Das Böse im Auge, wehrte sich der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) in seiner Weihnachtsansprache mit Mut machender Courage und fundierter Kenntnis der Weltlage gegen die faschistische Bedrohung, die inzwischen auch bei Abstimmungen im Gemeinderat zu spüren ist: Er forderte ein "Fest des Friedens". Dieser Mann ist ein demokratischer Wellenbrecher. Da schnappt sogar die Luftschlange nach Luft.
Unterdessen soll niemand denken, mir ginge der Atem aus, weil ich mich angesichts der rechten Welle und der feigen Abtaucher in der Politik der ultimativen Hoffnungslosigkeit hingebe. Glück, sage ich mir, ist so schwer definierbar wie Demokratie – und womöglich taugt die Hoffnungslosigkeit am Ende als unterste Stufe auf dem Weg zur Zuversicht.
Dank an den Tröster der Desperados
Drei Wochen vor Weihnachten, am 3. Dezember, als mein mentaler Exitus nahte, verlor ich ausgerechnet auf dem Weg vom Gewerkschaftshaus zum Bauernministerium meinen Geldbeutel. Eine kleine, umfunktionierte Schlüsseltasche mit allem drin, was der Mensch zum Überleben in einer Demokratie braucht. Personalausweis, Bankkarte, Stehplatz-Dauerkarte für den B-Block der Stuttgarter Kickers.
Verdammte Scheiße, sagte ich mir, jetzt bist du erledigt. Elender dran als der Hauptmann von Köpenick. Du wirst in der ganzen Stadt kein einziges Passamt finden, das du stürmen kannst. Die Schlangen davor sind zu lang. Mein erster Versuch, in ein abgelegenes Bürgerbüro in Sillenbuch vorzudringen, scheitert kläglich. Überfüllt. Wenige Tage später nehme ich morgens Möhringen in Angriff. Das Amt öffnet um halb neun, um acht bin ich zur Stelle. Die Schlange ist zwar nicht Luft für mich, trotz meiner Kurzsichtigkeit aber scheint sie überschaubar. Und die Wartenden werden überaus zuvorkommend von einem Security-Mann informiert, was sie erwartet. Respekt.
Irgendwann lande ich im Gebäude auf einem Stuhl mit Sicht auf die Nummer, die ich bin. Später stehe ich am Tresen einer jungen Frau, die so freundlich zu mir ist, dass ich Hemmungen habe, sie wegen meines blöden Passes zu belästigen. Als ich dennoch beginne, ein Formular auszufüllen, schaut sie von ihrem Bildschirm auf und sagt lächelnd: Ihr Pass wurde gefunden, sie können ihn im Bürgerbüro Mitte abholen, ich rufe dort an.
Mir wird schwindlig. Es scheint, als verlöre ich meinen gefestigten Satansglauben an die ganze gottverdammte Menschheit, die nichts taugt. Nach einer feierlichen Dankesrede eile ich zurück ins Tal, stürme ungehindert das Bürgerbüro Mitte – und erhalte meinen Pass. Allerdings fehlt der Beutel. Der restliche Kram, sagt man mir, befinde sich im Fundbüro. Ich bin schneller dort als der Wind, den du machst, um in eine Luftschlange zu blasen. Und es ist unfassbar: alles da. Sämtliche Karten. Bargeld. Das ganze Leben. Leider hat der Finder keine Daten für mich hinterlassen, auf einem Formular lediglich angekreuzt, dass er auf Finderlohn verzichte. Ein heimlicher Held. Tröster der Desperados.
Die Tage danach vergehen, meine ungewohnten Zweifel an der Hoffnungslosigkeit stürzen mich in tiefe Depressionen. Dann kommt der Montag, 18. Dezember, die Woche vor Weihnachten. In meinem Postkasten liegen zwei Briefe. Einer vom Fundamt, einer vom Bürgerbüro Mitte. Der erste datiert vom 4. Dezember, der zweite datiert vom 7. Dezember. Ein solches Timing bei der Zustellung unter dem Druck des Kapitalismus ist in meinem Fall seit langem die Regel. Eines Tages wird deshalb vor der Postbehörde ein Bauer-Aufstand ausbrechen – und der Hauptmann vom Kernerplatz den letzten Briefträger-Blues auf dem Posthorn blasen.
PS: Ich habe keinerlei Hoffnung, dass sich etwas zum Guten ändern wird. Die neue deutsche Welle wird uns überrollen. In diesem Sinne: Glückliches neues Jahr!
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Manfred Korn
am 27.12.2023