Ein Bruchteil des Elans und der Standfestigkeit der Demonstrierenden, die am Montagabend auf dem Schiller-Platz versammelt sind, hätte ausgereicht, um rechtzeitig ein Stopp-Schild aufzustellen. Spätestens 2016 zum Beispiel, als der Verwaltungsgerichtshof jenen Klägern recht gab, die seit fast fünf Jahren Einsicht in wichtige Projektakten aus dem Jahr 2010 ff. begehrten. Aber nein, die längst grün-geführte Landesregierung wollte immer weiter klagen und so immer weiter verhindern, dass der Bürgerschaft in Sachen Tiefbahnhof die von Winfried Kretschmann so oft versprochene Begegnung auf Augenhöhe zuteil und dem Umweltinformationsgesetz (UIG) Genüge getan wird. Die Einlegung der Revision zum Bundesverwaltungsgericht "erfolgte allein aus rechtlichen und nicht aus politischen Erwägungen", belehrte das Staatsministerium die Kläger irgendwann in der unendlichen Geschichte des Streitfalls. Sie diene "der Klärung grundsätzlicher hier in Rede stehender Rechtsfragen".
Es sei, so das Staatsministerium auf Anfrage dieser Tage, "zum einen um die Auslegung des europarechtlich geprägten Begriffs der 'internen Mitteilungen' gegangen und zum anderen um Umfang und Reichweite des Schutzes des Kernbereichs von Regierungshandeln". Die dazu vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Rechtsauffassungen hätten "aus Sicht des Landes" nicht überzeugt und über den konkreten Fall hinaus erhebliche Auswirkungen zur Folge gehabt. Aufgrund "des zwischenzeitlichen Zeitablaufs" sei nach Abschluss des Verfahrens beim Bundesverwaltungsgericht eine Neubewertung vorgenommen und die beantragte Akteneinsicht gewährt worden.
Die nicht mehr sehr große Gruppe Unermüdlicher auf der jüngsten und 630. Montagsdemo ist darauf ohnehin nicht angewiesen, ihre Überzeugung ist klar und bekanntlich gut begründet. Sie treibt diese eine Frage um: Warum wird der Tiefbahnhof nicht – auch heute noch – aufgehalten? Sind doch die acht Gleise unter der Ende ("Oben bleiben!") die viel schlechtere Alternative zum bestehenden Kopfbahnhof. Und dass in Zeiten eskalierender Ressourcenknappheit schon allein deshalb umgesteuert werden muss, weil die Bauarbeiten unsinnig viel Energie fressen und später erst recht der Betrieb von Bahnhof und Neubaustrecke.
"Kretschmann will, dass ich mich mit dem Waschlappen wasche, statt zu duschen", sagt Dieter Reicherter, der erfolgreiche Marathonkläger. Gleichzeitig unternehme der Ministerpräsident aber nichts "gegen den Energiewahnsinn". Mit Tempo 250 durch lange Tunnel und über große Steigungen wolle die Bahn künftig Richtung München rasen – "mit einem Mehrfachen an Energieverbrauch gegenüber der heutigen Strecke über die Geislinger Steige". In der Schweiz sei gerade die Zuggeschwindigkeit in Tunneln zwecks Energieeinsparung auf 160 Stundenkilometer begrenzt worden.
Ähnlich konsequent und unverdrossen argumentiert Norbert Bongartz, der Sprecher des Aktionsbündnisses. Unter den Augen von Friedrich Schiller ("Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens") beharrt er darauf, dass man nicht akzeptieren darf, mit welchen Mitteln Stuttgart 21 durchgedrückt worden sei. Und den Befürworter:innen dürfe die Deutungshoheit nicht überlassen werden. Vor und noch rund um den 30. September 2010 waren die Grünen derselben Meinung. Leidenschaftlich kritisierte damals der Grüne Uli Sckerl in der Landtagsdebatte zum Polizeieinsatz am Schwarzen Donnerstag die Manöver, mit denen die CDU jede Aufklärung behinderte.
Verschleierung geht unter Grün munter weiter
Da hatte es sich schon herumgesprochen, wie die Bahn die Einrichtung der Baustellen im Schlossgarten mit allen Konsequenzen überhaupt nur dadurch vorantreiben konnte, dass sie dem Stuttgarter Verwaltungsgericht ein brisantes Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) vorenthielt. Höchstwahrscheinlich, schreiben die Richter leider zwei Wochen zu spät, wäre dem Eilantrag noch vor Beginn der Baumfällarbeiten in der Sache stattgegeben worden, hätte das EBA-Schreiben vorgelegen. Sckerl ist damals außer sich und attackiert heftig, wie die CDU sich allen Argumenten verschließt und an der Wahrheit uninteressiert ist. Für ihn zeigt sich da "die Wagenburg-Mentalität der CDU, die Sie zugegebenermaßen beherrschen".
3 Kommentare verfügbar
Chris B.
am 13.10.2022Ist immer die erste Frage, die gestellt werden sollte. Also - wem hat es genützt?
1. Mappus und seiner ganzen Entourage. Da stellt sich mir natürlich die Frage, weshalb haben Kretsche & die Seinen die ganze Sch.... gedeckt?
2. Weshalb ist Kretsche, nachdem er nach seiner ersten Wahl…