KONTEXT:Wochenzeitung
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"Absoluter Käse!"

"Absoluter Käse!"
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Georg Hille ist ein altgedienter Energiewender. Seit zehn Jahren plant und baut der Freiburger Ingenieur Solarparks und Windräder in Deutschland und Europa – im Auftrag von Genossenschaften und Kleininvestoren. Im Kontext-Interview rechnet der 52-jährige Projektentwickler mit der Energiepolitik der Bundesregierung ab: "Schwarz-Gelb tut alles, um den Erfolg der erneuerbaren Energien zu sabotieren."

Erst verlängerte Angela Merkel (CDU) die Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke, dann machte die Bundeskanzlerin nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 eine Kehrtwende – und rief die Energiewende aus: Bis zum Jahr 2050 soll die Energieversorgung Deutschlands überwiegend auf erneuerbare Energien umgestellt sein. Doch rechtzeitig zur Bundestagswahl 2013 wurden Sonnenstrom und Windkraft zu Sündenböcken der Nation: ihr Ausbau sei Schuld an steigenden Strompreisen, behaupten EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) und FDP-Chef Philipp Rösler. Zuletzt machten auch einige Medien Anti-Stimmung: "Luxus Strom" titelte etwa der "Spiegel", obwohl Sprit und Gas sich zuletzt deutlich mehr als Elektrizität verteuerten. Während andere bremsen wollen, realisiert Georg Hille derzeit für fünf Millionen Euro ein knapp 200 Meter hohes Windrad bei Emmendingen im Schwarzwald. Die Drei-Megawatt-Windkraftanlage ist das derzeit größte "Repowering-Projekt" in Baden-Württemberg, es ersetzt zwei ältere leistungsschwächere Windmühlen. Finanziert wird das Energiewende-Projekt gemeinsam von zwei Bürgergenossenschaften, den örtlichen Stadtwerken sowie 17 Einzelinvestoren.


Herr Hille, wie weit sind wir mit der Energiewende?

Eine neue Art der Energieversorgung lässt sich nicht in einer Legislaturperiode realisieren. Das war schon bei der Einführung von Kohleverstromung und Atomenergie so. Um die erneuerbaren Energien zu etablieren, brauchen wir einen langen Atem von rund 20 Jahren. Ein neues Energiesystem muss bis zu 40 Jahre Standard bleiben, damit sich die Investitionen bezahlt machen. Sonst nimmt keiner Geld in die Hand.

Von welchen Summen reden wir beim Strom eigentlich?

Jährlich werden rund 80 Milliarden Euro im deutschen Strommarkt umgesetzt, größtenteils durch die vier großen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Viel Umsatz bedeutet viel politischen Einfluss, auch hinsichtlich der Energiewende. Dies lässt sich beispielhaft an der Windkraft ablesen. Hier konkurrieren Anlagen an Land (Onshore) mit Anlagen in der Nord- und Ostsee (Offshore) um staatliche Förderung. Die rot-grüne Bundesregierung, die im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschloss, wollte die Energieversorgung gesellschaftlich neu aufteilen. Auch kleine Leute sollten sich mit privatem Geld am Bau einer Drei-Megawatt-Windmühle beteiligen, die etwa fünf Millionen Euro kostet. Windparks auf See, wo es meist um Milliarden geht, sollten finanzstarke Konzerne schultern. Die Energiewende ist nicht nur eine Frage technischer Machbarkeit, sondern auch der Marktverteilung. Bleibt ein nachhaltiger Strommarkt in den Händen der Großen, oder organisieren wir die Stromversorgung künftig dezentral durch kleinere Markteilnehmer wie Stadtwerke oder einzelne Bürger? Merkel & Co. haben bislang alles nur für die Großen getan.

Inwiefern?

Vor Kurzem wurde der erste kommerzielle Offshore-Windpark in der Nordsee eröffnet. In Betrieb ging er allerdings noch nicht, weil das Stromkabel zum Land fehlt. Angeblich, weil alte Bomben dem Kabel im Weg liegen und das Verlegeschiff ausgebucht ist. Dabei hätten Offshore-Windparks bereits Ende 2012 Strom liefern sollen. Der Netzbetreiber Tennet geriet mit dem Netzanschluss wohl eher in Verzug, weil lange über Haftungsregeln gestritten wurde. Denn jeder Tag ohne Einspeisevergütung bedeutet für die milliardenschweren Windparks auf See Millionenverluste. Da hatte die Merkel-Regierung die Idee, per Gesetz das unternehmerische Risiko dem Netzbetreiber abzunehmen und es auf die Schultern des Verbrauchers zu legen. Das ist juristisch gesehen ein Vertrag zulasten Dritter, was das Bürgerliche Gesetzbuch eigentlich ausschließt. Nicht aber die regierende Politik. Völlig anders läuft es bei Onshore-Anlagen. Deren Netzanschluss muss der Projektentwickler komplett selbst bezahlen. Er hat auch keinen Einfluss darauf, welche Konditionen der örtliche Netzbetreiber stellt. Zudem erhalten Windmühlen an Land immer weniger Einspeisevergütung. Politisch gewollt ist, Offshore zu fördern und Onshore zu erschweren.

Solar- und Windenergie gelten aber als Kostentreiber ...

Die Startinvestitionen für regenerative Energien machen die Energieversorgung tatsächlich kurzfristig teurer. Aber: Wir geben alles Geld am Anfang der Energiewende aus. Wenn Solarparks und Windkraftanlagen am Netz sind, dann liefern sie die nächsten Jahrzehnte Strom zu extrem geringen Kosten. Bei konventionellen Kraftwerken dagegen verursachen steigende Öl- und Gaspreise jedes Jahr höhere Kosten, der Strompreis steigt kontinuierlich.

Hilft da eine Strompreisbremse?

Das ist ein genialer Schachzug von CDU-Umweltminister Peter Altmaier. Der Begriff assoziiert, dass der Strompreis ohne EEG-Umlage nicht weiter steigt. Tatsächlich ist die Strompreisbremse absoluter Käse. Denn die konventionellen Energieträger Kohle und Gas sind knappe Ressourcen, die in der Zukunft seltener und damit umso teurer werden. Auch verursachen ihre Förderung und Verbrennung enorme Umweltschäden, deren Kosten nicht auf der Stromrechnung stehen. So steigen bereits heute die Versicherungsprämien als Folge von immer häufigeren Extremunwettern, die zu den Klimafolgeschäden zählen.

Dann halten Sie auch nichts von Altmeiers Altanlagen-Soli?

Bislang gelten feste Einspeisevergütungssätze für Altanlagen, und das über 20 Jahre. Eine zeitlich begrenzte Vergütungskürzung für Bestandsanlagen, wie Altmaier sie vorschlägt, soll angeblich 50 Millionen Euro einsparen. Doch schon allein die Ankündigung hatte katastrophale Wirkungen. Sie erschütterte das Vertrauen in die Investitionssicherheit am Standort Deutschland. In der Folge stuften Banken neue PV-Anlagen in eine höhere Risikostufe ein – was steigende Darlehenszinsen, sprich höhere Finanzierungskosten bedeutet. Dadurch verursachte Altmaier einen volkswirtschaftlichen Schaden von geschätzt etwa 300 Millionen Euro. Viel schlimmer noch: Viele PV-Projekte rechnen sich seitdem nicht mehr. Die sogenannte Strompreisbremse ist für mich eher ein hinterhältiger Versuch, den Ausbau der Fotovoltaik in Deutschland auszubremsen.

Ist die Befreiung von der EEG-Umlage eine Lösung?

Nein, denn von ihr profitieren nur energieintensive Großbetriebe mit hohem Stromverbrauch. Angeblich sollen die Begünstigten, zu denen auch Golfclubs gehören, so vor einem Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Dafür müssen Mittelständler und auch private Haushalte mehr bezahlen. Das widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz. Das EEG krankt daran, dass Solarstrom mittags den Strompreis massiv verbilligt und damit die Finanzierungslücke zwischen garantierter Vergütung und tatsächlichem Preis immer größer wird. Weil das EEG-System statisch ist, muss der Verbraucher zwangsläufig immer mehr bezahlen. Wir brauchen beim Strom einen Kapazitätspreis, der die tatsächlich vorhandene Produktions- und Netzkapazität widerspiegelt. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung dies durchsetzt.

Trotz der Kosten, immerhin sind wir Solarstromweltmeister ...

Deutschland hat nicht die meisten PV-Anlagen, weil hierzulande die höchste Einspeisevergütung bezahlt wird. Frankreich, Spanien und Italien vergüten mehr. Auch ist Deutschland sonnenärmer als diese Länder. Der Siegeszug des Solarstroms hierzulande basierte auf dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, mit dem die rot-grüne Regierungskoalition im Jahr 2000 sichere Rahmenbedingungen setzte und garantierte. PV-Projekte ließen sich dadurch schneller und kostengünstiger als anderswo realisieren, die Transaktionskosten waren hierzulande am geringsten. Die jetzige Bundesregierung unter Angela Merkel hat seit 2008 das EEG mehrfach geändert. Teilweise wurden Gesetzentwürfe im Monatsrhythmus umformuliert. Projektentwickler planen an einer PV-Dachanlage drei Monate, größere Freilandanlagen benötigen neun Monate Planungsvorlauf, ein Windprojekt mindestens zwei Jahre. Wenn sich in dieser Zeit die Spielregeln ändern, ist dies tödlich. Die Planungsarbeit war für die Katz. Für mich ist das ständige Hin und Her beim EEG politische Absicht, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu behindern. Dabei ist vor allem das FDP-geführte Wirtschaftsministerium die treibende Kraft. Wenn dies nach der Bundestagswahl so weitergeht, sehe ich tatsächlich schwarz für die Energiewende.

Gegen die Erneuerbaren, speziell gegen Windräder, gibt es aber auch bürgerlichen Widerstand.

Die Diskussion wird oft emotional, teils auch irrational geführt. Ein Beispiel: Auf dem Feldberg bläst der Wind so stark wie in Sankt Peter Ording an der Nordsee. Der höchste Schwarzwaldgipfel wäre ein idealer Standort für eine Sieben-Megawatt-Windmaschine, die sauberen Strom für 5000 Haushalte liefert. Windkraftgegner sind dagegen, weil die Anlage angeblich das Landschaftsbild unzumutbar beeinträchtigt. Die gleichen Leute stört es aber nicht, dass es auf dem Feldberg bereits einen ausrangierten Nato-Horchturm, sieben Skilifte, wovon einer illegal erweitert wurde, sowie einen riesigen Parkplatz gibt. Sie haben auch kaum Einwände gegen ein mehrstöckiges Parkhaus, das der Feldberger Bürgermeister gern bauen würde, damit Skitouristen bis zum Lift fahren können. Anders ist die Situation auf dem benachbarten Belchen, wo die Landschaft bislang noch nicht durch Tourismus beeinträchtigt ist. Dort würde auch ich kein Windrad wollen.

Manchmal sind aber auch Vögel zu schützen ...

Auch hier gibt es Scheindiskussionen. Es stimmt, dass das Auerhuhn aus dem Schwarzwald verschwindet. Aber nicht erst, seit sich Windräder dort drehen. Der Siedlungsdruck lässt die Bestände zurückgehen. Immer mehr Straßen, Wohn- und Gewerbegebiete begrenzen die Reviere der scheuen Tiere. Auch darf ein brütendes Wanderfalken-Paar nicht automatisch ein K.-o.-Kriterium für einen potenziellen Windkraft-Standort sein. Schließlich heißt der Vogel nicht von ungefähr so: Er wechselt sein Revier.

Wind bläst nicht immer, und die Sonne scheint auch nicht immer, so ein oft geäußertes Gegenargument.

Natürlich braucht man neben neuen, effizienten Speichertechnologien auch konventionelle Kraftwerksreserven, die Grund- und Spitzenlast puffern. Das ist aber nicht neu. Auch im konventionellen Energiezeitalter waren Reservekraftwerke nötig, die bei einem Champions-League-Finale anspringen, wenn Millionen Fernseher gleichzeitig angeschaltet werden. Ob die Reserve mit Gas, Kohle oder Atomkraft betrieben wird, ist eine politische Entscheidung. Wir brauchen auch den Netzausbau, aber nicht mit großen Stromtrassen von Norden nach Süden, sondern vor Ort auf regionaler und lokaler Ebene. Auf der anderen Seite ist die Stromerzeugung durch Erneuerbare sicher planbar, weil die Wettervorhersagen immer besser werden. Und: Eine Kaltfront mit Nebel lässt sich besser vorhersagen als der Ausfall eines konventionellen Kraftwerks.

Dennoch kam es in den zurückliegenden Wintern zu Engpässen bei der Stromversorgung.

Das war kein technischer, sondern ein wirtschaftlicher Engpass. Kapazitäten waren ins Ausland verkauft worden. Tatsächlich exportiert Deutschland immer mehr Strom, etwa nach Frankreich. Und gerade zu Zeiten, in denen dort Stromknappheit herrscht. Deutscher Strom ersetzt französischen Atomstrom, wenn die dortigen Meiler im Sommern und Wintern wegen zu wenig Flusskühlwasser gedrosselt werden. Eine Langfristplanung muss derartige Engpässe ausschließen.

Im Allgäu gibt es bereits so viele PV-Anlagen, dass an schönen Tagen mehr Strom erzeugt als verbraucht wird. Die Stromnetze drohen dort zusammenzubrechen.

Das Netz ist für einen bestimmten Spitzenverbrauch ausgelegt. Übersteigt die solare Erzeugung den Verbrauch, entstehen Überspannungen, die Leitungen und Trafostationen überlasten. Anders als Gegner der Energiewende oft behaupten, gibt es technische Möglichkeiten, Stromspitzen zu dämpfen. Ein schaltbarer Transformator etwa kann Strom und Spannung begrenzen. Eine weitere Option: Batterien, die den Solarstrom in Spitzenzeiten speichern, erhöhen den Grad der Eigenenergienutzung, entlasten das Netz und liefern saubere Energie auch nachts. Dadurch können etwa doppelt so viele PV-Anlagen an das vorhandene Netz angeschlossen werden. Ein derartiges flächendeckendes Smart Grid erfordert in den nächsten zwei Jahrzehnten Investitionen von geschätzt 30 Milliarden Euro. Es generiert im gleichen Zeitraum aber Stromumsätze von insgesamt 1,6 Billionen Euro. Auch dadurch erweist sich die Behauptung als falsch, dass uns die Energiewende teuer zu stehen kommt.

Also sind Erneuerbare doch ein Investment wert?

Seit der Finanzkrise haben wir keine Probleme, Geldgeber zu finden. Die Leute wollen in eine saubere Energieversorgung investieren. Wir haben 1000 Gesellschafter, die rund zehn Millionen Euro Eigenkapital beigesteuert haben. Sie scheinen alle zufrieden zu sein, weil sich ihre Investition für Umwelt und Geldbeutel lohnt. Doch leider kann ich keine Anlagemöglichkeit mehr bieten. Die derzeitige Bundesregierung hat Investitionen in erneuerbare Energien unwirtschaftlich gemacht. Merkel & Co. wollen offenbar eine Energiewende mit den alten, großen Mitspielern. Dabei produzieren unsere Solaranlagen den Strom schon billiger als die großen, teuren Offshore-Windparks. Die jetzige Bundesregierung hat durch ihre EEG-Gesetzgebung im Übrigen die deutsche Solarindustrie mit in den Abgrund gerissen. Mehrere Zehntausend Arbeitsplätze sind deshalb hierzulande verloren gegangen.


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4 Kommentare verfügbar

  • Gerorg Hille
    am 16.09.2013
    Antworten
    @ SteinMain
    Repowering von Windkraftankagen ist ökonomisch wie ökologisch durchaus sinnvoll. Die beiden Altanlagen auf dem Weißmoss, die nun durch eine moderne 3-MW-Anlage ersetzt werden, sind 1993 und 1998 ans Netz gegangen. Sie hatten bereits nach 1-2 Jahren die Energie erzeugt, die zu ihrer…
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