Was ist los mit der "Urbanisierung der Energiewende", wie die Stadtverwaltung das ambitionierte Vorhaben taufte? Und wie kam es zu der Hiobsmeldung? Ein Student am Institut für Photovoltaik der Uni Stuttgart hatte für seine Masterarbeit Daten zur Solarstromerzeugung ausgewertet. Demnach könnten PV-Module rund ein Fünftel (21 Prozent) des Strombedarfs aller Stuttgarter decken. Die benötigten Dachflächen gäbe es in Hülle und Fülle: Auf dem Stadtgebiet stehen 179 000 Gebäude, davon 59 000 mit Flachdächern, die 41 Prozent der Grundfläche ausmachen.
Doch bislang sei die Ausbeute kümmerlich, analysierte der Student. So wurden zwischen 2000 und 2017 auf kommunalen Dächern nur 85 Anlagen montiert, mit einer Leistung von 4600 Kilowatt Peak (kWp: steht für die Höchstleistung der Anlage). Dabei liegt das gesamte Potenzial laut städtischem Umweltamt bei 45 800 Kilowatt Peak. Ginge es mit dem Ausbau wie zwischen 2015 und 2017 weiter, würde es gut 200 Jahre dauern, dieses Strompotenzial zu heben, errechnete der angehende Ingenieur. Ob es fürs Stuttgarter Innenstadtklima nicht besser wäre, Dächer zu begrünen statt mit Photovoltaik-Modulen auszustatten, vertrat indes kürzlich der frühere Stadtklimatologe Jürgen Baumüller gegenüber Kontext.
Im Stuttgarter Rathaus blieb die studentische Kritik nicht ungehört. Denn kurz darauf bemühte sich Umweltbürgermeister Peter Pätzold um Schadensbegrenzung. Mithilfe einer außergewöhnlich langen Pressemitteilung und der Botschaft: "Die Umsetzung der Energiewende bis 2050 läuft voll nach Plan". Man sei "auf gutem Wege, unser hochgestecktes Ziel zu erreichen", ließ der Ressortchef verbreiten. Ein Zwischenziel habe die Stadt sogar schon übertroffen: "Wir konnten den CO2-Ausstoß der städtischen Liegenschaften schon um mehr als 20 Prozent senken im Vergleich zu 1990".
SSB verbraucht viel Strom, hat zu wenige Tankstellen auf dem Dach
Nach Pätzold werde man die Solarenergie kontinuierlich ausbauen, das vorhandene Potenzial bestmöglich nutzen. Allein im ersten Halbjahr 2018 seien acht neue PV-Anlagen dazugekommen, so dass jetzt auf 91 kommunalen Dächern umweltfreundlich Strom produziert werde. 55 der 91 existierenden Anlagen betreibe die Stadt selbst, die anderen 36 Anlagen seien in Händen externer Betreiber. "Mit den stadteigenen Anlagen wurden in 2017 circa eine Million Kilowattstunden Strom erzeugt", verrät Pätzold. Weitere 20 Projekte seien derzeit in der Umsetzung, etwa auf dem Dach des Rathauses oder auf dem Degerlocher GAZi-Stadion. Zudem werden 25 Dächer geprüft. Allerdings eigneten sich von den 1300 städtischen Liegenschaften nur rund 380 für die Bestückung mit PV-Anlagen, schränkt der Bürgermeister ein.
Am schlechten Abschneiden von Stuttgart hat auch die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) ihren Anteil. Das städtische Unternehmen ist einer der größten Stromverbraucher der Stadt: Allein die Stadtbahnen verbrauchten im vergangenen Jahr knapp 90 Millionen Kilowattstunden Fahrstrom. Dieser kommt fast vollständig von externen Lieferanten und nicht aus eigenen Öko-Kraftwerken, wie Recherchen von Kontext zeigen. So betreibt das städtische Verkehrsunternehmen bislang nur eine kleinere PV-Anlage.
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Gabriel K.
am 29.09.2018