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Moorschutz, Klimaschutz

Sumpf ist Trumpf

Moorschutz, Klimaschutz: Sumpf ist Trumpf
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Wie umfangreich soll das Wiedervernässen und Renaturieren von Mooren ausfallen? Darüber sind sich Visionärinnen und Praktiker im Land nicht einig. Auf Tour mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Federseeried, dem größten Moor Südwestdeutschlands.

Ihr Nutzen ist unbestritten. Moore gehören zu den effektivsten Kohlenstoffsenken. Die Krux ist nur, dass Experten zufolge mehr als 90 Prozent der Moorflächen in Deutschland im Laufe der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte trockengelegt worden sind. Torf war früher ein beliebtes Heizmaterial und ist heute oft noch günstiger Zusatz in Gartenerde. Doch mittlerweile sind Moore in den Fokus von Natur- und Umweltschutz gerückt, auch in Baden-Württemberg. Zwar machen Moore nur zwei Prozent der Landesfläche aus, aber die bereits entwässerten Flächen sind immerhin verantwortlich für 7,5 Prozent der Treibhausgasemissionen. Das ist keine geringe Menge, wenn man bedenkt, dass der Pkw-Verkehr für elf Prozent verantwortlich ist.

Moore speichern laut Mooratlas 2023 bis zu sechsmal mehr Kohlenstoff je Hektar als vergleichbar große Wälder. Auch kleine Flächen machen einen Unterschied in der Klimabilanz. Deshalb ist im baden-württembergischen Umweltministerium die für den Moorschutz zuständige Abteilung aufgestockt worden. Darüber hinaus soll im Bereich, in dem die meisten Moore im Land liegen, ein weiteres Biosphärengebiet entstehen, in dessen Zentrum landwirtschaftliche Nutzung nur eingeschränkt möglich ist. Es würde Gebiete der Landkreise Ravensburg, Biberach und Sigmaringen umfassen. Offenbar gibt es in den Gesprächen des Umweltministeriums mit unterschiedlichen Gruppen vor Ort Fortschritte.

Unbestritten ist die Notwendigkeit, Moore zu schützen. Weil diese neben dem Klimaschutz auch für den Erhalt der Artenvielfalt großen Nutzen haben und durch ihre Schwammfunktion dem Hochwasserschutz dienen, haben die drei Ministerien für Ländlichen Raum, Umwelt und Finanzen eine Arbeitsgemeinschaft Moorschutz ins Leben gerufen. Auf seiner Sommertour hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann im nördlichen Federseeried zeigen lassen, wie Moorlandschaften gepflegt werden. Landwirt Günter Scheffold zum Beispiel erhält vom Regierungspräsidium Aufträge zur Pflege der landeseigenen Moorflächen. Weil es keine technischen Lösungen gibt, hat der leidenschaftliche Tüftler seinen Maschinenpark selbst für den Einsatz in den feuchten Flächen umgerüstet, um mit den schweren Geräten nicht einzusinken.

"Das macht ihm auch Spaß", sagt seine Frau. Für die Schilfmahd hat Scheffold einen Bagger mit Holzketten und Balkenmäher ausgestattet. Das Mähgut legt er auf eine Matte, die er bodenschonend hinter dem Bagger herzieht. Mit nur einer Fahrspur lässt sich so ein Arbeitsbereich von 15 Metern abdecken. Für die Bewirtschaftung erhält Scheffold zwischen 330 und 470 Euro pro Hektar im Jahr. Für ihn ist das ein zweites finanzielles Standbein neben der Schweinemast. Sein Kollege Andreas Stark nutzt mit seinem Vater das Moor probeweise als Weide für seine Wasserbüffel. Die Tiere müssen ständig beaufsichtigt werden, weil sie sich an manchen Stellen nicht selbst aus dem morastigen Untergrund befreien können. Für den Aufwand seien die Fördersätze zu gering, kritisieren die Landwirte. Beim Mähen würden sie mehr Geld erhalten.

Die Mahd des Schilfrohrs dient als Viehfutter, Einstreu oder zur Kompostierung. Scheffold mahnt eine bessere Verwertung an, "wenn wir Moorflächen für den Klimaschutz erhalten wollen". Schließlich muss sich der Einsatz für die Landwirte auch auszahlen. Geforscht werde gerade intensiv daran, wie die Rohrkolben industriell als Kunststoffersatz verarbeitet werden können, betont der Ministerpräsident. Das nördliche Federseeried bildet mit 30 Quadratkilometern das größte Moor Südwestdeutschlands. "Um diese Lebensräume für seltene Arten wie Bodenbrüter oder seltene Pflanzen zu erhalten, ist eine Mahd zwingend erforderlich ", erklärt Judith Engelke vom Regierungspräsidium Tübingen. Sonst würde das Gebiet verbuschen.

Moorschutz wird populär

Das Land kauf in großem Stil Flächen für den Moorschutz. Von den 113 Hektar Land, die Baden-Württemberg im Jahr 2023 aus Natur- und Klimaschutzgründen erwarb, waren 36 Hektar Moore. 3,2 Millionen Euro wurden für den Ankauf von Naturschutzflächen vergangenes Jahr ausgegeben. Auch die Landsiedlung, eine landeseigene GmbH, soll jetzt in den Erwerb entsprechender Flächen einsteigen. Moorschutz ist populär geworden. Das freut die Verantwortlichen im Umweltministerium. Mercedes Benz zum Beispiel hat fünf Millionen Euro dafür bereitgestellt. Auch der VfB will offenbar mitmachen. Die Bodensee-Stiftung engagiert sich für Torfersatz. Und der Landkreis Biberach würde gern mehr tun.

Die Nutzung von Mooren steckt noch in den Kinderschuhen. Es erstaunt zumindest, dass die Universität Hohenheim mit ihrer großen landwirtschaftlichen Expertise auf das Moorzentrum in Greifswald verweist, das in Sachen Paludikultur bundesweit führend ist. Dort heißt es auch nur vage, dass "dies die land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore" ist. Traditionelles Beispiel dafür sei der Anbau von Schilf für Dachreet. Als "neue innovative und nachhaltige Nutzungen" werden "die energetische Verwertung von Niedermoor-Biomasse, die Nutzung von Röhrichten für neue Baustoffe oder die Kultivierung von Torfmoosen als Torfersatz" genannt.

"Paludikultur fördert Biodiversität und weitere Ökosystemdienstleistungen von Mooren. Sie bietet Perspektiven für Landwirtschaft und Tourismus", heißt es weiter. Deshalb wird Karl-Heinz Lieber vom Umweltministerium nicht müde, Scheffold und Stark als Pioniere zu loben und als Vorbilder in Sachen Moorschutz. Er macht den Landwirten ein "Riesenkompliment". Schließlich gibt er ein äußerst ambitioniertes Ziel aus, damit das Land seine Klimaziele erreicht. Insgesamt 43.000 Hektar entwässertes Moor sollen in den nächsten 35 Jahren wiedervernässt werden. Solange es noch Torfboden von über 30 Zentimeter hat, wird ein Moor immer noch als solches bezeichnet – auch wenn es seine natürlichen Funktionen verloren hat.

Milch gegen Moor

Doch dagegen regt sich Kritik. Der CDU-Landtagsabgeordnete Raimund Haser aus Kißlegg setzt sich zwar selbst gemeinsam mit dem Bund Naturschutz Oberschwaben für den Schutz von Mooren ein, sieht sich aber selbst als Praktiker und Realist. Haser hält die gegenwärtige Grünlandwirtschaft für ausreichend zum Schutz von Moorböden und beruft sich auf Einschätzungen unter anderem durch die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg.

Nach Angaben des Umweltministeriums gibt es in Baden-Württemberg aktuell rund 22.000 Hektar Grünland und 2.000 Hektar Acker. Betroffen von der Wiedervernässung wären laut Haser fast ausnahmslos Flächen, "die für die Milchwirtschaft in den Grünlandregionen – mit entsprechendem Wertstoffkreislauf auf Basis natürlichen Düngers (Gülle) – genutzt werden. Diese Flächen befinden sich fast ausschließlich in Privatbesitz und werden von biologischen und konventionellen Milchviehbetrieben zur Futterproduktion genutzt". Er verweist auf den Landkreis Ravensburg. In den Grünlandstandorten dort werde immerhin ein Fünftel der Milch Baden-Württembergs erzeugt. "Die Betriebe sind auf die Bewirtschaftung der Flächen angewiesen. Dementsprechend wird jede flächenwirksame Diskussion – auch die Biosphäre – sehr kritisch gesehen. Und dementsprechend schwierig ist der Landerwerb".

Haser lehnt, wie offenbar das Landwirtschaftsministerium, weiter gefasste Definitionen von Moorböden ab und will sich auf die erfolgreichen Wiedervernässungsprojekte konzentrieren. Das seien zumeist nicht bewirtschaftete Moore, die einst zur Torfgewinnung entwässert und nun wiedervernässt und wiederbelebt werden wie Bad Wurzach, Isny, Federsee, Gründleried, Adelegg. Damit gebe es im Land ohnehin genug zu tun. Der CDU-Mann plädiert für das Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft. Dieses funktioniere seit den 1950er-Jahren einwandfrei, sagt er. Als gelungenes Beispiel für Moorschutz erwähnt er das Projekt "Naturvielfalt Westallgäu" des Naturschutzbundes (Nabu). "Dort werden mit Land- und Forstwirten und Hand in Hand mit den Eigentümern große, wertvolle Flächen wiedervernässt werden. Mit Geld für den Landkauf, ohne das man nicht weiterkommt", so Haser.

Abgesenkte Böden, hochgesteckte Ziele

Das Projekt "Naturvielfalt Westallgäu" ist einer von 30 Hotspots der biologischen Vielfalt in Deutschland, in einem Gebiet, das über eine besonders hohe Dichte und Vielfalt charakteristischer Arten und Lebensräume verfügt. Die Projektregion umfasst eine Fläche von rund 800 Quadratkilometern und liegt zwischen Bad Wurzach, Isny und Wangen. Dass die Wiedervernässung ein mühevolles Unterfangen ist und viel Überzeugungsarbeit braucht bei Gesprächen mit den Landeigentümern, haben Jan Bolender und Siegfried Kehl vom Nabu zur Genüge erfahren. Aber die Arbeit zahlt sich ihrer Erfahrung nach Schritt für Schritt aus. Auch private Eigentümer seien bereit, sich am Moorschutz zu beteiligen. Anders als Haser sind sie der Meinung, dass in der Grünlandwirtschaft auch nach alternativen Nutzungsformen gesucht werden muss. Die im Land weit verbreitete intensive Bewirtschaftung von entwässerten Moorböden verursacht in der Regel hohe Emissionen und führe zu einer Absenkung des Bodens, was eine langfristige und nachhaltige Nutzung erschwert. Eine dauerhafte Lösung könne nur in Zusammenarbeit von Naturschutz, Landwirtschaft und Wissenschaft gefunden werden.

Gegen Visionen haben die Nabu-Mitarbeiter grundsätzlich nichts einzuwenden. Da aber die vom Umweltministerium anvisierten Flächen zumeist in Privatbesitz sind, halten auch sie das Ziel von 43.000 Hektar Wiedervernässung für nur sehr schwer umsetzbar. Das weiß auch Karl-Heinz Lieber vom Umweltministerium, der davon spricht, dass sich Moorschutz lohnen müsse und dafür Wirtschaftsmodelle entwickelt werden müssten. Er weiß, dass die Bemühen enorm gesteigert werden müssen. Denn laut Umweltministerium wurden in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg gerade einmal etwa 640 Hektar Moorfläche wiedervernässt.

Da stellt sich die Frage, ob es bei einer solchen Diskrepanz legitim ist, in der Klimabilanz des Landes mit einer eher unrealistisch großen Fläche zu rechnen. Aber dass dringend mehr für die Moore getan werden sollte, betont auch der Nabu, der in der Paludikultur eine große Chance sieht. Baden-Württemberg könnte sich dabei an anderen Bundesländern orientieren, wie etwa Bayern, wo man in einigen Bereichen bereits weiter fortgeschritten ist.


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1 Kommentar verfügbar

  • Horst Tremp
    vor 6 Tagen
    Antworten
    Liebes Kontext-Team,
    danke für den Artikel mit dem Titel „Sumpf ist Trumpf“ vom 02.10.2024.
    Im Kontext steht, wie auch in der Neuen Züricher Zeitung (2022), dem Spiegel (2024) und an unzähligen anderen Stellen, „Moore speichern (…) bis zu sechsmal mehr Kohlenstoff je Hektar als vergleichbar große…
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