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Energiewende und Balkonkraftwerke

Streit um Steckersolar

Energiewende und Balkonkraftwerke: Streit um Steckersolar
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Mini-Solaranlagen auf Balkonen boomen und landen wegen unklarer Rechtslage immer häufiger vor Gericht. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) prüft seit Monaten eine Gesetzesreform, während ein Konstanzer Balkonkraftwerker die Geduld verliert.

Spätestens seit Deutschland Mitte vorigen Jahres unter explodierenden Energiepreisen ächzt – eine Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine –, boomen die kleinen Solarkraftwerke für Balkon, Terrasse, Garagendach oder Garten. Wohnungsmieter:innen und -eigentümer:innen können so auch ohne verfügbare Dachfläche selbst Strom erzeugen und Geld sparen. Denn im Prinzip braucht es dazu nur ein bis zwei Photovoltaik-Module (PV-Module), einen passenden Wechselrichter sowie ein Elektrokabel mit Stecker, das man in die nächste Steckdose stöpselt.

Jede selbst erzeugte Kilowattstunde muss nicht in einem klimaschädlichen Kohlekraftwerk produziert werden. So schützen Eigenstromerzeuger auch aktiv das Klima: Nach aktuellem deutschen Strommix vermeidet ein Steckersolargerät im Laufe seiner Nutzungszeit rund 2,5 Tonnen an Kohlendioxid-Emissionen. Eine klassische Win-Win-Situation also.

Theoretisch. Denn immer häufiger landen Balkonkraftwerke vor Gericht. So wie das von Michael Breuninger aus Konstanz am Bodensee. Dabei hatte der Unternehmer eigentlich alles richtig machen wollen. Er kaufte sich im Frühling 2020, als die ersten Corona-Lockdowns viele Menschen zu Heimwerkern machten, ein Mini-Kraftwerk. Verantwortungsvoll wollte er dessen Installation in der nächsten Eigentümerversammlung seiner Wohnanlage genehmigen lassen. Doch zunächst fiel die Versammlung aufgrund Corona-Beschränkungen aus. Erst eineinhalb Jahre später, im Herbst 2021, fand die nächste statt.

Dort kam es anders als Breuninger erwartet hatte: Die Miteigentümer sprachen sich mehrheitlich gegen das Balkonkraftwerk aus – aus Gründen der Optik. Selbst eine vorübergehende Montage bis zur Installation einer geplanten Dachanlage für das gesamte Gebäude wurde ihm verweigert. Als Putin in die Ukraine einmarschierte, Energie knapp und teuer wurde, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für Waschlappen als energiesparenden Duschersatz warb, da konnte auch Breuninger nicht mehr stillhalten. Im Sommer 2022 holte er das Kraftwerk aus dem Keller und installierte es eigenmächtig auf seinem Balkon. "In getragenem Dunkelblau prangt es seitdem an der Balkonbrüstung wie ein wortloses Spruchband wider die Unvernunft", beschrieb es damals ein lokales Online-Portal.

Balkonkraftwerk beeinträchtigt angeblich die Optik

Doch Vernunft setzt sich nicht immer durch: In einer nachfolgenden Eigentümerversammlung beschloss die Gemeinschaft nach heftigem Diskurs, Breuninger zum Abbau zu zwingen – notfalls mit anwaltlicher Hilfe. Gegen den Beschluss reichte der Balkonkraftwerker selbst Klage ein. Vor dem Amtsgericht Konstanz argumentierte Breuningers Anwalt mit dem Recht zur Eigenversorgung mit erneuerbarer Energie und mit dem Wohnungseigentumsrecht (WEG-Recht). Dies definiert Maßnahmen zu Einbruchschutz, altersgerechtem Wohnen, Digitalisierung und E-Mobilität als privilegiert, die eine Eigentümergemeinschaft einzelnen Mitgliedern nicht durch gegenteiligen Beschluss verwehren darf. Geregelt ist dies in Paragraf 20 seit der jüngsten WEG-Recht-Reform.

Richter Stefan Schroth sah das anders: Er wies die Klage ab. In der veröffentlichten Urteilsbegründung wertet er das Balkonkraftwerk als bauliche Veränderung, durch das Mitbewohner:innen zudem optisch beeinträchtigt würden. Deshalb habe es nicht ohne mehrheitliche Zustimmung installiert werden dürfen. Daneben sei die Eigenversorgung mit erneuerbarer Energie nicht explizit Teil der privilegierten Maßnahmen, argumentiert der Amtsrichter.

Das Konstanzer Urteil steht damit im krassen Widerspruch zur Wirklichkeit. Denn die kleinen Solarkraftwerke boomen – auch weil einige Bundesländer und Kommunen deren Anschaffung aus Klimaschutzgründen fördern. In der Bundeshauptstadt Berlin erhalten Mieter mit bis zu 500 Euro momentan einen der höchsten Zuschüsse hierzulande. Auch in Baden-Württemberg gibt es immer mehr fördernde Kommunen. Stuttgart liegt mit 100 Euro pro Modul am unteren Ende, Heidelberg am oberen mit bis zu 750 Euro, Inhaber des Heidelberg-Passes können sogar 1.450 Euro bekommen.

Noch gibt es zu viele Vorschriften

Im amtlichen Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur, bei der die Geräte online zu registrieren sind, waren bis Ende 2021 rund 32.000 und bis Ende 2022 rund 111.000 Mini-Kraftwerke angemeldet. Allein in den ersten beiden Monaten 2023 kamen etwa 30.000 Anlagen hinzu. Da trotz Meldepflicht bei Weitem nicht alle Geräte gemeldet sind, schätzt der Verein Klimaschutz im Bundestag (KiB), dass bis Ende 2023 die Zahl der Steckersolargeräte auf deutschen Balkonen und Terrassen auf rund eine Million anwachsen wird. Klar ist: Je mehr Minikraftwerke auf deutschen Balkonen arbeiten, desto schneller geht die Energiewende voran und die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten aus Diktaturen wie Russland sinkt.

"Damit es bis 2030 bis zu zehn Millionen Geräte sind, muss die Politik noch zahlreiche bürokratische Hürden aus dem Weg räumen", mahnt Ursula Sladek vom Verein KiB. Vor allem die heute noch verpflichtende Anmeldung beim örtlichen Netzbetreiber als auch die Registrierung im Markstammregister sollte einfacher werden. Oder gleich ganz wegfallen. Schließlich müssten viel Strom ziehende Elektroherde oder Wasserkocher auch nicht gesondert registriert werden, argumentieren Balkonsolar-Fans. Zudem sollten die Wechselrichter die Leistung der Module nicht wie heute auf 600, sondern künftig auf 800 Watt begrenzen, um noch mehr Sonnenstrom ernten zu können. Die höhere Leistung sei problemlos vom häuslichen Leitungssystem verkraftbar, so Sladek. Eine EU-Richtlinie stützt diese Ansicht. Und im Nachbarland Österreich sind 800-Watt-Geräte seit Langem erlaubt.

Tatsächlich bewegt sich auch auf offizieller Seite einiges. Kurz vor Weihnachten forderte die Bundesnetzagentur die Freigabe des Haushaltssteckers zur Einspeisung, während bislang immer von einem Spezialstecker (dem sogenannten Wieland-Stecker) die Rede war. Im Januar zog der einflussreiche VDE-Vorstand bei diesem Thema nach. Kurz darauf kündigte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) an, dass ein Rückwärtslaufen von alten analogen Stromzählern (das passiert, wenn Balkonkraftwerke überschüssigen Strom einspeisen) bis zum Austausch eines digitalen Zweirichtungszähler künftig geduldet werden soll. Formaljuristisch gilt der Zählerrücklauf bis dato als Betrug.

Habeck will, Buschmann bremst

Anschließend meldeten sich der Bundesverband der Verbraucherzentralen, das Umweltbundesamt und Habecks Wirtschaftsministerium mit ähnlichen Statements zu Wort. Zuletzt veröffentlichte das Ministerium am 10. März den Entwurf für eine neue "Photovoltaik-Strategie". Darin sind nicht nur die genannten Erleichterungen im Kapitel "Nächste Schritte und Maßnahmen" aufgeführt. Zusätzlich wird erwähnt, dass Balkonsolargeräte und die größeren Aufdach-Solaranlagen als privilegierte Maßnahmen in WEG-Recht und Bürgerliches Gesetz aufgenommen werden. Das würde klarstellen, dass Wohnungseigentümer:innen und Mieter:innen die klimafreundliche Stromerzeugung auf Balkon oder Dach nicht mehr in Eigentümergemeinschaften oder Miethäusern verwehrt werden könnte. Genau dazu hatten die Justizminister der Länder im vergangenen November auch den zuständigen Bundesjustizminister Marco Buschmann aufgefordert. Bislang ist der FDP-Mann diesem Ansinnen jedoch nicht nachgekommen.

So funktioniert's

Der Online-Handel, auch Discounter und Baumärkte bieten "steckerfertige" Komplettpakete an, die Laien schnell installieren können. Da auf Betreiben des Wirtschaftsministers Habeck (Grüne) seit Jahresbeginn die Mehrwertsteuer bei Photovoltaik entfallen ist, gibt es zertifizierte Steckersolar-Pakete schon ab 500 Euro. Viele Kommunen geben auf Antrag einen Zuschuss.

Ist das Balkonkraftwerk in Betrieb genommen, fließt die von den Modulen erzeugte Elektrizität ins Stromnetz der Wohnung und kann dort elektrische Geräte versorgen. Selbst ein Elektroauto lässt sich mit dem "Saft" vom Balkon über eine Wallbox zumindest teilweise laden. Überschüssiger Strom fließt ins lokale Stromnetz. Allerdings dürfen die Solargeräte nach gängiger VDE-Norm nur bis zu 600 Watt Leistung einspeisen. Voraussetzung für die Stromerzeugung: Sonnenschein. Für eine gute Sonnenernte sollten die PV-Module unverschattet und nach Süden ausgerichtet sein. Im besten Fall lassen sich so jährlich rund 650 Kilowattstunden (kWh) Strom ernten. Wer diese selbst verbraucht, kann dadurch bei aktuellen Strompreisen (40 Cent/kWh) jährlich 260 Euro Stromkosten sparen. In 20 Jahren summiert sich die Einsparung nach Abzug der Anschaffungskosten auf 4.000 Euro.  (les)

Das wollen der Freiburger Verein Balkon.Solar und der Youtuber Andreas Schmitz, bekannt auch als Akkudoktor, nicht länger hinnehmen. Am 17. Februar reichten sie eine E-Petition an den Bundestag ein, die sämtliche technische Vereinfachungen sowie eine Privilegierung von Balkonkraftwerken im Miet- und Wohnungseigentumsrecht durch konkrete Textänderungen in den betroffenen Gesetzen vorschlägt. "Leider lehnte der Petitionsausschuss im Bundestag die Veröffentlichung der Petition zur Mitzeichnung bislang ab", so Balkon.Solar-Vorstand Sebastian Müller. Laut Petitionsausschuss sei bereits im Juni 2021 eine Petition mit ähnlichen Forderungen eingereicht worden, die derzeit im parlamentarischen Verfahren geprüft werde. Die aktuelle Petition könne dieser zugeordnet werden. Zudem könne pro Petition auch nur die Änderung eines Gesetzes gefordert werden.

"Diese Argumentation verblüfft", so Müller. Denn in der früheren Petition geht es in erster Linie um die "Umwandlung von Rasenflächen in insektenfreundliche Wildblumenwiesen". Nur im Nebensatz erheben die 82 Mitzeichnenden die Forderung, "die Errichtung von Photovoltaikanlagen an Südfassaden und auf Dächern in die Reihe der nach Paragraph 20 Absatz 2 WEG privilegierten baulichen Änderungen aufzunehmen". "Weder die Verfahrensgrundsätze noch die Richtlinie des Petitionsausschuss legen einen Ablehnung der aktuellen Petition nahe", kritisiert der Verein KiB. Die Initiatoren der Petition arbeiten weiter daran, deren Umsetzung dennoch voranzutreiben, und zwar am Stück und ohne Kompromisse. "Wir sind zuversichtlich, dass wir damit über kurz oder lang erfolgreich sein werden", heißt es. Am Ende kommt es aber vor allem darauf an, dass möglichst viele Bürger die Petition unterstützen und ihr so Gehör verschaffen.

Breuninger klagt weiter

Auf Kontext-Anfrage sagt der Sprecher von Bundesjustizminister Buschmann, dass man derzeit Änderungen im Wohnungseigentumsrecht und im Mietrecht vorbereite. Dabei wolle man den Zielen des Klimaschutzes und der Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern Rechnung tragen. Zu diesem Zweck soll der Katalog privilegierter Maßnahmen erweitert werden. "Ziel ist es, Wohnungseigentümern und Mietern den Anschluss von steckerfertigen Mini-Photovoltaikanlagen zu erleichtern", sagt er. Angaben zum Zeitplan für die geplante Gesetzesreform könne man derzeit noch nicht machen.

Balkonkraftwerker Breuninger aus Konstanz ist der Geduldsfaden bereits gerissen. "Wir haben Berufung beim Landgericht Karlsruhe eingereicht", erklärt er. Falls der Gesetzgeber das WEG-Gesetz nicht zeitnah ändere, will er notfalls eine höchstrichterliche Entscheidung vor dem Bundesverwaltungsgericht erstreiten. Bis dahin laufe das Kraftwerk auf seinem Balkon weiter.


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1 Kommentar verfügbar

  • Frank
    am 29.03.2023
    Antworten
    "Habeck will, Buschmann bremst"

    Ausufernd an jeder Ecke die "Gelbe Gefahr" -
    die ja gar nicht aus Asien stammen kann, da der Hauttyp der dortigen Menschen
    auch kaukasisch ist und das "Gelb" eine abwertende koloniale Wortschöpfung war.
    Als DIY Nachfolger und geradezu darum bettelnde…
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