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Corona-Hilfen

"Schnellschuss ins Trübe"

Corona-Hilfen: "Schnellschuss ins Trübe"
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Das dicke Ende kommt für manche erst jetzt. Monatelang wurde um die Forderungen nach Rückzahlung der Coronasoforthilfe in Tausenden von Fällen gestritten. Trotz heftiger Kritik ist die endgültige Entscheidung gefallen: Für das Land gibt es in dieser Sache keinen Spielraum. Seit Anfang August gehen die Bescheide raus.

Champagnertrüffel, Schokolade mit Safran und Curry, Pralinen veredelt mit Riesling-Spätlese-Essig auf Waffelboden: Der Gundelsheimer Chocolatier Eberhard Schell verdient seine Brötchen mit süßen Leckereien aus Schokolade, er selbst ist derzeit allerdings vor allem eines: sauer. Der Mittelständler soll jetzt 30.000 Euro Coronahilfe an das Land Baden-Württemberg zurücküberweisen. Ein dicker Brocken für den Familienbetrieb. Das Geld hat er nicht einfach so auf der hohen Kante, erzählt Schell im Gespräch mit Kontext. Außerdem rechnet er vor, dass er durch Corona einen Ausfall von insgesamt 250.000 Euro hatte. Aber das zählt in diesem Fall nicht.

Vor allem in Baden-Württemberg sind viele Unternehmen von Rückzahlungsforderungen betroffen. Das erregt bei kleinen Gewerbetreibenden heftigen Unmut. Als ungerecht wird das staatliche Vorgehen angeprangert. Das könne er gut verstehen, sagt der Chef eines Stuttgarter Steuerbüros, das sich seit Beginn der Corona-Pandemie mit den Fallstricken der Coronahilfen herumschlagen muss. Aus rechtlicher Sicht möge das alles in Ordnung sein, aber aus moralischer Sicht sei das Ganze ein Desaster, sagt der Experte, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er kann die Wut und das Unverständnis der Gewerbetreibenden gut verstehen.

Fallstricke im seitenlangen Kleingedruckten

Schell Schokoladen ist nur einer von vielen Betrieben, denen es ähnlich ergangen ist. Besonders wütend macht sie, dass die Hilfe von der Politik als "nicht rückzahlbarer Zuschuss" angekündigt worden war. Dass dem nicht so ist, stand zwar im Kleingedruckten. Aber wer befasst sich schon mit mehrseitigen Erläuterungen, wenn er oder sie unter ungeheurem finanziellem Druck steht angesichts der beginnenden Coronakrise, fragt der Steuerexperte. Ohnehin habe damals niemand gewusst, wie es am nächsten Tag, geschweige denn in den nächsten Wochen weitergeht.

Auch fast alle Kund:innen des Stuttgarter Steuerbüros waren davon ausgegangen, dass sie mit der Soforthilfe Geld erhalten, das sie nicht zurückzahlen müssen. Der Zweck sei ja der Ausgleich coronabedingter Liquiditätsengpässe gewesen. Und diese konnten im Grunde alle Betriebe vorweisen.

Der Teufel steckte hier im Detail. Die Regelung hatte nach Ansicht des Steuerexperten von Anfang an viele handwerkliche Fehler. Er sieht darin einen "Schnellschuss ins Trübe". Und die Ansagen der Politik, dass allen unbürokratisch geholfen werde, hätten sich bei genauerem Betrachten als falsch entpuppt. Es wurde damit keineswegs allen und vor allem nicht unbürokratisch geholfen. Das Ergebnis ist für ihn mehr als fragwürdig. Weil sie ahnten, dass die Abwicklung äußerst kompliziert werden könnte, haben sich beispielsweise die drei Geschäftsführer eines Stuttgarter Startups der Veranstaltungsbranche dazu entschieden, das Geld sofort wieder zurückzuüberweisen, als sie merkten, welche Dokumentationspflichten damit verbunden sind.

Chaos von Anfang an

Dass die Anträge anfangs über die IHK liefen, erzeugte schon ein heilloses Chaos. Die Industrie- und Handelskammern waren heillos überfordert. Schließlich wurde die L-Bank mit der Sache beauftragt. Zu Beginn war vorgesehen, dass auch das private Vermögen der Gewerbetreibenden herangezogen werden sollte. Weil damit aber die vorsichtig Wirtschaftenden bestraft worden wären, wurde dies zugunsten der Firmenbesitzer schnell geändert.

Die Krux ist der Bewilligungszeitraum. Dieser galt drei Monate ab Antragstellung. Aber weil sich die meisten Betriebe etwas einfallen lassen mussten, um nicht blank dazustehen, gab es schnell Abweichungen von den Planzahlen in gestellten Anträgen. So in der Gastronomie: Das Geschäft wurde zwar zugemacht, aber die Wirt:innen haben in der Mehrzahl auf Liefer- und Abholservice umgestellt. Anstatt der prognostizierten Totalausfälle beim Umsatz, kam es so unvorhergesehen doch zu Einnahmen.

Der Steuerexperte schüttelt den Kopf darüber, dass das Land Baden-Württemberg jetzt mit einem riesigen Verwaltungsaufwand Rückzahlungen fordere von kleinen Unternehmen, die während der Pandemie ohnehin ums Überleben kämpften.

Für wen war die Soforthilfe gedacht?

Bei der Soforthilfe Corona handelt es sich um ein gemeinsames Notfallprogramm des Bundes und des Landes. Dabei konnte sie vom 25. März bis 31. Mai 2020 von jenen Unternehmen und Selbstständigen beantragt werden, deren fortlaufende Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb voraussichtlich nicht ausreichten, um Verbindlichkeiten - wie gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingraten - den auf die Antragstellung folgenden drei Monaten aus dem fortlaufenden erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand, zu zahlen. So wird im offiziellen Jargon der "Liquiditätsengpass" beschrieben.

Die Soforthilfe richtete sich an gewerbliche und Sozialunternehmen, Soloselbstständige und Angehörige der freien Berufe einschließlich Künstler:innen, mit bis zu 50 Beschäftigten sowie an Unternehmen mit land- und forstwirtschaftlicher Produktion und die Fischerei. Die Soforthilfe Corona war für Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten auf maximal 9.000 Euro, für Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigen auf maximal 15.000 Euro sowie für Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten auf maximal 30.000 Euro begrenzt.  (rl)

Eberhard Schell ist in dieser Sache auf seinen grünen Landtagsabgeordneten im Wahlkreis, Armin Waldbüßer, zugegangen und hat von ihm den Bescheid bekommen, es habe noch Diskussionsbedarf in der Regierungskoalition gegeben. Und tatsächlich hat das Wirtschaftsministerium noch einmal prüfen lassen, ob es Möglichkeiten gebe, beim Bewilligungszeitraum flexibler zu sein, um Rückzahlungen zu vermeiden. Da dies jedoch das Bundesrecht nicht hergibt, hat das Land nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums keinen Spielraum. Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) versicherte jedoch, die Rückzahlungsmodalitäten so moderat wie möglich zu gestalten. Keine Firma solle deshalb in Schwierigkeiten geraten. Zumindest ein kleiner Trost.

Laut Wirtschaftsministerium konnten mit der Soforthilfe in Baden-Württemberg über 245.000 Unternehmen und Selbstständige mit einem Gesamtvolumen von gut 2,1 Milliarden Euro unterstützt werden. Das Ministerium stellt auch klar, dass die Soforthilfe als "nicht rückzahlbarer Zuschuss" gewährt wurde. Aber nun kommt der Haken. Eine Rückforderung der Hilfen erfolgt dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die jeweiligen Antragsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben. Eine Rückzahlung ist beispielsweise auch dann erforderlich, wenn die für die Bestimmung der Förderhöhe getroffenen Prognosen nicht tatsächlich eingetreten sind. Daher sind auch rückblickend die Prognosen des Liquiditätsengpasses mit den tatsächlichen Daten abzugleichen, heißt es im Antwortschreiben des Ministeriums auf eine Anfrage von Kontext.

100 Millionen Euro Hilfsgelder zurückgezahlt

Da die wirtschaftliche Entwicklung bei einigen Betrieben besser verlief als bei der Antragstellung angenommen, seien entsprechend auch Rückforderungen nicht vermeidbar, heißt es. Auch die mit der Abwicklung betraute L-Bank weist darauf hin, dass die ausgezahlten Soforthilfen keine voraussetzungslose, pauschale Zahlung oder gar Zuwendung seien, was auch haushalts- und beihilferechtlich unzulässig gewesen wäre.

Der Bund der Selbstständigen (BDS) wies jedoch darauf hin, dass viele Betroffene anfänglich von einer Art "Geschenk" für die kleinen Unternehmen und Selbstständigen ausgegangen seien. Doch nach einiger Zeit hätten sie entdeckt, dass das ganze Verfahren viel zu kompliziert und der Förderzeitraum zu kurz gewesen sei. Auch der BDS konstatierte, was als schnelle, unbürokratische Unterstützung für Unternehmer:innen und Selbständige gedacht war, habe sich als das Gegenteil herausgestellt. Das hält auch Schell für einen Schlag ins Gesicht. In Baden-Württemberg haben laut L-Bank bis Ende vergangenen Jahres schon etwa 54.000 Klein-Unternehmerinnen und -Unternehmer sowie Soloselbstständige rund 100 Millionen Euro an zu viel erhaltenen finanziellen Hilfen wieder zurückgezahlt.

Das Ministerium weist zwar darauf hin, dass nach dem ersten Notprogramm, also der Soforthilfe, die Überbrückungshilfen geschaffen wurden. So wurden in den Corona-Zuschussprogrammen des Bundes und Landes insgesamt seit März 2020 über 565.000 Anträge bearbeitet und Fördermittel in Höhe von 10,5 Milliarden Euro ausbezahlt. Davon hat auch Schell Schokoladen profitiert: in Höhe von 13.000 Euro für das von ihm geführte Café, aber nicht für den Betrieb der Schokoladen-Manufaktur.

Steuerexperte: weitere unausgegorene Regelungen

Aber auch bei den weiteren Coronahilfen gab es bürokratische Hürden und Anlaufschwierigkeiten, mit denen sich besonders die damit beauftragten Steuerberater:innen herumschlagen mussten. Selbstständige mussten oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen und haben teilweise aus ihrem Privatvermögen die Angestellten vorläufig weiterbezahlt, um Härten zu vermeiden. Auf jeden Fall warnt der Stuttgarter Steuerexperte davor, weiterhin unausgegorene Regelungen ins Leben zu rufen, nur um die Bürger:innen schnell zufriedenzustellen.

Wenn dann auch noch wie bei den Coronasoforthilfen die Vorgaben während der Bewilligung ständig geändert werden, erzeugt des Unsicherheit und Chaos. Deshalb betrachtet der Stuttgarter Steuerexperte auch die vollmundig angekündigte Energiepauschale zumindest zum Teil als Mogelpackung: Letztendlich komme nur ein Teil davon bei den Bürger:innen an, denn der Betrag müsse versteuert werden. Naturgemäß erzeuge dies Unmut, weil es nicht den Ankündigungen der Politik entspreche. Wenn sich solche Dinge häufen, fürchtet der Steuerberater, könne der Unmut in Demokratieverdrossenheit umschlagen. Schließlich sehen kleine Gewerbetreibende, dass sie unter genauer Beobachtung stehen, während die großen Unternehmen großzügig mit Hilfen bedacht werden. Und auch ein erboster Mittelständler meint: "Solange der Staat noch solche Deppen hat wie uns, sind die Politiker fein raus."


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