Der letzte Mittwoch im Februar war ein nachrichtenreicher Tag. In der Ukraine begann sich die Krimkrise zuzuspitzen, in der Türkei und in Venezuela gab es gewalttätige Demonstrationen, Italiens neuer Regierungschef Matteo Renzi kündigte radikales Aufräumen an. In Deutschland kippte das Bundesverfassungsgericht die Dreiprozenthürde zur Europawahl, und Ex-CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich musste um Ermittlungen in der Edathy-Affäre bangen. Doch zum Aufmacher in Radio und Online-Portalen brachte es überraschenderweise ein anderes Thema: die Forderung, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abzuschaffen – gestellt von einer bis dato eher unbekannten Expertenkommission für Forschung und Innovation. Das sechsköpfige Gremium untersucht jährlich im Auftrag der Bundesregierung, wie es, salopp gesagt, um den Erfinder- und Tüftlergeist hierzulande bestellt ist.
Nicht Kriegsgefahr, Aufruhr und Skandale dominierten an diesem Mittwoch die Schlagzeilen, sondern eine auf den ersten Blick langweilige Meldung über ein Gesetz, das seit dem Jahrtausendwechsel unter anderem die Finanzierung des Ausbaus von umwelt- und klimafreundlicher Stromerzeugung hierzulande regelt. Vor allem die "Leitmedien" verbreiteten die Meldung an erster Stelle: "Regierungsberater wollen Ökostromförderung abschaffen", vermeldete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" als Erste. "Das wird Angela Merkel nicht gerne hören: Wissenschaftler raten, die Förderung von Ökostrom abzuschaffen", wusste das konservative Blatt. Weil die Förderung weder dem Klima helfe, noch technische Innovationen bringe, zitierte dessen Berliner Wirtschaftskorrespondent. Darunter ein Foto mit einer brennenden Windkraftanlage und der Bildunterschrift: "Wunderland ist abgebrannt: Die Förderung erneuerbarer Energien bringt weniger als gedacht."
Expertenurteil tritt Medienlawine los
Damit trat die F.A.Z. eine Medienlawine los. Auf die Zeitung berief sich die Deutsche Presse-Agentur (DPA), die den Bericht weiterverbreitete. Allerdings angereichert um eine Fazit, das dem Thema einen noch bedeutenderen Dreh gab: "Experten fällen vernichtendes Urteil über Ökostrom-Förderung", erfuhren die Redaktionen von der dpa. Und etwas später in gleichem Wortlaut auch die Leser von "Spiegel online" und die Nachrichtenhörer des Südwestrundfunks. "Vernichtende" Urteile im Namen von Wissenschaft oder Politik gibt immer wieder. Google hilft herauszufinden, was in jüngster Vergangenheit alles aufgrund von Expertenmeinung zerstört wurde – und dennoch ganz vital weiterexistiert. "Intransparent und ineffizient – eine neue Studie stellt dem deutschen Gesundheitswesen ein vernichtendes Urteil aus", benutzte erst Anfang Februar – wieder einmal – "Spiegel online" die Begrifflichkeit.
"Vernichtendes Urteil der Wissenschaft" überschrieb "Focus online" im März 2011 einen Bericht über die Klima- und Umweltbilanz des Bio-Kraftstoffs E10. Den können Autofahrer bis heute super tanken. Nach dem Gesetz der Serie ist zu erwarten, dass das auch jetzt von EFI als überflüssig erachtete Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter Bestand haben wird.
"Vernichtendes Urteil" aufgrund dünner Fakten gefällt
Zumal das "vernichtende Urteil" der vermeintlichen Expertenkommission auf äußerst dünnen Fakten beruht. Ganze zwei Seiten widmen die sechs Gutachter unter Leitung des Managementprofessors Dietmar Harhoff vom Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb dem "EEG aus innovationspolitischer Sicht". Zieht man die Bestandsaufnahme zur momentanen Marktsituation der erneuerbaren Energien und eine teils unvollständige Tabelle ab, bleiben magere 57 Zeilen, in denen die begutachtenden Professoren ihre Erkenntnisse darlegen. Das ist weniger Umfang, als die dazugehörende EFI-Pressemeldung aufweist, aus der die F.A.Z. in ihrem Bericht ausführlich zitierte.
Bezeichnenderweise berufen sich die Kommissions-Wissenschaftler in ihrem Urteil vornehmlich auf sich selbst: auf frühere Aussagen in vorherigen Jahresberichten etwa. Nur eine Quelle, eine Studie zur Innovationswirkung des EEG, ist relativ neu. Doch auch sie stammt von der Kommission selbst und wurde federführend von deren Mitglied Christoph Böhringer, Professor für Wirtschaftspolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, erstellt. In der Studie erbringt Böhringer anhand einer Regressionsberechnung den angeblichen Beweis, dass die gesetzliche Einspeisevergütung für Wind- und Sonnenstrom nicht erfinderisch macht. "Mit Regressionsanalysen lässt sich bekanntlich alles oder nichts belegen", kommentiert ein Wissenschaftler trocken die Untersuchungsmethode.
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Tillupp
am 11.03.2014http://taz.de/Solarpionier-verlaesst-Deutschland/!134403/