Ein Jahr Bürokratie
Nach vier Monaten Coaching und Sprachkurs in Aachen und Interviews in gebrochenem Deutsch fand Nada Soueidi eine passende Stelle in einem Bauunternehmen in Stuttgart. Am 4. Juli 2022 unterschrieb sie den Arbeitsvertrag. Die Familie sollte im Libanon bei der deutschen Botschaft ein Visum für den Familiennachzug beantragen und wenige Monate später umziehen. Die Genehmigung des Visums sollte jedoch von Stuttgart kommen, weil die Mutter dort ihren Hauptwohnsitz hat. Von August 2022 bis Ende Januar 2023 musste die Familie zunächst auf einen Termin an der deutschen Botschaft warten. Nach der Antragstellung in Beirut lag die Akte dann über sechs Monate bei der Ausländerbehörde in Stuttgart. Erst im August 2023 erhielt die Familie endlich einen positiven Anruf von der Botschaft: Das Visum sei abholbereit. Nada Soueidi war nach sechs Monaten Ungewissheit in eine Depression gefallen.
Wenn sie von dieser Zeit erzählt, kommen ihr die Tränen. Sie verbrachte die Abende am Telefon mit ihrem achtjährigen Sohn und erzählte ihm Geschichten, bis er einschlief. Auf die Frage ihrer Söhne "Wann kommen wir zu dir?" konnte sie keine Antwort geben. Von der Ausländerbehörde erhielt sie nur wenige E-Mails mit der Bitte um Geduld aufgrund von Personalmangel. In ihrer Hilflosigkeit schrieb sie 20 E-Mails an die Ausländerbehörde, den Oberbürgermeister, die evangelische Kirche und zwei Rechtsanwälte. Die Antwort war überall dieselbe: "Wir können nichts machen."
Die gesamte Familie leidet
"Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht gekommen", sagt sie, wenn sie die Folgen der Trennung für ihre Familie betrachtet. Sie vergleicht sich mit anderen Kolleg:innen aus dem Programm, die es in anderen Städten in Deutschland viel einfacher mit der Ausländerbehörde hatten. Die Schuldgefühle der Mutter sind deutlich spürbar. Es war für die zwei Jungs in der Pubertät nicht einfach, anderthalb Jahre ohne ihre Mutter zu leben.
Soueidi wollte ihren Kindern eine bessere Kindheit ermöglichen als die, die sie selbst im Krieg im Libanon erlebt hat. Ihr Mann hatte akzeptiert, seine Karriere als Verkäufer in der Stahlindustrie aufzugeben, in der Hoffnung, in Deutschland eine Selbstständigkeit aufzubauen. Bislang hat er jedoch ohne Netzwerk keinen Weg gefunden. Die Integration in der Schule war für die beiden Kinder Nicolas (14) und Karl (10) schwer. Wenn es mit der Schule mal Schwierigkeiten gibt, fragt die Mutter sich, ob es einfacher für ihre Jungs geworden wäre, Deutsch zu lernen, wenn sie früher hätten kommen dürfen.
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