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Stuttgart 21

Gott sei Dank, Herr Pope

Stuttgart 21: Gott sei Dank, Herr Pope
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Ministerialrat Michael Pope war Mappus' Mann für Stuttgart 21. Und in seinem Leben außerhalb der Villa Reitzenstein war und ist er Vize in der Degerlocher Kirchengemeinde "Mariä Himmelfahrt". Mit einem reinen Gewissen, weil der Herr auch Sündern verzeiht.

Allein der Gedanke erscheint dem Leitenden Ministerialrat derart abwegig, dass man geneigt ist, ihn sogleich zurückzuziehen. Woher kommt bloß die Idee, dass es unmöglich sei, Stefan Mappus und dem lieben Gott gleichzeitig dienen zu können? Zumindest bei Stuttgart 21. Stand der frühere Ministerpräsident (MP) doch im Verdacht, ein rechter Schurke gewesen zu sein, gewiss nicht zum Wohlgefallen eines Gottes, der Menschen mit Glauben und Hoffnung erfüllen will. (Dass Gottes Segen über dem Jahrhundertprojekt liege, wie der SPD-Politiker Claus Schmiedel sagte, war nur ein PR-Trick.)

Nun ist in den vergangenen Tagen viel über Mappus und über Dokumente geredet worden, in denen zu lesen stand, wie der MP unverletzt durch die Untersuchungsausschüsse getragen werden konnte, die klären wollten, ob er die Polizei scharf gemacht hatte oder nicht. Vor jenem brutalen Wasserwerfereinsatz am 30. September 2010, der als "Schwarzer Donnerstag" in die Stuttgarter Geschichte eingehen sollte. Gefunden und herausgeklagt hatte die Mails der ehemalige Richter Dieter Reicherter (nachzulesen hier, hier und hier), der sie als hollywoodreife "Drehbücher" bewertete, geschrieben von "besonders anständigen hochbezahlten Staatsdienern". 

Die "Stuttgarter Zeitung" honoriert den Dienst für Gott

Ein besonders herausgehobener war Ministerialrat Michael Pope, heute 59 Jahre alt. Vizechef der Grundsatzabteilung I im Staatsministerium (StaMi), Mappus' Mann für Stuttgart 21, absolut loyal und so eloquent im Auftritt, dass man gar nicht umhin kommen sollte, das Blitzgescheite zu erkennen. Verheiratet mit einer Oberstaatsanwältin. Im Ehrenamt war und ist er ein Mann Gottes. Die Nummer zwei hinter dem Pfarrer der Degerlocher Kirchengemeinde Mariä Himmelfahrt. Dortselbst verrichte er seinen "Dienst für Gott", für den ihm ein "Danke" gebühre, lobte einst die "Stuttgarter Zeitung", die ihm eine Homestory zwischen Kirchenschreibtisch und Teppichinsel widmete. In der Tat ist der gebürtige Osnabrücker nicht mehr wegzudenken aus der katholischen Pfarrei auf den Fildern. Zweiter Vorsitzender im Kirchengemeinderat von 2010 bis 2016, danach ständiger Diakon, gesegnet vom Weihbischof 2019 und zuständig für Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Predigten. Besonders am Herzen liege ihm die Einzelseelsorge für Kranke und Benachteiligte, gibt Pope an.

Sein Wirken im Hauptberuf, also der Dienst für Mappus, erscheint weniger empathisch, folgt man Richter Reicherter.  Er hält dem Spitzenbeamten vor, Lügenmärchen erzählt, tief in die Trickkiste gegriffen und womöglich an einem Zeugenkomplott gebastelt zu haben. Und wieder taucht jene Geschichte auf, diesmal schwarz auf weiß, die besagt, dass Mappus angeboten haben soll, selbst mit verschiedenen MP’s zu sprechen, "um zusätzliche Kräfte" aus anderen Ländern für den 30. September, an dem junge Menschen aus den Bäumen gespritzt wurden, zu gewinnen. 

Jurist Pope mag das nicht bestätigen. Er sagt, ihm fehle die Erinnerung. Der Ministerialrat urlaubt gerade an der Nordsee und ist guter Dinge. In der FAZ, bei deren Sonntagsausgabe er einst ein Frühstücksbrettchen im Jahresquiz gewonnen hat, hat er von den neu eingesehenen Akten gelesen und sich gewundert, warum das alles jetzt wieder hochgekocht wird. Ist doch alles durch, in zwei Untersuchungsausschüssen, 2010 und 2015, mit bekanntem Ergebnis: null Einflussnahme Mappus'. Aber gut, dann erläutert er es eben noch einmal am Telefon. Nicht jeder ist so helle in der Kapelle, dass er das Thema auf Anhieb durchdringt, aber spüren sollte er genau das schon.

Ein MP kann nicht einfach erzählen, was er weiß

Der Begriff Drehbuch, den Reicherter verwendet, ist seiner nicht. Er spricht von seiner Aufgabe. Und die lautete, den Ministerpräsidenten so gut wie möglich auf seinen Auftritt im Untersuchungsausschuss "vorzubereiten". Ein Mappus kann nicht einfach in einen Saal stolpern und erzählen, was er weiß. Da wartet die Opposition mit gewetzten Messern. Schon die Frage, wo die Vernehmung stattfindet, will genauestens ventiliert sein. Plenarsaal wäre ein "Heimspiel", ein "Zeichen der Souveränität", notiert Pope, im Moser-Saal drohe das "Gepräge einer Gerichtsverhandlung".

Selbstverständlich muss auch die Tragweite von Aussagen nach draußen eingeschätzt werden, hinsichtlich einer Bewertung des Wasserwerfereinsatzes etwa. Das Hinzuziehen von externen Experten, selbst in der CDU-Fraktion vorgeschlagen, sei "überaus problematisch", würde die gesamte Polizeiführung "quasi zur Disposition" stellen, von ihrer Einengung sei abzusehen, die Politik müsse ein "Signal des Vertrauens" an sie aussenden. Alles in den Dokumenten nachzulesen. Darüber haben sie sich im Staatsministerium unablässig die Köpfe zerbrochen, weil es doch galt, den MP, seine Regierung, die Polizei, eigentlich alle Zukunftsgewandten in Deutschland vor den Fortschrittsverweigerern zu schützen.

Vor diesem Hintergrund wird man sagen können, dass nicht die Wahrheit oder wenigstens die Wahrhaftigkeit das handlungsleitende Interesse war, sondern die politische Mehrheit, die Macht, die es zu erhalten galt. Das weiß man auch von dem grünen Kretschmann, der auf Mappus folgte, diese Kontinuität bewahrend. Dies zu erkennen, ist Pope wichtig, damit seine Rolle klar wird. "Ich war Partei", betont er, Mappus‘ Anwalt, offiziell bestellt als Beauftragter der Regierung für Stuttgart 21. In der Wahl der Mittel durfte man da nicht zimperlich sein, zumal der Streit "robuste Züge", bald "religiösen Charakter" angenommen hatte.

"Mappus wird zu stark dämonisiert"

Auf diesem Gelände ist der Flinkdenker Pope kein Glaubensbruder. Moral ist keine relevante Kategorie. Es genügt, sich zu versichern, dass alles "nach Recht und Gesetz" gelaufen ist, dass er nie den Eindruck hatte, von Mappus zum Bruch der zehn Gebote aufgefordert worden zu sein, dass er seine Aufgabe ordentlich erfüllt habe, dem Dienstherrn treu ergeben, weil wo kämen wir hin, wenn jeder Beamte mache, was er wolle? Womöglich aus Loyalität zum Volk? Dem stehe es natürlich frei, die Dinge nach seinem Gusto zu bewerten, räumt Pope ein, wobei auch das mal gesagt werden müsse: "Mappus wird zu stark dämonisiert." So wird aus dem guten Gewissen ein sanftes Ruhekissen.

Aber auch der Untertänigste kann in Frieden nicht leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Der hieß Klaus-Peter Murawski, war als Kretschmanns Major domus in die Staatskanzlei eingezogen und damit Popes neuer Chef. Von ihm ward er in den Keller geschickt, nach den Akten zum "Schwarzen Donnerstag" zu suchen, nach denen Richter a. D. Reicherter verlangte. Ausweislich seiner Mail vom 26. November 2012 hielt Murawski den einstigen Mappus-Beauftragten für am besten geeignet, die Sache in die Hand zu nehmen. Als damaligem Referatsleiter für den "Komplex S 21" seien ihm die "näheren Umstände bestens bekannt", teilte der Grüne dem Schwarzen mit, er wisse doch, "wo sich was" in den seinerzeit geführten "Akten in der Registratur" befinde. Das Grinsen beim Schreiben ist vorstellbar.

Auch diesen Job hat Pope noch übernommen, mit zusammengebissenen Zähnen, aber es kann ja nicht jeder machen, was er will. Er sei im Einvernehmen gegangen, versichert er, "kein böses Blut". Das wiederum klingt glaubhaft, weil sich grüne und schwarze Standpunkte (beim Komplex S 21) à la longue nicht mehr stark unterschieden.

So ein Beamtenleben ist auf Kompatibilität angelegt, auch wenn sie bisweilen schmerzhaft ist. Ministerialrat Pope, heute 59, im Innenministerium Referatsleiter Sparkassenwesen, hat vier Regierungschefs erlebt. Erwin Teufel, Günther Oettinger, Stefan Mappus und Winfried Kretschmann.  Bei allen, resümiert er, habe es Licht und Schatten gegeben, und selbst bei Kretschmann sei der "Weg zur Heiligkeit" noch weit.

Womit wir endlich wieder beim lieben Gott gelandet sind. Wer glaubt, Pope habe etwas zu beichten, der irrt. Gott verurteile niemanden, sagt der Degerlocher Diakon, er sei für "Sünder und Gerechte" da, auch für Mappus. Wo also ist das Problem, wenn man beiden dient?

 

Richtigstellung, 26. 8. 2022:
Michael Pope war bei der Übergabe eines Schecks der Neuapostolischen Kirche an die Degerlocher Kirchengemeinden nicht persönlich zugegen. Überreicht hat die Spende Bezirksevangelist Jörg-Uwe Müller, mit der ein ökumenisches Frühstück in der Albschule organisiert wurde. Pope wird nur textlich mit einem Grußwort erwähnt. Die Verwechslung auf dem Foto vom 6.12. 2014 bitten wir zu entschuldigen. Wir haben das korrigiert.  (jof)


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5 Kommentare verfügbar

  • Raimond Ritter
    am 24.08.2022
    Antworten
    Wer klagt dann an, wenn die Staatsanwaltschaft Weisungsgebunden durch den Justizminister ist?
    Siehe S21:
    Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf CDU
    Landespolizeipräsident damals CDU
    Oberstaatsanwalt Häussler CDU
    Generalstaatsanwalt damals CDU
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