. Denn sie habe, so die Jury, "eine sehr empathische und tiefgehende Problemanalyse durchgeführt". Schüler:innen können in Listen Beschädigungen und Probleme melden, jede Woche bewerten alle Klassen den Zustand mit Ampelfarben. Besonders im Fokus lägen die Ausstattung, der damit einhergehende Wohlfühlfaktor, und wie die gesamte Schulgemeinschaft einbezogen sei. Andere Gewinnerschulen heben die Atmosphäre nicht nur mit Sauberkeit und guter Luft, sondern mit Farbspielen, Diskokugeln und Musik. "Hier will jetzt jeder sitzenbleiben", titelte die Münchener tz.

Auf dem Kindergipfel vor zehn Jahren im baden-württembergischen Landtag wurde den Teilnehmenden übrigens folgender Satz zur Komplettierung angeboten: "Wenn ich MinisterpräsidentIn von Baden-Württemberg wäre, dann würde ich dafür sorgen, …". Die Renovierung der Toiletten war nur eine der vielen Antworten. Weitere Wünsche: Mehr Bäume pflanzen, mehr Müll trennen, mehr WLAN, mehr Laptops, mehr Geld für arme Leute oder weniger Tiere zu schlachten. Und: "… dass Flüchtlinge akzeptiert werden", "dass die Flüchtlinge zum Arzt, zur Arbeit, zur Schule gehen dürfen", "dass es mehr Geld für Asylbewerberheime und Deutschkurse gibt". Ein denkwürdiges Stimmungsbild unter damals 9- bis 14-Jährigen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Oktarine
    vor 2 Tagen
    Antworten
    Die Lösung wäre einfach, Bildung als Bundesaufgabe, von Kita, bis Berufsausbildung, einschließlich Uni, kontrolliert von einer unabhängigen Behörde, mit einheitlichen Standards und einheitlicher Finanzierung.

    Das geht aber nicht, denn es gibt ja politische Ämter, es gibt Posten, und es gilt, die…
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