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Stromtrassen

Hoch die Trassen, auf die Industrie!

Stromtrassen: Hoch die Trassen, auf die Industrie!
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Energie- und Umweltminister Untersteller bittet bei der Bundesregierung um eine weitere große Nord-Süd-Stromleitung. Einen konkreten Bedarf dafür benennt er nicht. Nicht nur in Heilbronn kritisieren AktivistInnen die Stromtrassenpolitik.

Die Grünen verstärken ihren Kampf für die Energiewende an Nord- und Ostsee, für die in vielen Teilen Deutschlands gesunder Wald, guter Ackerboden und andere für Menschen, Tiere und Pflanzen relevante Ressourcen zerstört werden. Die Energiewende allgemein stockt gewaltig, weitgehend ungebremst gehen hingegen Planung und Bau großer Windparks im Meer voran, die nur von kapitalkräftigen Konzernen finanziert werden können. Die sollen prinzipiell auch Menschen in Süddeutschland und in südlichen Nachbarländern beliefern, weswegen Stromtrassen geplant werden, für die breite Schneisen in den Süden geschlagen werden müssen.

Das wird seit Jahren auch von den Grünen unterstützt. In einem außergewöhnlichen Schritt haben nun sogar drei Landesenergieminister der Grünen zusammen mit Niedersachsens Pendant Olaf Lies (SPD) im Juni einen gemeinsamen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) geschrieben, in dem sie darum bitten, die eigentlich erst mal abgeschlossene Stromnetzplanung noch mal anzufassen. Die Minister finden, dass die Stromtrasse Südlink ein drittes Kabel bekommen sollte, das bis Altbach im Landkreis Esslingen weitergeht. Verschickt wurde der Brief vom Stuttgarter Umwelt- und Energieministerium Franz Unterstellers, mitunterzeichnet haben Hessens Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir und Schleswig-Holsteins Energiewende-Minister Jan Philipp Albrecht.

Der Brief wurde vom Online-Portal "Klimareporter" veröffentlicht. Dass mehr als die aktuell geplanten Trassen notwendig seien, wird darin damit begründet, dass die Kapazitäten von Meereswindparks "im Zeitraum von 2030 bis 2040 von 20 Gigawatt auf 40 Gigawatt verdoppelt werden sollen". Da die Bundesnetzagentur in ihrem kurz vor Weihnachten 2019 veröffentlichten Netzentwicklungsplan sowieso festgehalten habe, dass "langfristig weiterer Bedarf an einer zusätzlichen HGÜ-Verbindung im (...) Südlink-Korridor besteht", schlagen die Minister vor, diese weitere Verbindung von Anfang an einzubauen. Möglich wird das, weil Südlink nun mit zwei 525-Kilovolt-Kabeln gebaut werden soll, statt wie ursprünglich vorgesehen mit vier 380-Kilovolt-Kabeln. Die offiziell beschlossene Trassenbreite bietet nun also Platz für ein drittes Kabel. HGÜ steht übrigens für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung.

Fragwürdige Begründung

Minister Untersteller verkündet seit 2015 immer wieder in Pressemitteilungen, Südlink sei wichtig für die Versorgungssicherheit in Baden-Württemberg. Die Netzentwicklungspläne der Bundesnetzagentur enthalten diese Begründung allerdings nicht. Da Unterstellers Pressestelle einer Antwort auf diesen Widerspruch im Mai schon mal auswich, nun die konkreteren Fragen: "Auf welche Studien oder Berechnungen stützen Sie Ihre Aussage? Und wovor konkret haben Sie Angst, wenn in einem bestimmtem Jahr eine bestimmte Stromtrasse nicht gebaut ist?" Ministeriumssprecher Ralf Heineken verweist auf frühere Pressemitteilungen, die Bundesnetzagentur und die Bedarfsanmeldungen der Übertragungsnetzbetreiber. "Der Bedarf an Nord-Süd-Übertragungsleitungen ist ausreichend und oft dargelegt und begründet", so Heineken.

Dieses Muster ist normal. Nachfragen nach der Erfordernis der HGÜ-Trassen werden oft mit dem lapidaren Hinweis auf die Berechnungen der Netzfirmen und der Bundesnetzagentur sowie auf einen Bundestagsbeschluss beantwortet. Doch wer kann nachvollziehen, was da nach welchen Vorgaben berechnet wird, und wer liest sich wirklich so einen Netzentwicklungsplan durch?

Eine interessante Passage findet sich im erwähnten Netzentwicklungsplan von 2019 auf den Seiten 93 und 94, wo es um Südlink geht. Dort ist zu lesen: "Bayern und Baden-Württemberg werden auch im Jahre 2030 preiswerten Strom auf einem einheitlichen deutschen Strommarkt nachfragen." Es geht also nicht um Strom an sich, sondern um billigen. Auch die folgenden Sätze lassen sich zu dem Fazit zusammenfassen: Der Süden will billigen Strom, der Norden kann seinen Überschuss bereitstellen. Und besonders dann, wenn viel davon da ist, kommen sie miteinander ins Geschäft. Nach einer Notwendigkeit klingt das nicht, schon gar nicht nach einem Versorgungsengpass.

Lange Wege, viel Kritik

Südlink soll als Doppeltrasse von der östlichen Nordseeküste durch Deutschlands Zentrum verlaufen. Die eine Leitung soll in den Nordwesten Bayerns führen, die andere weiter bis nach Großgartach, einen Vorort von Heilbronn. Dabei soll die relativ neue Technik der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) Verwendung finden. Damit kann Strom fast verlustfrei über weite Strecken transportiert werden. Der Nachteil dabei: Eine HGÜ-Leitung hat zwischen den beiden Enden keine Abzweigung.

Seit 2014 ist Südlink in so ziemlich allen betroffenen Gegenden umstritten. Die fundamentalsten KritikerInnen wollen die mit dem Trassenbau einhergehenden Zerstörungen und Enteignungen nicht akzeptieren, weil sie das ganze Projekt nicht in der Energiewende begründet sehen, sondern im vor allem kommerziell motivierten Stromhandel. Das bringt die Grünen seit Jahren in eine schwierige Lage.  (rh)

Der entscheidende Hintergrund ist ein anderer, der aber von Bundes- und Landesregierungen sowie den vier großen Netzfirmen seit Jahren auch mit Hilfe teils schlecht informierter großer Medien verschleiert wird: Das deutsche Stromnetz ist eine einheitliche Preiszone, hier kaufen auch StromhändlerInnen und Großunternehmen aus dem vor allem südlich gelegenen Ausland viel Strom, weil er billiger ist als ihr heimischer Strom. Die europäische Strombörse funktioniert aber so, dass ständig die billigsten Erzeugungsanlagen liefern dürfen. Wenn an der Küste besonders viel Wind weht, ist dieser Strom billiger als der aus irgendwelchen Kraftwerken sonstwo in der Republik, die dann nicht einspeisen. Dann ist also besonders viel Windstrom aus dem Norden im Netz, und er muss auch noch besonders weite Wege gehen, nämlich nicht nur bis Süddeutschland, sondern auch in südliche Nachbarländer und nach Italien.

Seit Jahren weist der Wiesbadener Wirtschaftsprofessor Lorenz Jarass in Studien darauf hin, dass die geplanten deutschen HGÜ-Trassen vor allem vom Stromhandel erforderlich gemacht werden, nicht von einem Strommangel im Süden. Den offiziellen Berechnungen zufolge kommt in windreichen Stunden bisweilen auch noch zusätzlicher Strom aus Skandinavien ins deutsche Netz, der ebenfalls gen Süden transportiert werden muss. Sinn ergibt das nur unter dem herrschenden Marktdesign, das halb Europa nach billigem Windstrom von Nord- und Ostsee lechzen lässt. Nur so muss der Windstrom aus dem Norden in den Süden, anstatt in der nördlichen Hälfte Deutschlands verteilt, gespeichert oder in Gas umgewandelt zu werden.

Da das deutsche Stromnetz diese Transportaufgabe immer schlechter bewältigen können wird, droht durch die EU eine Aufhebung der einheitlichen Preiszone, wodurch der Strom im Süden wegen der höheren Nachfrage ein bisschen teurer würde. Die Regierungen Bayerns und Baden-Württembergs sind offensichtlich so sehr für die Nord-Süd-Trassen, weil sie der süddeutschen Industrie die minimalen, für sie aber relevanten Strompreiserhöhungen ersparen wollen.

Eventuell ist Südlink irgendwann in den 2030ern tatsächlich für die Stromversorgung nötig. Aber wer würde schon darauf wetten, wie in 15 Jahren Stromkonsum und -produktion aussehen? Die Photovoltaik ist so billig und effizient geworden, dass Deutschland sich dann komplett mit Solarenergie versorgen könnte, einschließlich Verkehr und Wärme-Erzeugung. Eine Stromtrasse, deren Baukosten grob auf zehn Milliarden Euro geschätzt und sowieso auf den Strompreis umgelegt werden, erscheint da als riskante Investition. Die Energiewende ist jedenfalls nicht der Grund für die deutschen HGÜ-Trassen. Sie sollen dem europäischen Stromhandel dienen und damit der europäischen Koexistenz von Ökostrom mit Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken. Je nachdem, welcher Strom gerade billiger ist, soll er durch die Leitungen weiträumig verteilt werden können. So lässt sich auch erklären, warum die Bundesregierung die Trassen zwar seit Jahren mit der Energiewende begründet, aber immer wieder den Ausbau der Erneuerbaren Energie blockiert hat.

Kritik von der Heilbronner Basis

In Baden-Württemberg wird all das nur auf Sparflamme diskutiert. Auf Bundesebene und in Bayern ist der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ein vehementer Kämpfer gegen die HGÜ-Trassen. Der baden-württembergische BUND hingegen hat schon im März 2015 die von Umweltminister Untersteller angestoßene Erklärung mitunterzeichnet, in der Umwelt- und Unternehmensverbände zusammen mit staatlichen Akteuren und dem Gewerkschaftsbund erklären, dass sie "den konstruktiven und transparenten Dialog über mögliche Trassenkorridore unterstützen".

"In Heilbronn gibt es unter den Energiewende-Aktiven verschiedene Auffassungen", sagt hingegen Gottfried May-Stürmer. Er ist seit 1985 Geschäftsführer des BUND-Regionalverbandes Heilbronn-Franken. Die Fundamentalkritik am Funktionieren des Strom-Markts hat seiner Meinung nach eine Mehrheit der Leute, die zu den Treffen des örtlichen "Aktionsbündnis Energiewende" kommen, überzeugt – ihn selbst eingeschlossen.

Franz Wagner sieht das genauso. Er ist ebenfalls seit vielen Jahren in Heilbronn und Umgebung für die Energiewende aktiv. Er hat gegen die Atomkraftwerke gekämpft und die örtliche Energiegenossenschaft mitgegründet. Im Aktionsbündnis Energiewende komme es seit Jahren nur aus Unsicherheit zu keiner klaren Ablehnung von Südlink, sagt Wagner. Aufgrund der "sehr heterogenen Struktur des Bündnisses aus Einzelpersonen, Verbänden, Kirchengemeinden und Parteien" und wegen zuletzt schlecht besuchter Treffen gebe es keine offizielle Position des Bündnisses dazu. Wagner hat Franz Unterstellers Rückendeckung für Südlink nach eigener Aussage schon 2016 bei einer Diskussionsveranstaltung kritisiert. In dieselbe Kerbe schlägt auch Gottfried May-Stürmer vom BUND: "Der Umweltminister tut viel, um diese HGÜ-Leitungen durchzusetzen. Ich habe noch kein kritisches Wort von Minister Untersteller an der grundsätzlichen Gestaltung des Strom-Markts gehört."

Mit Wolf Theilacker distanziert sich ein weiteres Urgestein der Heilbronner Öko-Szene von der Stromtrassenpolitik der Landesregierung. Das ist bemerkenswert, denn Theilacker zog 1980 als erster Grüner in den Stadtrat ein, hat das Mandat mittlerweile 27 Jahre lang inne und ist aktuell stellvertretender Fraktionsvorsitzender. "Manche meinen, gegen Windstrom für Süddeutschland könne ein Grüner doch eigentlich nichts sagen", hält Theilacker fest. "Andere, dazu gehöre auch ich, meinen, dass es grundsätzlich nicht sinnvoll ist, diese großen Leitungen für sehr viel Geld zu bauen, das natürlich den Kunden auferlegt wird. Stattdessen sollte lieber in dezentrale Speicher investiert werden." Doch solche bundesweiten Lösungen vermisst Theilacker. Von seiner Arbeit im Regionalverband Heilbronn-Franken weiß er: "Es kommen kaum mehr neue Windkraftanlagen zur Genehmigung und zwar aufgrund von Schwierigkeiten, die die Bundesregierung da aufbaut."

Die Initiative der Grünen-Energieminister kann einen ersten Erfolg verbuchen: "Minister Altmaier hat den Brief beantwortet und darin Gespräche zwischen Bundeswirtschaftsministerium, Bundesnetzagentur und Südlink-Anrainerländern vorgeschlagen", teilt Minister Unterstellers Pressestelle mit. Der Bundestag kann sowieso vom vorliegenden Netzentwicklungsplan abweichen und weitere Stromleitungen beschließen.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen gegen Südlink, der nach eigener Aussage über 60 Mitgliedsinitiativen aus sechs Bundesländern hat und schon im August eine ausführliche Kritik am Brief der Landesenergieminister veröffentlicht hat, setzt sich dagegen ein. Er hat jüngst einen dreiseitigen Brief zusammen mit anderen Bündnissen, die ebenfalls gegen Stromtrassen kämpfen, an alle Bundestagsabgeordneten verschickt. Darin fordert der Verband die Abgeordneten auf, dem neuen Netzentwicklungsplan, der am 30. Oktober im Bundestag beraten wird, nicht zuzustimmen.


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2 Kommentare verfügbar

  • werner
    am 25.10.2020
    Antworten
    Viel Wind auf der Nord- und Ostsee Schleswig-Holstein Niedersachsen Mecklenburg- Vorpommern sorgen dafür dass dort zum Teil über 200% des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen.Allerdings stehn die Windräder oft still weil der Strom nicht abtransporttiert werden kann.Warum soll man dieses CO2freie…
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