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EEG-Novelle

Recht auf Sonne ins Grundgesetz

EEG-Novelle: Recht auf Sonne ins Grundgesetz
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Eine Energiewende bis 2030 ist möglich. Sagt zumindest Daniel Bannasch von MetropolSolar. Allerdings nur dann, wenn die Solarenergie flächendeckend ausgebaut wird. Und zwar mit vereinten Kräften.

Metropolsolar wurde 2006 als regionales Netzwerk für die Energiewende von engagierten Menschen, Firmen und Kommunen im Rhein-Neckar-Raum gegründet, ist heute aber auch bundesweit aktiv. Der eingetragene Verein mit mehr als 350 Mitgliedern hat im Februar 2020 ein Papier namens "SolarStrategie" veröffentlicht, in dem er zeigt, wie Deutschland mit Hilfe der Photovoltaik die Energiewende meistern kann. Das Papier – erhältlich unter info--nospam@metropolsolar.de – kondensiert auf vier Seiten Wissensbestände und Prognosen aus Technik, Wirtschaft und Politik, Literaturangaben und Fußnoten umfassen insgesamt ganze neun Seiten. Es ist ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die zum 1. Januar 2021 in Kraft treten soll. Das Ziel der Bundesregierung: Der Strom in Deutschland soll bis 2050 treibhausgasneutralen produziert werden. Metropolsolar sagt: Wir müssen und können 100 Prozent Erneuerbare im Gesamtsystem bis spätestens 2030 erreichen.

Foto: watt_2.0

Energiewende auf dem Bierdeckel

Der studierte Ökonom Daniel Bannasch aus Mannheim ist geschäftsführender Vorstand von Metropolsolar. Er ist unter anderem für seinen in verschiedenen Teilen der Republik gehaltenen Vortrag "Energiewende auf dem Bierdeckel" bekannt, von dem es im Internet Aufzeichnungen gibt – hier eine 10-Minuten- und hier eine 70-Minuten-Version. (rh)

Herr Bannasch, was sind die wichtigsten Thesen und Appelle Ihres Strategiepapiers?

Der wichtigste Punkt ist, dass die Solarenergie alleine ausreicht, um uns mit Energie zu versorgen – und zwar bei weitem. Das wird häufig bestritten. Die Technik ist nun so billig, dass sie sich gegen alle anderen Arten der Energiebereitstellung durchsetzen wird, wenn man das nicht behindert. Diese Behinderung findet aber seit vielen Jahren statt: durch Bürokratie, Steuern, Abgaben. Wenn man die lokale Nutzung der Solarenergie davon entlastet, ist diese Technik nicht aufzuhalten.

In Ihrem Papier beklagen Sie nicht nur, dass die Bundesregierung den großen Stromkonzernen immer wieder unter die Arme greift, sondern auch das Festhalten an der "alten Energie- und Mobilitätswirtschaft". Warum sehen Sie da eine sektorenübergreifende Betroffenheit?

In einer neuen Photovoltaikdachanlage produzieren Sie Strom für ungefähr fünf Cent pro Kilowattstunde, wenn wir von einer voraussichtlichen Lebensdauer der Module von 30 bis 40 Jahren ausgehen. Ein E-Auto verbraucht, großzügig gerechnet, 20 Kilowattstunden auf hundert Kilometer. Sie haben also Energiekosten für die Mobilität von einem Euro auf hundert Kilometer – wenn es keine Verzerrung im Markt gibt. Mit einem Verbrennungsmotor sind Sie abhängig von langen Energieketten, die irgendwo im Nahen Osten beginnen, und von einem Konzern, der Ihnen den Kraftstoff bereitstellt und Milliardengewinne macht. Mit der kurzen Energiekette von der Solaranlage zum E-Auto fällt das weg.

Was meinen Sie mit Marktverzerrung? Sie sprechen auch immer wieder von Bürokratisierung und bewussten Behinderungen bei der Erzeugung von Solarstrom – wie läuft das ab?

Die Liste ist zu lang, um sie hier darzustellen. Ein Beispiel: Wenn Sie Strom auf Ihrem eigenen Dach erzeugen, und Ihre Anlage größer ist als 10 Kilowatt – das sind bei heutiger Technik ungefähr 50 Quadratmeter –, dann müssen Sie für den Strom, den Sie selbst erzeugen und selbst verbrauchen, eine EEG-Umlage zahlen. Das ist im Grunde durch nichts zu rechtfertigen. Ähnlich ist es, wenn Sie eine Einliegerwohnung in Ihrem Gebäude haben, und Ihren Mieter am Solarstrom vom Dach teilhaben lassen wollen. Dann müssen Sie in alle Rechte und Pflichten eines Energieversorgers einsteigen. Das macht die Sache so kompliziert und teuer, dass Sie das wahrscheinlich nicht tun werden.

Aber an diesen beiden Beispielen scheitert die Energiewende ja nicht. Oder doch?

Doch. Es geht um grundsätzliche Hindernisse für die Eigenversorgung. So bauen die Leute kleine Anlagen, statt ihr Dach komplett zu belegen, und eventuell auch ihre Fassade. Wir brauchen erhebliche Flächen, um die Energiewende hinzubekommen. Heute sind gut 52 Gigawatt Photovoltaikleistung in Deutschland installiert. Wir brauchen aber rund 1.000 Gigawatt bis 2030. Alles, was wir nicht vor Ort installieren, bei den mittelständischen Unternehmen und Privathaushalten, fehlt bei der Eigenversorgung mit Strom, Wärme und Mobilität und hält die Abhängigkeit von Konzernen aufrecht. Wir brauchen ein Energie- und Mobilitätssystem, das von unten aufgebaut ist, wo jede Einheit an der Basis Überschüsse erzeugt, um größere Einheiten mitzuversorgen.

Sehen Sie bei diesen ganzen Hindernissen eine positive oder negative Tendenz? Werden sie eher mehr, oder weniger?

Über Jahre war die Tendenz negativ. Nun gibt es seit Dezember 2018 eine EU-Richtlinie, die besagt, dass diese Hemmnisse abgeschafft werden müssen. Die Bundesregierung wehrt sich aber mit Händen und Füßen dagegen, das umzusetzen. Ihre große Linie ist, die Abhängigkeit von einer zentralen Versorgung, also von Konzernen aufrechtzuerhalten. Das passiert nicht nur auf der Ebene von Gesetzen, sondern auch von technischen Normen, die fernab der Öffentlichkeit ausgehandelt werden. Eigentlich müsste im Grundgesetz ein Recht auf Sonne verankert sein, so dass niemand bei der Ausübung dieses Rechts willkürlich eingeschränkt werden kann.

In Ihrem Strategiepapier schreiben Sie von einem "vorsätzlich herbeigeführten Solar-Crash". Wie meinen Sie das?

Wir hatten eine enorm dynamische Entwicklung seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 mit exponentiell ansteigenden Ausbauzahlen bei der Photovoltaik. Von 2010 bis 2012 wurde diese Dynamik bei sieben bis acht Gigawatt pro Jahr ausgebremst. Dann folgten frontale Angriffe auf die Photovoltaik. Unter anderem wurde in Politik und Medien die Geschichte verbreitet: Nur die Reichen können sich das aufs Dach bauen, und der Hartz-4-Empfänger im Ruhrgebiet muss dem Zahnarzt am Chiemsee die Photovoltaikanlage subventionieren. Flankierend gab es eine ganze Liste von Behinderungen, zum Beispiel Vergütungskürzungen und Beschränkungen des Marktzugangs durch Ausschreibungen für Freiflächenanlagen. Das hat die Ausbauzahlen auf rund anderthalb Gigawatt pro Jahr runtergebracht. Erst 2019 sind wir erst wieder bei knapp vier Gigawatt angekommen. Bei diesem Crash, der ein Gemeinschaftswerk über Parteigrenzen hinweg war, sind über 100.000 Jobs verloren gegangen. Und das ist unter tätiger Hilfe von Wirtschaftsministern passiert.

Welche Parteien waren daran beteiligt?

Wir hatten die Bundeswirtschaftsminister Rösler (FDP), Gabriel (SPD) und Altmaier (CDU). Unter Gabriel gab es den Staatssekretär Baake von den Grünen, dem die Grünen-Länderminister nicht in den Arm gefallen sind, als er lauter konzernfreundliche Regelungen einführte, die gegen die bürgerschaftliche Eigenversorgung gerichtet waren – immer nach dem Motto: Wir müssen effizienter werden. Wenn man da genau hinguckt, stellt man fest, dass dadurch nichts effizienter oder billiger geworden ist. Die Grünen haben sich auch sehr stark gemacht für die Nord-Süd-Stromtrassen. Offshore-Windenergie konzentriert im Norden, die man dann durchs Land transportiert, ist das Gegenteil von bürgerschaftlicher Energieversorgung.

Sie kritisieren auch die Presse. Warum?

Mein Eindruck ist seit vielen Jahren, dass weite Teile der Artikel zum Thema Energie und Klima nicht tief genug gehen. Da fehlt das Systemverständnis. Es werden sehr viele Studien von unterschiedlichen Instituten veröffentlicht, das sind aber oft mit Bundes- oder Landesmitteln finanzierte Einrichtungen. Wenn da zum Beispiel steht: Die Bundesregierung will 2050 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien haben, dann hat das mit Wissenschaft nichts zu tun. Wissenschaftlich wäre, zu sagen: Die Klimaforschung sagt uns, dass wir schon am Limit sind, und dass das 1,5-Grad-Ziel vielleicht heute schon kaum noch zu halten ist. Dann muss daraus abgeleitet werden, wie die Energie-Emissionen so schnell wie möglich auf null abgesenkt werden können. Wir müssen uns anschauen, welche Zeiträume wir haben und da bin ich überzeugt davon, dass wir spätestens 2030 fertig sein müssen, um bei der Klimakrise noch die Kurve zu kriegen.

Ein Vorteil der Solarenergie ist, dass sie auch in Städten gut funktioniert. Welches Potenzial hat Deutschland da?

Man sollte zunächst vorurteilsfrei jede mögliche Fläche angucken – nicht nur Dächer, sondern auch Fassaden, Parkplätze, Autobahnen, was auch immer – und sich fragen, ob man dort Energie ernten möchte. Mit heutiger Photovoltaiktechnik können Sie in Deutschland umgerechnet 20 Liter Öl pro Quadratmeter und Jahr einfangen, Tendenz steigend. Für die 1.000 Gigawatt Photovoltaik, die wir in unserem Solarstrategie-Papier nennen, bräuchten Sie ungefähr 10.000 Quadratkilometer. Das wäre bei 11.000 Kommunen, die wir in Deutschland haben, durchschnittlich weniger als ein Quadratkilometer pro Kommune. Theoretisch könnten wir jeder Kommune Module entsprechend ihrer Größe auf den Marktplatz stellen und sagen: Guckt mal, wo Ihr sie unterbringen wollt, diskutiert‘s miteinander!

Wenn man das bis ins Jahr 2030 bewerkstelligt möchte, bräuchte es zum einen viel mehr Arbeitskräfte, die die Solarparks errichten, und zum anderen eine größere Modulproduktion.

Ja. Es müssen neue Modulfabriken entstehen. Laut dem Verband des Maschinen- und Anlagenbaus kostet eine Fabrik mit einem jährlichen Output von fünf Gigawatt ungefähr eine Milliarde Euro. Für eine Produktion von 100 Gigawatt pro Jahr bedeutet das eine Anschubinvestition von 20 Milliarden Euro. Wenn wir sehen, wie wegen Corona mit Milliarden um sich geworfen wird, ist das nicht allzuviel. Wenn Sie die 1.000 Gigawatt bis 2030 gleichmäßig über die Jahre verteilen würden, wären das 100 Gigawatt pro Jahr. Diesen Sprung bekommen sie aber nicht ohne weiteres hin, das heißt, die Entwicklung muss exponentiell ablaufen. Wir werden viel mehr Arbeitskräfte brauchen. Aber durch den Wandel zur Elektromobilität gehen hunderttausende Jobs in der Automobilindustrie verloren, wegen der Digitalisierung auch in anderen Bereichen. Wir brauchen ein Qualifizierungsprogramm, um all diese Leute in den Energiebereich zu bringen. Es gibt viel zu tun für verschiedene Qualifikationsniveaus.

Wer sind die Akteure, die den Wandel vorantreiben können?

Das sind vor allem lokale Akteure, die vor Ort die Energieversorgung selbst in die Hand nehmen: Energiegenossenschaften, Initiativen von Bürgern, lokale Solarfirmen, Stadtwerke – alle, die letztlich ein Interesse haben an lokalen Strukturen, lokaler Autonomie; die aus globalen Abhängigkeiten, aus Konzernabhängigkeiten rauswollen. Wenn alle die, die im Grunde betroffen und handlungsfähig sind, das begreifen und als Chance sehen, dann können wir den Umbau sehr schnell hinbekommen.


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3 Kommentare verfügbar

  • lenalena
    am 16.12.2020
    Antworten
    Photovoltaiktechnik und Solarenergiespeicherung existierte für Jahrzehnte und war bereits großes Thema in den 80igern. Mich wundert, dass sich die "Energiewende" so lange dahinschleppt. Selbst wenn es heute spannendere Technik-Voraussetzungen gibt, die Basis hätte man da problemlos und auch…
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