Der entscheidende Hintergrund ist ein anderer, der aber von Bundes- und Landesregierungen sowie den vier großen Netzfirmen seit Jahren auch mit Hilfe teils schlecht informierter großer Medien verschleiert wird: Das deutsche Stromnetz ist eine einheitliche Preiszone, hier kaufen auch StromhändlerInnen und Großunternehmen aus dem vor allem südlich gelegenen Ausland viel Strom, weil er billiger ist als ihr heimischer Strom. Die europäische Strombörse funktioniert aber so, dass ständig die billigsten Erzeugungsanlagen liefern dürfen. Wenn an der Küste besonders viel Wind weht, ist dieser Strom billiger als der aus irgendwelchen Kraftwerken sonstwo in der Republik, die dann nicht einspeisen. Dann ist also besonders viel Windstrom aus dem Norden im Netz, und er muss auch noch besonders weite Wege gehen, nämlich nicht nur bis Süddeutschland, sondern auch in südliche Nachbarländer und nach Italien.
Seit Jahren weist der Wiesbadener Wirtschaftsprofessor Lorenz Jarass in Studien darauf hin, dass die geplanten deutschen HGÜ-Trassen vor allem vom Stromhandel erforderlich gemacht werden, nicht von einem Strommangel im Süden. Den offiziellen Berechnungen zufolge kommt in windreichen Stunden bisweilen auch noch zusätzlicher Strom aus Skandinavien ins deutsche Netz, der ebenfalls gen Süden transportiert werden muss. Sinn ergibt das nur unter dem herrschenden Marktdesign, das halb Europa nach billigem Windstrom von Nord- und Ostsee lechzen lässt. Nur so muss der Windstrom aus dem Norden in den Süden, anstatt in der nördlichen Hälfte Deutschlands verteilt, gespeichert oder in Gas umgewandelt zu werden.
Da das deutsche Stromnetz diese Transportaufgabe immer schlechter bewältigen können wird, droht durch die EU eine Aufhebung der einheitlichen Preiszone, wodurch der Strom im Süden wegen der höheren Nachfrage ein bisschen teurer würde. Die Regierungen Bayerns und Baden-Württembergs sind offensichtlich so sehr für die Nord-Süd-Trassen, weil sie der süddeutschen Industrie die minimalen, für sie aber relevanten Strompreiserhöhungen ersparen wollen.
Eventuell ist Südlink irgendwann in den 2030ern tatsächlich für die Stromversorgung nötig. Aber wer würde schon darauf wetten, wie in 15 Jahren Stromkonsum und -produktion aussehen? Die Photovoltaik ist so billig und effizient geworden, dass Deutschland sich dann komplett mit Solarenergie versorgen könnte, einschließlich Verkehr und Wärme-Erzeugung. Eine Stromtrasse, deren Baukosten grob auf zehn Milliarden Euro geschätzt und sowieso auf den Strompreis umgelegt werden, erscheint da als riskante Investition. Die Energiewende ist jedenfalls nicht der Grund für die deutschen HGÜ-Trassen. Sie sollen dem europäischen Stromhandel dienen und damit der europäischen Koexistenz von Ökostrom mit Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken. Je nachdem, welcher Strom gerade billiger ist, soll er durch die Leitungen weiträumig verteilt werden können. So lässt sich auch erklären, warum die Bundesregierung die Trassen zwar seit Jahren mit der Energiewende begründet, aber immer wieder den Ausbau der Erneuerbaren Energie blockiert hat.
Kritik von der Heilbronner Basis
In Baden-Württemberg wird all das nur auf Sparflamme diskutiert. Auf Bundesebene und in Bayern ist der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ein vehementer Kämpfer gegen die HGÜ-Trassen. Der baden-württembergische BUND hingegen hat schon im März 2015 die von Umweltminister Untersteller angestoßene Erklärung mitunterzeichnet, in der Umwelt- und Unternehmensverbände zusammen mit staatlichen Akteuren und dem Gewerkschaftsbund erklären, dass sie "den konstruktiven und transparenten Dialog über mögliche Trassenkorridore unterstützen".
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werner
am 25.10.2020