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Einwanderung ausländischer Ärzt:innen

Dialekt gegen Fachkräfte

Einwanderung ausländischer Ärzt:innen: Dialekt gegen Fachkräfte
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Vor zwei Jahren kam Marco Marrero aus Venezuela nach Baden-Württemberg, um hier als Arzt zu arbeiten. Das Regierungspräsidium braucht ewig, um ausländische Abschlüsse anzuerkennen. Derweil sind über 1.000 Arztsitze unbesetzt.

Vier Monate nach dem Besuch in der Kontext-Redaktion und lediglich einen halben Schritt weiter: Marco Marrero sitzt immer noch ohne Approbation in der Wohnung seines Bruders in Ellwangen. Der 31-jährige Arzt aus Venezuela wartet mittlerweile seit über einem Jahr auf die Anerkennung seines Abschlusses, um in Baden-Württemberg arbeiten zu dürfen. Seit August hat sich bei ihm wenig getan.

Im Dezember 2022 hatte er die Unterlagen für die Anerkennung seines Abschlusses beim Regierungspräsidium Stuttgart eingereicht. Nachdem diese vom Referat 95 auf Vollständigkeit überprüft waren, durfte er im Dezember 2023 endlich zur Fachsprachenprüfung antreten – ist aber durchgefallen, seiner Ansicht nach, weil der Prüfer breit schwäbisch sprach. Im März kann er es wieder versuchen, falls er dann besteht, geht es weiter mit einer mündlichen Kenntnisprüfung oder einem Gutachten.

Der Ablauf ist kompliziert und gilt für jede:n Mediziner:in mit ausländischem Abschluss. Für Menschen aus Drittstaaten – also alle Staaten, die nicht EU, Norwegen, Liechtenstein, Island oder die Schweiz sind – gestaltet er sich besonders kompliziert, denn: Jeder Abschluss wird einzeln überprüft, ob er dem deutschen Medizinstudium gleichwertig ist. Und das Ganze dauert in Baden-Württemberg bis zu zwei Jahre. Kein Wunder bei derzeit 1.982 laufenden Approbationsverfahren und 389 Berufserlaubnis-Verfahren von Ärzt:innen aus Drittstaaten. Zuständig dafür sind – unverändert seit August – zehn Beamt:innen.

Ausgabe 648, 30.08.2023

Vom ewigen Warten

Von Franziska Mayr

Während Gemeinden und Krankenhäuser händeringend Ärzt:innen suchen, warten in Baden-Württemberg aktuell 3.000 ausländische Mediziner:innen darauf, ihren Job machen zu dürfen. Aufgehalten werden sie von einer beeindruckend komplizierten Bürokratie.

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Auch eine Umstrukturierung des Regierungspräsidiums im Herbst, durch die aus dem bisherigen Referat 95 zwei getrennte Referate (95.1 für Anträge von inländischen Abschlüssen und 95.2 für solche aus dem Ausland) entstanden, hat daran nichts geändert. Ab 2023 soll es immerhin mehr personelle Unterstützung geben: Drei Kolleg:innen aus dem Sozialministerium werden aushelfen, genauso wie acht bereits pensionierte Beamt:innen in Teilzeit, teilt das Regierungspräsidium auf Kontext-Anfrage mit. Auch den vielen unvollständig eingereichten Unterlagen und damit verzögernden Prozessen, die das Präsidium immer wieder beklagte, wirke man mit besseren Informationen in mehreren Sprachen und Informationsveranstaltungen entgegen. Mit Erfolg: Waren laut Regierungspräsidium vor einigen Monaten noch in über 90 Prozent der Fälle die Unterlagen unvollständig, seien es nun rund 60 Prozent.

Wie erfolgreich die von Justiz- und Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) im Sommer angekündigte Zentrale Ausländerbehörde sein wird, zeigt sich, sobald es sie gibt – wann es so weit ist, ist derzeit "Gegenstand intensiver Verhandlungen", sagt der Regierungsdirektor des Ministeriums Thomas Oeben. "Es ist angedacht für 2024." Mindestens 30 Mitarbeitende sind vorgesehen, unter anderem um Arbeitseinwanderungsanträge schneller zu bearbeiten.

Das wäre dringend nötig, die Zahlen sprechen für sich: Über 1.000 Arztsitze in Baden-Württemberg sind nicht besetzt und von rund 7.000 Hausärzt:innen sind fast 40 Prozent mindestens 60 Jahre alt. Auch Marrero ist seinem Ziel, eine dieser Leerstellen zu füllen, wenig nähergekommen.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat seine Jobzusage zurückgezogen, weil Marrero bis zum 24. Oktober keinen gültigen Aufenthaltstitel samt Arbeitserlaubnis vorweisen konnte. Seit dem 30. Oktober hat er einen Aufenthaltstitel, der es ihm erlaubt, sein Anerkennungsverfahren abzuwarten. Damit hat er aber keine gültige Aufenthaltskarte, krankenversichert ist er auch weiterhin nicht. Er fühle sich "immer noch wie ein illegaler Einwanderer", schreibt Marrero an Kontext. Bis sich daran etwas ändert, macht er einen Zehn-Stunden-Minijob in einem Altenpflegeheim in Ellwangen, weil sie dort "so dringend Personal benötigen", schreibt der 31-Jährige.

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4 Kommentare verfügbar

  • Reinhard Gunst
    am 28.12.2023
    Antworten
    Diese zögerliche, im Schneckentempo erfolgende Zulassung, ist wirklich nicht als Böswilligkeit der Behörde zu sehen, sondern als Strategie, das Preisgefüge zu bewahren. Verknappung ist auch eine raffinierte Marketingstrategie im Modehandel, die die Attraktivität des Produktes steigert und hilft,…
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